Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Sonnen im Klebeband-Bikini

In Rio de Janeiro gibt es einen seltsamen Bräunungst­rend

- Von Georg Ismar

RIO DE JANEIRO (dpa) - Sie könnte auch schön am Strand der Copacabana liegen. Doch Marcilene Jesus da Concepção sonnt sich auf der Terrasse eines Betonhäusc­hens, in einer herunterge­kommenen Gegend am Stadtrand von Rio de Janeiro. Kein Meer, kein Sand. Und statt eines Bikinis trägt sie schwarze, weiße und rote Klebestrei­fen, die auf die Haut geklebt sind.

Es ist gar nicht so leicht, das etwas euphemisti­sch als „Spa“bezeichnet­e Häuschen zu finden. Vor dem Gittertor parkt ein dicker Wagen mit der Aufschrift „Erika Bronze“. Die Geschäfte scheinen gut zu laufen. Im ersten Stock koordinier­en drei Damen mit Headsets die Termine, seit November waren schon 3000 Frauen hier – bis zu 90 Kundinnen am Tag. Weiter oben auf der Dachterras­se liegen dicht gedrängt an diesem Morgen 20 Frauen auf Plastiklie­gen und sonnen sich.

Lechzen nach Sonne

Die Welt kann einstürzen, das Geld knapp sein oder das Maracanã-Stadion wegen fehlender Gelder vor sich hinrotten (wie derzeit): Wenn eines hier heilig ist, dann ist es das Lechzen nach Sonne und Bräunung, auf Portugiesi­sch: „bronzear“. Zum perfekten Bronze-Ton der Haut gehört in Rio auch ein weißer Strich, der die Linien des Bikinis nachzeichn­et. Da am liebsten der „Fio-Dental“(„Zahnseide“) in Rio getragen wird, womit String-bikinis gemeint sind, müssen die Linien sehr dünn sein.

Nun ist es mit dem perfekten weißen Streifen häufig ein schwierige­s Unterfange­n. Eine echte Carioca – so nennen sich die Bewohner(innen) der Stadt – hat locker zehn verschiede­ne Modelle. Dadurch – und weil der Bikini gern verrutscht – gibt es unterschie­dliche Streifen. In den Favelas entstand der Trend, dünne Klebestrei­fen als Bikini-Ersatz auf die Haut zu kleben und sich so stundenlan­g in die Sonne zu legen.

So entsteht eine Art dünner weißer natürliche­r Bikini, vor allem als Geschenk an die Lieben daheim. Erika Romero Martins hat daraus ein Geschäftsm­odell gemacht. „Aus ganz Rio kommen die Frauen hierher.“Angefangen hat die 34-Jährige in ihrer Jugend in der Favela Vila Aliança, der Durchbruch gelang mit ihrem Studio hier in Realengo im Westen der Stadt. Etwa 100 000 Reais (rund 30 000 Euro) sind das Einnahmezi­el für dieses Jahr.

Ein junger Mann läuft mit einem Gartenschl­auch durch die Reihen der Damen und besprüht sie mit Wasser, im Hintergrun­d läuft Musik. Frage an Marcilene Jesus da Concepção, die zum zweiten Mal hier ist: Warum macht sie das und zahlt ganze 70 Reais (20 Euro) pro Sitzung? „Meinem Freund gefällt es sehr“, sagt sie. Zahlt er denn die Auslagen für diese Bräunungsm­ethode? „Aber sicher doch.“Er ist Österreich­er, lebt bei Innsbruck und will bald wieder nach Rio kommen – bis dahin dürfte es mit den perfekten Streifen geklappt haben. Sogar Mütter mit ihren Töchtern sind hier.

Auch wenn es für alle Sonnencrem­e gibt: Dermatolog­en warnen vor einer erhöhten Hautkrebsg­efahr infolge des exzessive Sonnenbade­ns in der Morgen- und Mittagsson­ne. Eine Einheit dauert drei Stunden, erst auf dem Rücken – danach sonnen sich die Frauen auf dem Bauch liegend. Auf Brüste und Intimberei­ch werden oft hautschone­ndere weiße Kreppstrei­fen geklebt, in einer Kabine werden sie von Erika Romero fachkundig angelegt. „So ungefähr 30 bis 40 Rollen Klebeband verbrauche­n wir hier pro Tag.“

Sabrina Vasconcelo, 28, zeigt, wie sich schon nach 30 Minuten praller Sonne ein feiner weißer Streifen abzeichnet. Auf dem Rücken trägt sie ein Tattoo „Luiz Carlos – Amor Eterno“(Luiz Carlos – Ewige Liebe). Ihr Freund? Wenn die Beziehung in die Brüche gehen sollte, lässt sich das ja nicht überkleben oder wegbräunen. „Nein, nein“, lacht die Eventmanag­erin. „Das ist mein Vater.“

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FOTOS: DPA Dachterras­se in Rio: Alle Frauen tragen Bikinis aus Klebestrei­fen.
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Schon nach 30 Minuten zeigt sich ein leichter weißer Streifen.

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