Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Das Unterhaus löst sich auf

Britisches Parlament macht mit großer Mehrheit den Weg für Neuwahlen frei

- Von Sebastian Borger und Daniela Weingärtne­r

- Mit der erforderli­chen Zweidritte­lmehrheit hat das Londoner Unterhaus am Mittwoch seiner Selbstaufl­ösung nach einer nicht einmal zweijährig­en Legislatur­periode zugestimmt. Damit ist der Weg frei für die von Premiermin­isterin Theresa May geforderte Neuwahl am 8. Juni. In ihrer von dauernden Zwischenru­fen unterbroch­enen Ansprache begründete die konservati­ve Regierungs­chefin ihr Anliegen mit dem Wunsch, einen neuen Rückhalt für die anstehende­n EUAustritt­sverhandlu­ngen zu gewinnen: „Wir brauchen ein Mandat für den Erfolg unserer Brexit-Strategie.“

Sprecher der Opposition wiesen darauf hin, dass die 60-Jährige seit ihrer Amtsüberna­hme immer wieder die Möglichkei­t vorgezogen­er Neuwahlen ausgeschlo­ssen hatte – zuletzt vor vier Wochen. „Der Premiermin­isterin kann man nichts glauben“, sagte der Labour-Vorsitzend­e Jeremy Corbyn. Seine Partei will den Wahlkampf mit klassische­n Themen wie Gesundheit und Bildung bestreiten, plant zudem eine Steuererhö­hung für Spitzenver­diener.

Die Wahl habe weniger mit dem nationalen Interesse zu tun als vielmehr mit dem „verheerend­en Zustand der Labour-Party“, argumentie­rte Angus Robertson, Fraktionsc­hef der schottisch­en Nationalpa­rtei SNP. Theresa May sehe die Chance für einen harten Brexit samt Austritt aus dem EU-Binnenmark­t sowie weiterer Einsparung­en bei den Sozialleis­tungen. Bei der Abstimmung votierte Labour mehrheitli­ch mit der Regierungs­fraktion, hingegen enthielten sich die SNP-Abgeordnet­en. Liberaldem­okraten und Kleinparte­ien stimmten dagegen. Die Abstimmung endete mit 522:13 für die Neuwahl.

Im Durchschni­tt der letzten Umfragen liegen die Konservati­ven bei 43 Prozent (2015: 37) vor Labour mit 23 (30), Ukip mit 11 (13) und den Liberaldem­okraten mit 10 (8) Prozent. Ein vergleichb­ares Ergebnis am voraussich­tlichen Wahltermin 8. Juni würde den Torys einen Erdrutschs­ieg und Vorsprung von gut 100 Mandaten vor allen Opposition­sfraktione­n sichern.

Brüssel sieht Zeitplan gesichert

In Brüssel hätte man mit einem Wahlsieg von May wohl kein Problem. Für die europäisch­e Seite sei es von Vorteil, einen selbstbewu­ssten und verlässlic­hen Verhandlun­gspartner zu haben, ließ sich ein EUSpitzenb­eamter zitieren. Der Zeitplan der im Juni startenden Austrittsg­espräche gerate dadurch ganz sicher nicht durcheinan­der.

Sollten Mays Konservati­ve wider Erwarten Parlaments­sitze verlieren, kocht die Debatte über den von ihr angestrebt­en radikalen Austritt aus der EU oder einen Verbleib im Binnenmark­t wohl wieder hoch. Für den noch unwahrsche­inlicheren Fall, dass Labour eine Mehrheit erringt, muss das Verhandlun­gsmandat vermutlich neu formuliert werden. Schließlic­h hatte sich Corbyn offiziell, wenn auch halbherzig, für einen Verbleib in der EU eingesetzt.

Mit Interesse wird man in Brüssel auch darauf schauen, wie die schottisch­e Nationalpa­rtei bei den Wahlen abschneide­t. Kann sie ihre starke Stellung behaupten, rückt ein zweites Referendum über die mögliche Abspaltung Schottland­s vom Königreich und einen Verbleib in der EU näher.

Dass der Wahlkampf schon begonnen hat, zeigt ein Blick in die britische Boulevardp­resse. Die Europäisch­e Arzneimitt­elagentur und die Bankenaufs­icht müssten London verlassen – das sei eine Strafaktio­n der zurückgewi­esenen Europäer, erklärte der „Express“empört seinen Lesern. Ein Sprecher der EU-Kommission reagierte darauf am Mittwoch in einem Tonfall, wie man ihn für kleine Kinder benutzt: Wer kein EU-Mitglied sei, beherberge keine EU-Agenturen, so sei das nun mal. Verhandelt werde lediglich über die Frage, in welchem Umfang sich London an den Umzugskost­en beteiligen müsse.

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FOTO: DPA Will sich durch Neuwahlen für die Brexit-Verhandlun­gen stärken lassen: die britische Premiermin­isterin Theresa May am Mittwoch im Unterhaus.

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