Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Der Model-Macher
Münchner Kunsthalle zeigt das Werk des Fotografen Peter Lindbergh
- Hübsche Kleiderständer waren ihm einfach zu wenig, also hat Peter Lindbergh das Star-Model mit Persönlichkeit erfunden. Die Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung richtet dem einflussreichsten Modefotografen der letzten 30 Jahre nun eine fulminante Schau aus.
Was ist schön? Peter Lindbergh stellt sich zwischen zwei untersetzte Herren mit äußerst dezentem Haarwuchs und schiebt seine Genussrundung in die Kamera. „Wir drei sind hier die Schönsten!“, feixt er, „das ist alles eine Frage des Selbstbewusstseins.“Dass ihm ausgerechnet die fragile Kate Moss mit einer definitiv kalorienfreien Kippe zwischen den Fingern über die Schulter blickt, muss dazu nicht im Widerspruch stehen, findet er. Sowieso ist dieser einflussreichste Modefotograf der letzten 30 Jahre nie in die Szene hochgezwirbelter Eitelkeiten eingetaucht und bei allem Erfolg auf dem Boden geblieben.
Werkschau mit 220 Arbeiten
„Es geht ja auch nicht anders“, grinst Lindbergh und meint damit: Wer gerne tafelt, kann nicht so leicht abheben. Trotzdem schwebt der 72Jährige ein ganz klein wenig über dem Parkett der Kunsthalle. Dass er nach Rotterdam nun auch in München mit einer 220 Bilder umfassenden Werkschau gefeiert wird, lässt ihn natürlich nicht kalt: „Is prima geworden, Terry, ganz prima“, drängt es über die Lippen.
Terry, das ist Thierry-Maxime Loriot, der Kurator mit einem ausgesprochenen Händchen für Mode. Bereits die Jean-Paul-Gaultier-Schau ging auf das Konto des Kanadiers. Ihm gelingt es, die glamouröse Couture-Welt nicht nur schillern zu lassen, sondern sie mit einer feinen Prise Ironie zu inszenieren.
Bei Lindbergh braucht sich Loriot nicht so sehr auf die Entwürfe der Designer zu konzentrieren. Die sind schon auf den Fotografien ansehnliches Beiwerk. Denn der Blick fällt auf Cindy Crawford, Tatjana Patitz, Helena Christensen, Amber Valletta, Claudia Schiffer, Naomi Campbell, Christy Turlington. Alle hat er sie mit seiner Nikon zu Stars gemacht. Lindbergh wollte Persönlichkeiten abbilden. Statt einer schwarzen Chiffonwolke von Chanel stand Anfang der 1990er-Jahre das Gesicht von Linda Evangelista im Mittelpunkt.
Vieles wurde möglich. Und also ließ Lindbergh die Mädels in weißen Oversize-Männerhemden über den Strand hüpfen oder in der Manier einer Straßengang durch Brooklyn ziehen, um die gesellschaftsfähig gewordene Bikerkluft von Versace zu präsentieren. Das war damals mindestens so neu und aufregend wie in den 1930er-Jahren Hermann Landshoffs Idee, die Mannequins aus den Studios ins Freie zu holen – auf Brücken, in den Zoo oder auf Sportplätze. Und hatte Landshoff bei Alexey Brodovitch, dem legendären Art Director von „Harper’s Bazaar“, so etwas wie Narrenfreiheit, wurde Lindbergh von der berühmt-berüchtigten „Vogue“-Chefin Anna Wintour für die wildesten Titel und Modestrecken engagiert.
Man braucht eine Chance, keine Frage, aber vielleicht ist es auch das Unverkrampfte, das den Mann aus dem Ruhrpott so weit gebracht hat, dieses „Mal sehen, was sich so ergibt“. Lindbergh, der in jungen Jahren noch Brodbeck heißt, fängt ohne besondere Ambitionen als Schaufensterdekorateur bei Karstadt in Duisburg an. Dann packt ihn doch die Begeisterung für die Kunst, und er beginnt in Krefeld Malerei zu studieren. Die Kamera ist da noch weit weg. Aber der Bruder will irgendwann Fotos von den Kindern haben, und weil es mit Lindberghs eher konzeptionellen Kunst in den 1960ern nichts wird, ist das der Wink in die richtige Richtung.
Erst arbeitet er in Düsseldorf als Assistent beim Fotografen Hans Lux, dann schafft es Lindbergh in nur zehn Jahren an die Spitze. Der „Stern“, „Harper’s Bazaar“, die „Vogue“, „Marie Claire“und auch der „Rolling Stone“klopfen bei ihm an. Deshalb sieht man bei aller Betonung der hoch bezahlten Fashion-Shootings immer wieder Gesichter von Rock- und Kinogrößen: eine herrlich beschwingte Tina Turner, die im Flatterröckchen am Eiffelturm turnt, eine Jeanne Moreau, die sich so gar nicht um ihr reifes Image schert, Stones-Faltenikone Keith Richards oder Pina Bausch, die Mater dolorosa des deutschen Tanztheaters, über die Lindbergh 2001 einen experimentellen Film dreht. Dazwischen leuchtet die natürlich schöne Jil Sander in ihrer hanseatischen Zurückhaltung. Dieses Gesicht mit den zarten Fältchen, dem offenen Blick und dem von einem feinen Lächeln umspielten Mund hat mehr gezogen als jede noch so gelungene Inszenierung ihrer sagenhaft schlichten Kreationen.
Inspiriert vom Kino
Es sind Typen, die das OEuvre Lindberghs bestimmen, die lose nach Themen geordnet ist. Dazu gehören etwa Lindberghs Bezüge zum Film – „Metropolis“und der „Blaue Engel“haben ihn sichtlich beeinflusst – oder die großen Couturiers, die nur selten über ihren selbstgefälligen Schatten springen. Lindbergh hat das Bild von Marken, ja von kompletten Modekonzernen geformt.
Weniger bekannt ist Lindberghs Auseinandersetzung mit dem Tanz. Etwa wenn sich seine Kamera in die Muskeln der Bolschoi-Malocher gräbt und geschundene, schöne Körper festhält. Hoch konzentriert sind hier die Blicke und von tiefem Ernst.
Überhaupt dominieren in der Schau die melancholischen Gesichter. Und auch da war Lindbergh stilprägend. Lächeln sei ihm zu einschichtig, bekennt er. „Wer schnell etwas verkaufen will, lacht“. Der Umsatz der Modebranche schoss mit diesen Aufnahmen in nie gekannte Höhen.
Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung, bis 27. August, täglich von 10 bis 20 Uhr, www.kunsthalle-muc.de. Im Taschen Verlag ist ein opulenter 400-Seiten-Band zum Preis von 59,99 Euro erschienen.