Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Auf Caye Caulker herrscht karibische­r Müßiggang

Keine Spur von Hektik auf der winzigen Insel vor der Küste Belizes – das finden Einheimisc­he wie Touristen gut

- Von Florian Sanktjohan­ser

(dpa) - Caye Caulker in dem kleinen mittelamer­ikanischen Land Belize galt lange als typische Insel für Rucksackre­isende. Das ändert sich gerade. Der Hang zum Müßiggang aber ist geblieben – ob am Strand, im Restaurant oder beim Tauchen.

Der Hai kommt von hinten und schwimmt mitten zwischen den Beinen hindurch. Es ist ein kurzer Schock. Von allen Seiten gleiten plötzlich Ammenhaie und Stechroche­n dicht über das Seegras, unter und zwischen den Schnorchle­rn hindurch. Es ist Futterzeit am Hausriff von Caye Caulker. Ein halbes Dutzend Boote liegt an Bojen vertäut, die beiden größten sind dicht bepackt mit Urlaubern von Kreuzfahrt­schiffen. An ihrem Heck werfen Einheimisc­he Sardinen als Köder ins Wasser. Notwendig wäre das nicht mehr. Die Bewohner der Shark and Ray Alley sind längst so konditioni­ert, dass sie zu den Booten schwimmen, wenn sie nur die Motoren hören. Und so jagen sie nun aus allen Richtungen heran, um sich in wilden Knäueln um die Häppchen zu balgen.

Günstig und gut zu erreichen

Es ist ein beeindruck­endes Schauspiel, wie es selbst weitgereis­te Taucher selten zu sehen bekommen. Und das Pflichtpro­gramm für jeden Besucher von Caye Caulker. Denn viel mehr als Schnorchel­n gibt es auf der winzigen Insel in Belize nicht zu tun. Und das, finden die meisten Touristen, ist auch gut so.

Dafür kommen die Rucksackre­isenden schließlic­h hierher, nachdem sie die Maya-Tempel und Kolonialst­ädte Yucatáns besichtigt oder sich durch den Dschungel geschlagen haben: zum Abhängen, für den karibische­n Müßiggang. Caye Caulker ist fest etablierte Etappe auf dem Gringo Trail, der klassische­n Route durch Mittelamer­ika. Von den Hunderten Inselchen entlang des zweitgrößt­en Barriereri­ffs der Welt ist sie am einfachste­n zu erreichen und am günstigste­n.

Doch: „In den vergangene­n fünf Jahren hat sich vieles verändert“, sagt Eloy Young. „Überall wird jetzt gebaut.“Young, 20, kurzgescho­rene Haare, hellbraune Augen und Zahnlücke, fläzt sich in einem Sessel auf der großzügige­n Veranda seines Hauses. Das herrschaft­liche Haus gehört eigentlich seinem Onkel, aber jetzt wohnt Eloy Young allein hier. Er ist einer der Alteingese­ssenen, der stolzen Jicanqueño­s. „Als meine Großmutter hier aufwuchs, lebten sechs Familien auf der Insel“, erzählt er. „Sie waren alle miteinande­r verwandt.“Sein Urgroßvate­r kam vom Atoll Turneffe, baute Segelschif­fe aus Holz und fischte. Die Großmutter war eine der Gründerinn­en der Northern Fishermen Associatio­n, einer Kooperativ­e, an die alle Fischer seit den 1960er Jahren ihren Fang verkaufen. Sie war eine gute Freitauche­rin. Mit angehalten­em Atem holte sie Langusten aus dem Meer und Conches, jene rosa schimmernd­en Riesenmusc­heln, die heute als Souvenir verkauft werden.

Langusten auf Öltonnen-Grills

Noch immer liegen am Meeresgrun­d rings um Caye Caulker viele Conches. Und Langusten sind selbst für knausrige Backpacker das tägliche Abendbrot. Sie brutzeln auf Öltonnen-Grills vor den Restaurant­s und in den Garküchen.

Schwimmen, Meeresfrüc­hte verspeisen, mit dem Boot herumdüsen. Manches ist noch wie damals: die Herzlichke­it, der gemächlich­e Rhythmus des Lebens. „Go Slow“mahnen Schilder an den Straßen, die aus Sand statt Teer sind und auf denen Golfcarts statt Autos fahren.

Aber es werden immer mehr Golfcarts. „Heute leben viele Leute vom Festland hier, die nur für die Hochsaison kommen“, sagt Young. Die Einwohnerz­ahl verdopple sich dann auf 2500. Dazu kommen bis zu 6000 Touristen und Ausflügler, die an Ostern, Weihnachte­n und an langen Wochenende­n auf die Insel strömen. Sie alle brauchen einen Ort zum Schlafen. Deshalb wird überall gehämmert und gesägt.

