Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Facebook will das Hirn vernetzen
Internetriese forscht an Technologie, mit der Menschen Gedanken direkt aus dem Kopf online bringen können
(dpa) - Katzenbilder, Statusmeldungen, Neuigkeiten: Wer glaubt, dass Facebook nur ein soziales Netzwerk zum Austausch ist, liegt falsch. Der Internetkonzern arbeitet auch an futuristischen Forschungsprojekten. Für Aufsehen sorgen jetzt die Pläne für eine Technologie, mit der Menschen direkt mit dem Gehirn schreiben können sollen. Die Chefin der Forschungsabteilung, Regina Dugan, stellte das Projekt auf der Entwicklerkonferenz F8 vor. „Es klingt unmöglich, aber es ist näher, als es Ihnen bewusst ist“, versicherte sie. Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Thema.
Warum beschäftigt sich Facebook mit diesem Thema?
Facebook-Chef Mark Zuckerberg ist fest davon überzeugt, dass Menschen in Zukunft nicht nur mit herkömmlichen Computern am Bildschirm und mit Tastaturen arbeiten werden oder konventionell mit dem Smartphone kommunizieren. Er stellt sich Umgebungen in einer virtuellen oder erweiterten Realität vor, in der Aktionen beispielsweise durch Sprachbefehle ausgelöst werden. Die direkte Steuerung per Gehirn ist der nächste logische Schritt.
Wo stehen Forscher bei der „Gehirn/Computer-Schnittstelle“heute?
Facebook-Managerin Dugan, die früher bei Googles Zukunftslabor und der Forschungsagentur DARPA des US-Verteidigungsministeriums arbeitete, leitet bei Facebook die Innovationsabteilung „Building 8“. Sie verwies auf ein aktuelles Forschungsprojekt an der kalifornischen Universität Stanford, bei der eine Patientin mit der Nervensystemerkrankung ALS, die sich nicht mehr bewegen kann, mit Hilfe von implantierten Gehirnsensoren acht Worte pro Minute tippen kann. Sie kann dabei auf einer virtuellen Tastatur einzelne Buchstaben ansteuern. Sie kommt dabei immerhin auf ein Drittel der Durchschnittsgeschwindigkeit, die Anwender eines Smartphones beim Tippen erzielen. Facebook will mit seinem Verfahren bei der fünffachen Tippgeschwindigkeit landen. „Selbst so etwas wie die Möglichkeit eines Ja/Nein-Klicks mit dem Gehirn würde unsere Fähigkeiten grundlegend verändern“, betonte Dugan. Es gehe nicht darum, wahllos Gedanken zu lesen, versicherte sie.
Will Facebook auch Elektroden in den Kopf implantieren?
Nein, das kürzlich aufgebaute Team von 60 Wissenschaftlern und Ingenieuren arbeitet laut Dugan an einem Verfahren, die Hirnsignale von außen optisch zu erfassen. Dazu benötige man allerdings Sensoren, die derzeit noch nicht existierten. Dugan sagt, man werde die Aktivität der Neuronen hunderttausende Male pro Sekunde messen und auf chemischem Niveau erkennen müssen, „wie sie Natrium einsaugen und Kalium ausstoßen“.
Wie sollen diese Sensoren funktionieren?
Dugan betonte, optische Sensoren böten ohne chirurgische Eingriffe die benötigte Auflösung. Kern der Idee sei das Herausfiltern von sogenannten quasi-ballistischen Photonen. „Wenn man einen Laser-Pointer an einen Finger hält, leuchtet der gesamte Finger rot.“Der Grund dafür, dass man nicht die Original-Auflösung des Laser-Pointers sehe, sei, dass die Photone mehrfach zerstreut würden. „Aber einige, sogenannte ballistische Photone werden überhaupt nicht zerstreut – nur gibt es zu wenige von ihnen. Quasi-ballistische Photone stehen dazwischen – sie werden zerstreut, aber nicht zu oft. Und wenn es uns gelingt, nur sie herauszufiltern, könnten wir die räumliche Auflösung bekommen, die wir brauchen, und genug davon für Messungen haben.“
Sind die Datenmengen im Gehirn nicht viel zu groß, um über technische Schnittstellen nach außen geführt zu werden?
Dugan verwies in ihrem Vortrag darauf, dass in einem menschlichen Gehirn rund 86 Milliarden Neuronen jeweils rund 1000 Signale in einer Sekunde senden. Um diese gewaltige Datenmenge nach außen zu leiten, benötigt man theoretisch die Kapazität eines modernen Glasfaserkabels, das ein Terabit pro Sekunde übertragen kann. Mit bislang verfügbaren Methoden – wie Sprache – könnten aber gerade mal 100 Bit pro Sekunde übermittelt werden. „Das wäre so, als würde man versuchen, 40 HD-Filme über ein altes Modem aus dem Jahr 1980 zu schicken.“
Forscht Facebook alleine an diesem Thema?
Nein, der „direkte Draht zum Denken“beschäftigt viele Forscher in aller Welt, darunter auch Wissenschaftler in Deutschland. So ist man am Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme in Tübingen in der Lage, die Gehirnaktivität eines Menschen durch sogenannte EEG-Signale mitzulesen. Die Forscher versuchen dabei zu entschlüsseln, welche Signale zu welchen Denkvorgängen gehören. Auch vollständig gelähmte Patienten sollen so etwa wieder mit der Umwelt kommunizieren können. Auch Tech-Milliardär und TeslaChef Elon Musk erforscht in einer neuen Firma, wie das menschliche Gehirn direkt mit Computern vernetzt werden könnte. Der 45-Jährige sei an dem Unternehmen Neuralink beteiligt, das entsprechende Elektroden entwickeln will, hatte das „Wall Street Journal“Ende März berichtet. Musk, Chef des Elektroautobauers Tesla und der Weltraumfirma SpaceX, hatte bereits bei einem Konferenz-Auftritt im vergangenen Jahr gesagt, dass er künstliches Nervengewebe zum Verbinden mit Computern für eine wichtige Zukunftstechnologie halte.