Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Kanzachs großer unbekannter Sohn
Der Philosoph Carl Braig ist in seiner Heimat in Vergessenheit geraten – Rudolf Obert möchte dies ändern
- Er war Doktor der Theologie und der Philosophie, war Professor und Prorektor an der Universität Freiburg, veröffentlichte 140 philosophische Schriften und beeinflusste nachweislich den berühmten Philosophen Martin Heidegger: Die Lebensleistungs Carl Braigs (1853 bis 1923) ist mehr als beachtlich. Da erstaunt es umso mehr, dass sein Name in seiner Heimat Kanzach heute gänzlich unbekannt ist. Dies zu ändern, ist ein lang gehegter Wunsch von Rudolf Obert. Der frühere Bürgermeister hat sich intensiv mit Kanzachs großem Denker beschäftigt.
Sein Elternhaus in der Marbacher Straße 24 steht bis heute. Auch ein Urenkel der Schwester Katharina Sailer lebt noch immer in Kanzach. In seinem Heimatdorf lassen sich bis heute einige Spuren Carl Braigs finden – wenn man sie nur zu deuten weiß.
Auch Rudolf Obert hatte den Namen Carl Braig nie zuvor gehört, als er vor etwa 15 Jahren „ganz beiläufig“mit dem Klingeln des Telefons seine Bekanntschaft machte. Ein Student meldete sich beim damaligen Bürgermeister, um der Gemeinde drei der Hauptwerk Braigs anzubieten. Obert nahm an – und versuchte sich, in die Schriften einzulesen. „Es war hoffnungslos“, erzählt Obert und lacht.
Hohe Gedankenflüge
Carl Braigs Stil gilt als schwer zugänglich und sperrig. Auch wem abstraktes Denken vertraut ist, stößt bei ihm an seine Grenzen. Selbst der Religionsphilosoph Romano Guardini (auch das kein unbekannter Name), beklagte sich über hohen Gedankengänge seines Lehrers. Carl Braig hat sich mit unterschiedlichen philosophischen Disziplinen beschäftigt. Dennoch weise sein Denken eine durchgängige Linie auf, erläutert Obert: die Apologetik (also Rechtfertigung) der christlichen Glaubensgrundsätze vor der Vernunft. „Er verteidigt den Glauben auf sehr konservative Art gegen alle Strömungen der Zeit ganz vehement“, beschreibt es Obert. „Er war ein Fundamentaltheologe bis in die Haarspitzen.“
Auch wenn er sich inhaltlich an ihm reibt, ist Obert von Braigs Denken tief beeindruckt. Und auch bei seiner ersten Beschäftigung mit ihm vor 15 Jahren hat er, trotz „schwer verdaulicher“Lektüre, gleich Feuer gefangen. Das Fach Philosophie ist dem früheren Schulleiter der Förderschule Bad Saulgau nicht fremd und war Bestandteil seines Lehramtsstudiums. „Gibt es einen Gott? Wann hat die Welt begonnen? Diese Fragen sind immer zentral“, findet Obert. Die Person Carl Braig spricht aber nicht nur sein Interesse für Philosophie, sondern auch Oberts Faible für Heimatgeschichte an. Denn Carl Braig ist vor allem einer von hier, ein Sohn Kanzachs. Am 10. Februar 1853 wurde er als ältester Sohn von Maria und Anton Braig geboren. „Seine Eltern bewirtschafteten den Hof gegenüber der Kirche“, weiß Obert. Es war wohl „ein sehr, sehr frommes Elternhaus“, das Carl Braig sicher auch in seinem späteren Denken geprägt habe. Es war der Kanzacher Pfarrer Dirlewanger, der auf Carls Geistesgaben aufmerksam wurde und sie nach Kräften beförderte. Doch auch sein Bruder Johann Baptist schlug eine theologische Laufbahn ein. Beide Brüder wurden Priester, zwei der Schwestern traten als Franziskanerinnen ins Kloster Sießen ein, berichtet Obert, der sich bei den biografischen Angaben vor allem auf eine Dissertation von Daniel Esch stützt.
Von seinen eigenen Erkundungen weiß Obert aber, dass Braig zeitlebens mit Kanzach verbunden war. So ist ein Bild überliefert, das ihnim Kreise seiner Familie zeigt. Auch die Einladung zu seiner Primiz ist erhalten geblieben. Sie fand am 15. August 1878 in der „Pfarrkirche zu Kanzach“statt. Tübingen, Rottenburg, Horb und Wildbad waren weitere Stationen, bevor Carl Braig nach zwei Doktortiteln in Theologie und Philosophie und einigen Rückschlägen 1897 die lang ersehnte Berufung zum Professor für Dogmatik an der Universität Freiburg erhielt. Höhepunkt seiner Laufbahn aber war die Ernennung zum Prorektor und damit zum Leiter der Universität. Das Amt des Rektors bekleidete Großherzog Friedrich von Baden, mit dem Braig in engem Kontakt stand.
Eine Straße für Carl Braig
Dass ein oberschwäbischer Bauernbub eine solche akademische Laufbahn einschlägt, sei schon „außerordentlich“, findet Obert. Was ihn an Carl Braig fasziniert, ist aber auch seine große Charakterstärke: „Er war mutig, hat durchgehalten und hat die Selbstständigkeit seines Denkens sehr gepflegt“– trotz vieler Anfeindungen. „Braig war offensichtlich ein Dickschädel, er hat sich mit allen möglichen Leuten verstritten und schwer beeinflussen lassen.“
Dies imponierte auch seinen berühmtesten Schüler, den Philosophen Martin Heidegger. Ihm ist es zu verdanken, dass Braig zumindest in der Fachwelt nicht vergessen ist. Und damit sich auch sein Heimatdorf Kanzach an den großen Denker erinnert, möchte sich Rudolf Obert mit einer besonderer Bitte an den Gemeinderat wenden: den Durchgangsweg, der die Marbacher mit der Riedlinger Straße verbindet, Carl-BraigWeg zu nennen.