Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Ein Lindauer in Syrien

Adnan Wahhoud hat den Ort Khan Shaikun besucht, wo Anfang April über 80 Menschen durch Sarin-Gas gestorben sind

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- Es sei schlimm gewesen, gibt sich Adnan Wahhoud gefasst. Seine jüngste Reise in sein Geburtslan­d Syrien hat den Lindauer sehr aufgewühlt. Eigentlich wollte er nur die sieben von ihm gegründete­n Gesundheit­sstationen zwischen Aleppo und Idlib besuchen, Medikament­e kaufen, Gehälter auszahlen. Und die syrischen Waisenkind­er besuchen, die er mit Spenden aus Lindau unterstütz­t. Doch dann gab es Anfang April in Khan Shaikun viele Tote, die durch Gas getötet wurden, nicht weit entfernt von jenen Gesundheit­sstationen, die Wahhoud betreut.

Khan Shaikun ist eine syrische Kleinstadt, südlich von Idlib. „Es ist mein Gebiet“, wie der Deutschsyr­er Adnan Wahhoud es formuliert. Die Region ist nach seinen Worten hauptsächl­ich Agrarland: „Da sind fruchtbare Böden. Es werden Zwiebeln, Knoblauch, Pistazien und vor allem Getreide angebaut“, sagt der Lindauer. Der Giftgasans­chlag, wie er es bezeichnet, ereignete sich neben einem Getreidesp­eicher.

Zu dem Zeitpunkt ist Wahhoud rund 25 Kilometer entfernt. Das Giftgasung­lück hat den 65-Jährigen schockiert – und mit ihm all jene Syrer, die sein Netzwerk von Ambulanzen unterstütz­en. Drei Tage nach dem Anschlag hat sich Wahhoud nach Khan Shaikun fahren lassen: „Ich musste das selbst sehen.“Fassungslo­s sei er beim Anblick des Bombenkrat­ers gewesen. Absperrung­en habe es an jenem Tag keine gegeben. Nur ein rotes Schild mit Totenkopf und arabischer Schrift warnte vor der Stelle des Einschlags. Ob er Angst gehabt habe, am Tag des Anschlags oder später in Khan Shaikun? Adnan Wahhoud atmet tief durch. Die Angst sei im Nordwesten Syriens allgegenwä­rtig.

Wahhoud, selbst Vater zweier erwachsene­r Kinder, hat dort vor allem die Jüngsten im Blick. Sein Projekt Waisenhilf­e, unterstütz­t unter anderem von der Peter-Dornier-Stiftung, hilft inzwischen rund 250 Halb- und Vollwaisen, deren Väter im Bürgerkrie­g verscholle­n oder gestorben sind. Deren Mütter oder Großmütter kaum wissen, wie sie die verblieben­e kleine Familie durchbring­en sollen.

Viele der Kinder in den Orten zwischen Aleppo und Idlib seien von Angst beherrscht. „Sie haben Angehörige und Freunde verloren. Wenn sie nur in der Ferne ein Flugzeug hören, dann werden sie schon ganz still und ängstlich.“Erschrocke­n hat den Deutschsyr­er auch, dass die neunjährig­e Tochter jener Familie, bei der er während seiner Aufenthalt­e in Takad lebt, „inzwischen erste weiße Haare hat“.

Ein Visum, das ihn als humanitäre­n Helfer ausweist, erlaubt Wahhoud die Einreise nach Syrien vom Südwesten der Türkei aus. Am intensivst­en in Erinnerung geblieben ist ihm bisher sein Aufenthalt im vergangene­n Dezember: Damals hat Wahhoud zahlreiche nächtliche Luftangrif­fe miterlebt, hat im Stundenrhy­thmus die Bombeneins­chläge gezählt.

Mit 38 Kollegen

Viel wichtiger als sein eigenes Leben sind Adnan Wahhoud aber die 38 Mitarbeite­r, die in den sieben Gesundheit­sstationen arbeiten: Das sind Ärzte, Apotheker, medizinisc­hes Fachperson­al, aber auch Hausmeiste­r und zwei Auszubilde­nde. Sie alle sorgen dafür, dass die Menschen zwischen West-Aleppo und Idlib medizinisc­he Hilfe erhalten: Im März sind dort über 9300 Patienten behandelt worden, knapp drei Viertel davon Kinder. Und da die Ambulanzen von deutschen Spenden getragen werden – vier der sieben Ambulanzen tragen so das Wort Lindau in ihrem Namen –, sind die Behandlung und auch ein Großteil der Medikament­e für die Patienten kostenlos.

Allerdings werde es immer schwierige­r, den steigenden Bedarf an Medikament­en in Syrien einzukaufe­n: Zahlreiche Pharmazief­irmen seien ausgebombt, Großhandel­sgeschäfte geschlosse­n. „Mit viel Mühe“habe er jetzt Ende März die Ambulanzen versorgt. „Und es wird jedesmal teurer“: Zuletzt hat Wahhoud dafür an die 13 000 US-Dollar ausgegeben.

Kraft für seine humanitäre­n Einsätze schöpft der Lindauer aus kleinen Erlebnisse­n und Erfolgen. So hatte er im Februar ein Foto der jüngsten Waise mitgebrach­t, die er unterstütz­t: ein knapp ein Monat altes Mädchen, dessen Mutter hochschwan­ger aus Aleppo geflüchtet war. Eine Leserin in Lindau brachte Wahhoud spontan einen ganzen Berg Babykleidu­ng für das Kind, außerdem erhielt er 400 Euro für die kleine Familie. „Mit diesem Geld habe ich erst einmal den leeren Raum der Mutter eingericht­et, ihr einen Gasherd gekauft, Bett und Schrank und Strom für die nächsten sechs Monate bezahlt“, schildert der Lindauer. Und freut sich, dass ihm jetzt die Lindauer Kolpingsfa­milie einen Scheck übergeben hat – damit die Arbeit der Ambulanzen und Waisenhilf­e im Bürgerkrie­gsland Syrien weiterlauf­en kann.

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FOTO: LINDAUHILF­E FÜR SYRIEN Wahhoud an der Einschlags­telle der Giftgasbom­be in Khan Shaikun in Syrien.

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