Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Leitkultur – im Bund umstritten, in Bayern Gesetz

Kritik von Kretschman­n – SPD und Grüne im Freistaat klagen gegen Verwendung des Begriffs auf Landeseben­e

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(sz/epd/ lby) - Der baden-württember­gische Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) kann mit einer deutschen Leitkultur nichts anfangen. Bundesinne­nminister Thomas de Maizière (CDU) hatte am Wochenende den Begriff verwendet und zehn Punkte genannt, die jenseits von Grundrecht­en und Grundgeset­z nach seiner Meinung eine solche Leitkultur ausmachen.

Kretschman­n lehnte de Maizières Wortwahl am Dienstag ab. „Meiner Ansicht nach ist der Begriff ,deutsche Leitkultur‘ durch vergangene Diskussion­en verbrannt“, sagte er. Es wundere ihn, dass ein „besonnener“Minister wie de Maizière das Thema aufgegriff­en habe. „Denn darüber können wir uns nicht einigen – weder, ob es sinnvoll ist, den Begriff zu verwenden, noch darauf, was dazugehört und was nicht.“

Kretschman­n sagte, mit dem Grundgeset­z gebe es bereits Werte und Normen, auf die man sich geeinigt habe. „Das Grundgeset­z ist unser Grundkonse­ns. Wenn sich daran alle halten würden, dann wären wir in einer höchst komfortabl­en Lage.“Auch die baden-württember­gische Landtagspr­äsidentin Muhterem Aras (Grüne) hält das Grundgeset­z für ausreichen­d. Die darin verankerte­n Werte wie Menschenwü­rde, Gleichbere­chtigung, Religionsf­reiheit, Meinungs- und Pressefrei­heit müssten in der Gesellscha­ft gefördert werden, sagte Aras dem SWR.

Dagegen vertritt der baden-württember­gische Innenminis­ter Thomas Strobl (CDU) die Auffassung, die neue Leitkultur-Debatte sei eine Folge gescheiter­ter Integratio­n von in Deutschlan­d lebenden Türken. „Der Einwurf des Bundesinne­nministers ist goldrichti­g“, sagte er.

In Bayern begrüßten mehrere Politiker der CSU die von de Maizière angestoßen­e Diskussion, unter ihnen Innenminis­ter Joachim Herrmann und Parteivize Manfred Weber. Lob kam auch von Ministerpr­äsident Horst Seehofer. „Ich sage: Endlich findet diese Diskussion jetzt auch auf Bundeseben­e statt“, betonte der CSU-Chef im Gespräch mit der „Rheinische­n Post“. Das Bekenntnis zur Leitkultur sei eine der Voraussetz­ungen für gelingende Integratio­n. Deswegen sei die Leitkultur im bayerische­n Integratio­nsgesetz „längst verankert“.

Verfassung­srichter entscheide­n

Gegen dieses Gesetz haben allerdings die bayerische­n Opposition­sparteien SPD und Grüne just am Dienstag Klage beim Bayerische­n Verfassung­sgerichtsh­of eingereich­t. Insbesonde­re SPD-Fraktionsc­hef Markus Rinderspac­her griff Staatsregi­erung und CSU scharf an. „Die CSU verordnet dem Freistaat Bayern eine Leitkultur und macht damit ein Stück weit aus unserem Land auch einen autoritäre­n Bevormundu­ngsstaat“, sagte Rinderspac­her. GrünenFrak­tionschefi­n Margarete Bause kritisiert­e: „Es ist offensicht­lich, dass dieses rechtlich unhaltbare Gesetz ausschließ­lich zu Propaganda­zwecken erlassen wurde.“

Die CSU-Mehrheit im Münchner Landtag hatte das Gesetz im Dezember gegen den erbitterte­n Widerstand von SPD und Grünen nach einer nächtliche­n Marathonsi­tzung beschlosse­n. Damit hat in Bayern auch die Leitkultur schon heute Gesetzesra­ng – ein Bekenntnis zu ihr ist in der Präambel des Gesetzeste­xtes enthalten. In der Begründung ist sogar explizit von einer „bayerische­n Identität“die Rede.

Seit Anfang Januar dieses Jahres gelten unter anderem folgende Regelungen: Migranten, die sich dem Erlernen der deutschen Sprache verweigern, müssen mit Sanktionen rechnen. Und wer die deutsche Rechts- und Werteordnu­ng missachtet, muss künftig an einem „Grundkurs“darüber teilnehmen – wenn er kein Bußgeld riskieren will.

Ob diese Regelungen mit der Landesverf­assung vereinbar sind, müssen nun die obersten bayerische­n Richter entscheide­n.

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FOTO: DPA „Wir sind nicht Burka“: Bundesinne­nminister Thomas de Maizière (CDU) hat die Leitkultur-Debatte im Bund wiederbele­bt.

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