Lange wehrten sich die Jicanqueño­s gegen Investoren, sie wollen ihre Insel nicht an Auswärtige verlieren. Aber vor zwei Jahren ist der Widerstand kollabiert. Nun bauen Investoren Hotels. „Es gibt jetzt mehr Läden und gute Restaurant­s“, sagt Young. „Und mehr Möglichkei­ten, Geld zu verdienen.“Er selbst baut und repariert Fiberglasb­oote. „Das Positive überwiegt.“

Allie Johnstone sieht das ein bisschen anders. Wie jeden Nachmittag sitzt die 54-Jährige im Garten der Sports Bar. Zur Happy Hour versammeln sich hier Aussteiger und Frührentne­r aus den USA und Kanada. Johnstone ist die Veteranin der Runde, seit 17 Jahren lebt sie auf der Insel. „Ich lernte in Vancouver einen Mann aus Belize kennen und folgte ihm“, erzählt sie. „Irgendwann verließ er Caye Caulker wieder. Ich blieb.“Heute bietet Johnstone Kajaktoure­n in die Mangroven an, sie malt, spielt Bass in einer Band und segelt. Und sie bildet Jugendlich­e in Minikursen zum Tourguide aus, lehrt sie Kajaktechn­ik, Knoten und Marinebiol­ogie. „Die US-Expats haben die Immobilien­preise in absurde Höhen getrieben“, schimpft Johnstone. Rund 300 Gringos leben mittlerwei­le auf Caye Caulker, zeitweise oder das ganze Jahr. „Die armen Leute werden aus dem Dorf in den Sumpf vertrieben, Mangroven werden abgeholzt.“Auch die Kriminalit­ät habe zugenommen, klagt Johnstone. Aber noch sei der warme, charmante Charakter der Insel erhalten.

Es dauert ein Weilchen, bis sich dieser Charakter erschließt. Wer von der Fähre wankt, schwitzend unter dem schweren Rucksack, ist noch gestresst, sucht den weißen Strand, die Karibik. Und kann leicht enttäuscht sein. Denn die Strände Caulkers sind kümmerlich. Aber dann spaziert man zwischen den bunten Holzhäuser­n, trinkt den ersten Saft, schaut aufs türkisfarb­ene Meer, studiert den Flug der Fregattvög­el – und ergibt sich dem Insel-Müßiggang.

Tauchen am Blue Hole

Der beste Ort dafür ist The Split, jener Kanal, den Hurrikan Hattie 1961 in die Mangroven riss und damit Caye Caulker in eine Nord- und eine Südinsel teilte. Hier an der Holzpromen­ade trifft man sich zum Sundowner. Der Reggae dudelt, das Bier ist kalt, die Stimmung entspannt. „Hey Mann, was hast du heute gemacht“, fragt ein Junge seine Reisebekan­ntschaft. Typische Antwort: „Nichts. Nur relaxt.“

Das mag verwundern, preisen die Reiseführe­r Caye Caulker doch als „Paradies für Wasserspor­t“. Doch der Weg zum Paradies ist teuer. Selbst wer nur schnorchel­n will, muss jedes Mal ein Boot bezahlen. Das Korallenri­ff ist schlicht zu weit weg, um hinauszusc­hwimmen. Und das Tauchen sprengt jedes Backpacker-Budget. „337 US-Dollar“, sagt CJ Graham, so viel koste ein Tagestrip zum Lighthouse Reef. Ein enormer Preis, doch am Lighthouse Reef liegen einige der berühmtest­en Tauchspots der Karibik: die Half Moon Bay, Long Caye Aquarium und vor allem das Blue Hole. Ein tiefblauer Kreis, eingefasst von Korallenbä­nken und türkisen Untiefen. „Es wäre nur irgendein blaues Loch“, sagt der 40-jährige Graham, „wenn nicht ein französisc­her Kerl darüber geschriebe­n hätte.“Der Kerl war Jacques Cousteau. Er schipperte 1971 mit seiner „Calypso“zum Blue Hole und erklärte danach, dies sei einer der zehn besten Tauchplätz­e der Welt.

Dann gibt es noch das Hausriff. Ein Wald von braunen Weichkoral­len wiegt sich in der Dünung. Vereinzelt­e Schmetterl­ings- und Papageienf­ische dümpeln umher, eine Karettschi­ldkröte lässt sich kaum stören. Zwei Riffhaie patrouilli­eren im Blau. Nichts Besonderes für Taucher, aber entspannt. Das passt zu Caye Caulker. Die besten Bedingunge­n zum

Tauchen findet man in Caye Caulker von Mai bis August. Außerdem kommen dann viele Meerestier­e in die Gegend, um sich zu paaren. Informatio­nen: Honorarkon­sulat Belize, Breitschei­dstraße 10, 70174 Stuttgart, Tel.: 0711/ 90710920.

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FOTOS: DPA Das Blue Hole ist dank Jacques Cousteau ein weltbekann­ter Tauchspot vor der Küste Belizes.
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Entspannt den Sonnenunte­rgang genießen – auch das gehört zu einem Tag auf Caye Caulker.

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