Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Mia san Opfer
Bayern schimpfen nach dem Aus bei Real auf den Schiedsrichter – Saisonaus für Neuer
Xabi Alonso Philipp Lahm
und der im Kampf um einen perfekten Karriereabschluss im ersten Moment nun ebenso ein wenig unvollendete
(Fotos: dpa und AFP) als letzte Spieler das Estadio Bernabéu von Real Madrid. Lahms Karriere in der Champions League endet mit 112 Spielen, als deutscher Rekordspieler. Oliver Kahn spielte 103-mal in der Königsklasse. Den ersehnten zweiten ChampionsLeague-Triumph kann er aber nicht mehr erreichen. Erst kürzlich hatte er betont, dass er in der Rückschau seiner Bilderbuch-Karriere eigentlich nur bedauere, trotz eines aussichtsreichen Ensembles in den vergangenen sieben Jahren nur 2013 den Henkelpott in der Hand halten durfte. Der Sternstunde gegen Borussia Dortmund 2013 stehen zwei verlorene Endspiele gegen Inter Mailand (2010) und den FC Chelsea (2012) im eigenen Stadion gegenüber. Von 2014 bis 2016 scheiterte Bayern stets im Halbfinale, diesmal eine Runde früher. Alonso, der Ex-Madrilene, ist in seiner noch ein bisschen größeren Karriere auf 119 Einsätze in der Champions League gekommen, zweimal gewann er den Pott: 2005 im irren Finale von Istanbul, als Liverpool ein 0:3 gegen Carlo Ancelottis Milan aufholte und im Elfmeterschießen gewann. Und 2014 mit Real, zusammen mit Ancelotti. Bezeichnend, wie beide den letzten Nackenschlag kommentierten. Statt in das große Lamentieren einzusteigen, hörte man von beiden vor allem Sätze wie diesen: „Philipp und ich haben so viele Spiele genossen bis zum letzten Tag. Wir können glücklich sein“, so Alonso. Zwei Große treten ab. (dpa/sz)
(fil/dpa/SID) - Es mag eine Binsenweisheit sein, doch es gibt keine großen Siege ohne großen Niederlagen. Real Madrids 4:2 nach Verlängerung gegen den FC Bayern im Viertelfinalrückspiel der Champions League war zweifellos ein großer Sieg. Beide Mannschaften lieferten sich einen großartigen Schlagabtausch, der für Bayern, wie Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge später sagte, in einer „unglücklichen, unverdienten, bitteren Niederlage“in einem „Spiel, das Geschichte geschrieben hat“mündete.
Die Frage, ob die Spieler und Verantwortlichen des FC Bayern München nach diesem auf jeden Fall epischen, aus ihrer Sicht unfassbar bitteren 2:4 nach Verlängerung im Viertelfinalrückspiel der Champions League bei Real Madrid auch als große Verlierer vom Platz gingen, kann jeder für sich selbst beantworten. Während der 120 Minuten hatten sich die Münchner mit großem Mut und noch größerer Kampfkraft mit Haut und Haar gewehrt gegen Real Madrid, dem dreifachen Torschützen Cristiano Ronaldo und sicher auch gegen Schiedsrichter Viktor Kassai, der komplett seine Linie verlor und eine unglückliche Entscheidung an die nächste reihte.
Vidal im Harakiri-Modus
Doch als das Ende besiegelt war, machte sich die Wut breit. Im Fokus: Kassai. Dessen Entscheidung, Arturo Vidal nach einer seiner wenigen nicht gelbwürdigen Grätschen vom Platz zu stellen und Reals Casemiro, wie Vidal im permanenten HarakiriModus, im Gegenzug nicht des Feldes zu verweisen. Dazu dessen zwei Abseitstorgeschenke an Ronaldo. Kassai habe „extrem eingegriffen und das Ergebnis beeinflusst“, sagte Thomas Müller. „Das kann im Fußball passieren, aber nicht so eine Serie von Fehlern. Im Viertelfinale braucht man einen Schiedsrichter, der eine höhere Qualität hat“, sagte Trainer Carlo Ancelotti. Arjen Robben meinte: „So kämpfst du gegen etwas, auf das du keinen Einfluss hast.“Während sie ihre Wut noch relativ zurückhaltend äußerten, verfielen andere in Verschwörungstheorien. „Zehn gegen 14 ist es schwer zu spielen“, sagte Jérôme Boateng, der sich genauso wie Innenverteidigerkollege Mats Hummels, obwohl nicht ganz fit, heroisch durchs Spiel gekämpft hatte. „Solch ein Diebstahl kann in der Champions League nicht passieren. Es war offensichtlich und es lässt dich am Spiel zweifeln“, sagte Vidal, der im Hinspiel ein Elfmetergeschenk, das zum 2:0 hätte führen können, nicht genutzt hatte.
Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge, der die Mannschaft „in der Kabine in Trümmern“gesehen haben will, ließ beim traditionellen Mitternachtsbankett jegliche diplomatische Zurückhaltung fallen. „Ich habe zum ersten Mal so etwas wie wahnsinnige Wut in mir“, sagte er, Wut, „weil wir beschissen wurden, wir sind beschissen worden, im wahrsten Sinne des Wortes.“Kaum hatte er diesen Satz beendet, brandete Beifall auf im Bankettsaal des Hotels Palacio de los Duques. Mia san Opfer statt Mia san Mia.
Dass Kassai auch vor dem Eigentor durch Sergio Ramos zum 2:1 (78.) daneben gelegen hatte, weil er eine Abseitsstellung von Müller übersah, und dass Vidal bereits viel früher hätte Gelb-Rot sehen müssen, übersahen die Bayern geflissentlich. Zu groß war ihre Wut. Nach spanischen Medienberichten sollen Vidal, Robert Lewandowski und Thiago nach dem Spiel versucht haben, in die Kabine von Kassai zu gelangen – nachdem sie den Schiedsrichter wüst beschimpft haben sollen. Die Polizei musste angeblich einschreiten. Der FC Bayern wies die Darstellungen am Mittwoch zurück.
Zu allem Überfluss muss Bayern nun in den restlichen Wochen bis Saisonende, die immerhin noch das nationale Double bringen können, auf Torhüter Manuel Neuer verzichten – eine neue Chance für Sven Ulreich. Neuer brach sich unmittelbar vor dem 2:3 beim Herauslaufen den Mittelfuß, hielt aber dennoch bis zum Schluss durch. Auch das eine heroische Tat an diesem erinnerungswürdigen spanischen Abend.
0:1 Lewandowski (53., Foulelfmeter), 1:1 Ronaldo (76.), 1:2 Ramos (78., Eigentor), 2:2 Ronaldo (105.), 3:2 Ronaldo (109.), 4:2 Asensio (112.). – 78 346. –
Vidal wegen wiederholten Foulspiels (84.).