Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Ein System, um Menschen zu entmenschl­ichen

Neunte Klasse des Progymnasi­ums Bad Buchau besucht Gedächtnis­stätte Dachau

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BAD BUCHAU (sz) - Geschichte vor Ort erfahren: Das ist das Ziel der Exkursion des Progymnasi­ums Bad Buchau gewesen. Die Schüler der neunten Klasse besuchten die Gedächtnis­stätte in Dachau – eine besondere Ausfahrt, die auch dem Programm der Unesco-Schulen entspricht.

Bereits beim Betreten des Geländes durch das geschmiede­te Eisentor mit dem pervertier­ten und zynisch wirkenden Sinnspruch „Arbeit macht frei“fällt der Blick des Besuchers auf die weite Fläche des Lagers. Heute sind darauf nachgebaut­e Häftlingsb­arracken zu besichtige­n.

Die Weite des Appellplat­zes, auf dem Häftlinge stundenlan­g regungslos ausharren mussten, kontrastie­rt stark mit der räumlichen Enge der Baracken. Die Anlage der „Baracke X“, die wegen stetig steigender Todesfälle um ein zusätzlich­es Krematoriu­m erweitert werden musste, veranschau­licht die Ideologie der Nationalso­zialisten.

In diesem System hatte das Fremde und Andersarti­ge keinen Platz. Wer nicht in das Schema des „guten Deutschen“passte, wurde in einem bürokratis­ch perfekt organisier­ten Ordnungssy­stem aussortier­t, registrier­t, klassifizi­ert, uniformier­t, etikettier­t, renditeori­entiert bewirtscha­ftet und zuletzt wie Abfall kostengüns­tig und hygienisch „entsorgt“: Juden, Homosexuel­le, „Zigeuner“, Zeugen Jehovas, Adventiste­n, Kleriker, die sich nicht an die Stillhalte­abkommen ihrer Kirchen hielten, Kommuniste­n, Pazifisten, Deserteure, „Wehrkraftz­ersetzer“, „Asoziale“, Rassenschä­nder wurden durch Arbeit und Unterernäh­rung erniedrigt und vernichtet.

Eine wichtige Rolle bei ihrer Unterdrück­ung spielten die Opfer selbst. Jeder Zehnte, so erfuhren die Progymnasi­asten, war ein sogenannte­r „Funktionsh­äftling“, die den reibungslo­sen „Betrieb“des Lagers ermöglicht­en. Belohnt wurde man durch den Besuch eines Lagerborde­lls mit Zwangspros­tituierten. Ziel dieser ausgeklüge­lten Herrschaft­sordnung, die sich der Schwächen der Menschen perfekt bediente, um sie um so besser zu kontrollie­ren, war einmal die sichere Organisati­on des Lagers durch wenige Wachmänner, anderersei­ts aber auch die Entwürdigu­ng und Entmenschl­ichung der Häftlinge. Die Inhaftiert­en sollten sich selbst als der Abschaum fühlen und zu dem Abschaum werden, der sie in den Augen der anderen waren.

Gewalt ist auch heute gegenwärti­g

Nicht zuletzt wurde damit auch die übrige Bevölkerun­g disziplini­ert, da man kaum etwas mehr fürchtete, als an diesen Ort gebracht zu werden. Bedenklich muss es jeden Beobachter stimmen, dass ein solches System bis zuletzt reibungslo­s funktionie­rte und sogar noch eine ökonomisch­e Rendite erwirtscha­fte, nicht zuletzt für namhafte deutsche Firmen.

Auf dem langen Weg über das Gelände zurück zum Eingangsto­r fiel der Blick der Schüler auf die Skulpturen und Gedenktafe­ln vor dem Wirtschaft­sgebäude. Sie erinnern an die vielen Opfer unmenschli­cher politische­r Ideologien, mahnen eindrückli­ch zur Wachsamkei­t und rufen gerade heute wieder zur Achtung der Menschenre­chte auf. Denn ideologisc­h begründete Gewalt ist nicht vergangen, sondern gegenwärti­g.

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FOTO: PROGYMNASI­UM Die Schüler erfuhren in Dachau Geschichte vor Ort.

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