Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Altern mit Stil
Trotz Zugeständnissen an neue Trends glänzen Alphaville auf „Strange Attractor“
- Nein, ewig jung ist nicht einmal Marian Gold. Der Mann ist mittlerweile 62 Jahre alt und Alphaville, seine Band, gibt es nun auch schon seit 44 Jahren. „Forever Young“und „Big in Japan“, die größten und tatsächlich unverwüstlichen Hits der einst in Münster gegründeten Synth-Pop-Combo, stammen aus dem Jahr 1984. Nun, quasi aus dem Nichts und de facto nach fünfjähriger Pause, ist wieder ein neues Album der einst nach einem Filmtitel von Jean-Luc Godard benannten Band erschienen. Auch auf „Strange Attractor“(Polydor/Universal) steht natürlich wieder Elektro-Pop der Extraklasse und Golds unverkennbare, noch immer unglaublich präzise Stimme im Mittelpunkt – trotz aller musikalischen Experimente.
Von seinen früheren Mitstreitern, Gründungsmitglied und Keyboarder Bernhard Lloyd sowie Gitarrist Ricky Echolette, ist längst keiner mehr an Bord. Trotzdem klingen Alphaville auch auf Album Nummer sieben über weite Strecken immer noch nach Alphaville – in modernisierter Version. Wegen Sänger Gold. Wegen der Synthesizer. Und wegen der Melodien, die zwar nicht mehr so eingängig sind, aber nach dem zweiten Hören umso einprägsamer.
Natürlich wäre es verkehrt, vier Jahrzehnte nach den Welthits ein Album zu erwarten, das noch immer nach „Forever Young“klingt. Es wäre auch langweilig. Erstaunlicherweise sind die stärksten Kompositionen auf dem 2017er-Album aber jene, die – wenn auch düsterer und dunkler – klanglich den 1980er-Jahren am nächsten sind. Es gibt eine ganze Reihe von tanzbaren Stücken ab der Mitte des Albums, die eher an eine Mischung aus kalter Electronic Body Music (EBM) und aktuellen ClubTrends erinnern. Damit nicht gemeint ist das für eine Single taugliche „Marionettes With Halos“, eindeutig der beste der Club-Tracks. Hätte sich Gold zwei oder drei der eher uninspirierten Klopper von Nummer acht bis elf –„Sexyland“, „Rendezvoyeur“, „Nevermore“und „Fever!“– gespart, die Platte wäre noch immer abwechslungsreich genug. Und durch und durch geglückt.
Anknüpfen an alte Klasse
Immer, wenn es atmosphärisch wird, knüpfen Alphaville an alte Klasse an. Der Opener „Giants“weiß zu überzeugen, das abschließende „Beyond The Laughing Sky“mit seiner Grandezza ist das beste Werk des Albums. Die erste Single-Auskopplung „Heartbreak City“wäre einst vielleicht sogar ein Hit geworden: eingängige Melodie, guter Refrain – perfekter Elektro-Pop. Es klappt also noch. „Dabei dachte ich, dass ich gar nicht mehr weiß, wie das geht, einen Pop-Song zu schreiben“, sagte Gold anlässlich der Vorstellung des Albums. „Ich hatte das Gefühl, dass die Entwicklung der Popmusik wie ein Expresszug an mir vorbeigerast ist.“Dabei war er immer zumindest als Passagier an Bord, nun ist Gold sogar wieder am Steuer.
Wie aus einem Guss ist das Album von Track 3, „House of Ghosts“, bis zum siebten Titel, „A Handful of Darkness“. Marian Gold kann es offenkundig noch. Die Plattenfirma beschreibt die neuen Lieder der Band als „Songs of Faith and Devotion“– natürlich in Anlehnung an Depeche Modes berühmtes Album aus dem Jahr 1993. Glaube und Hingabe? Vielleicht. So groß wie die Briten waren Alphaville nie, doch was die beiden Synth-Pop-Gruppen aus den 80ern eint: Beide Bands altern mit Stil.