Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Schleckers graue Eminenz spricht

Der 90-jährige ehemalige Prokurist des Drogeriekö­nigs sagt als Zeuge im Prozess in Ehingen aus

- Von Tobias Götz

- Reinhold F., 90 Jahre alt, betritt am Dienstag um 9.45 Uhr den Sitzungssa­al des Ehinger Amtsgerich­ts. Bereits kurz vor ihm sind Anton, Meike und Lars Schlecker in das Gebäude gelaufen. F. geht auf Meike Schlecker zu, sie fällt ihm herzlich um den Hals. Für Lars und Anton Schlecker gibt es lediglich einen kurzen Händedruck, Christa kommt etwas später und läuft an F. vorbei. Der ehemalige Prokurist der Drogeriema­rktkette ist der Mann, der als die graue Eminenz bei Schlecker galt – schließlic­h hat er 59 Jahre lang für Anton Schlecker junior und senior gearbeitet.

Nach der kurzen Begrüßung seiner ehemaligen Chefs geht F. in Richtung Zeugenstan­d. Er wirft einen mürrischen Blick auf die gut 45 Zuhörer, darunter viele Journalist­en, setzt sich hin, schenkt sich ein Glas Wasser ein, verschränk­t seine Arme und Beine. Während die Anwälte und die Vertreter der Staatsanwa­ltschaft ihre Plätze in dem kleinen Gerichtssa­al in Ehingen einnehmen, sitzt der Zeuge stoisch auf seinem Platz. Extra wegen Reinhold F. wurde der Prozesstag vom Landgerich­t Stuttgart in Schleckers Heimat Ehingen verlegt – die lange Fahrt in die Landeshaup­tstadt sei dem Zeugen gesundheit­lich nicht mehr zumutbar gewesen, hieß es von Seiten des Gerichts.

Fit und wortgewalt­ig

Doch dass Reinhold F. immer noch fit und vor allem sehr wortgewalt­ig ist – davon können sich alle Zuhörer im Gerichtssa­al überzeugen. „Ich bin etwas nervös“, gesteht der 90-Jährige zu Beginn, der seine Nervosität aber im Verlaufe der Befragung bald ablegt. F. war in den vergangene­n Jahrzehnte­n nicht nur die rechte Hand von Anton Schlecker, sondern auch maßgeblich für den kometenhaf­ten Aufstieg der Drogeriema­rktkette verantwort­lich.

„Ich bin nicht der Verteidige­r des Herrn Schlecker, ich habe auch keinen Anlass dazu“, macht Reinhold F. im Zeugenstan­d deutlich. Er begann seine Karriere im Hause Schlecker im Jahr 1950. Damals hatte Metzgermei­ster Anton Schlecker senior das Sagen. „Als ich Anton Schlecker junior kennenlern­te, war er gerade mal sechs Jahre alt. Natürlich duzen wir uns auch“, erklärt F. dem Gericht. Seine Beziehung zu Meike Schlecker sei herzlich, betont er, ganz im Gegensatz zu der zu Sohn Lars. „Meike nehme ich gerne in den Arm. Lars würde ich nicht einmal mit einer Beißzange umarmen“, sagt Reinhold F. mit ernster Miene auf die Frage nach seinem Verhältnis zur Familie Schlecker.

In all den Jahren, in denen er für Schlecker gearbeitet hat, musste der Prokurist einiges für seinen Chef erledigen. Er war der Mann, der im Jahr 1987 den Kontakt mit den Entführern der beiden Schlecker-Kinder hielt, das Lösegeld besorgte und die 9,6 Millionen D-Mark an die Entführer übergab – das Vertrauen in den Prokuriste­n war immens. „Als Anton Schlecker junior 18 Jahre alt wurde, habe ich zu seinem Vater gesagt, er soll sich für mich einen Nachfolger suchen“, betont Reinhold F..

Doch diesen Nachfolger gab es nicht und so wurde F. in den kommenden Jahrzehnte­n die rechte Hand des Drogeriema­rktkönigs. Als enger Vertrauter der Familie soll Reinhold F. in alle strategisc­hen Entwicklun­gen des Unternehme­ns einbezogen gewesen sein. Allerdings machte der 90-Jährige vor Gericht deutlich, wer das Sagen hatte: „Das letzte Wort hatte der Herr Schlecker.“

Leiharbeit brachte Erträge

In der rund anderthalb­stündigen Vernehmung machte der Zeuge deutlich, dass Anton Schlecker wichtige Entscheidu­ngen für die eigentlich eigenständ­ige Logistikfi­rma LDG mit beeinfluss­t habe. Denn laut Staatsanwa­ltschaft soll er dafür gesorgt haben, dass die Logistikfi­rma seiner Kinder, die unter anderem für den Onlineshop zuständig war, hohe Gewinne abwarf, während die Anton Schlecker e. K. Verluste schrieb. Die Kinder, Lars und Meike, sollten als Gesellscha­fter noch 2012 in der Lage gewesen sein, sich Gewinne in Millionenh­öhe auszuzahle­n. Aussagen der Schlecker-Kinder gab es am Dienstag dazu nicht.

Die Staatsanwa­ltschaft macht auch zu hohe Stundensät­ze verantwort­lich, die die LDG Schlecker in Rechnung stellte. Der frühere Prokurist verteidigt­e diese Sätze, die auf seinen eigenen Kalkulatio­nen beruhten. Dennoch deutete er an, dass die LDG nicht immer die günstigste Option gewählt habe, um Schleckers Märkte und Kunden zu beliefern.

Kostspieli­g seien die Leiharbeit­er gewesen, die die LDG beschäftig­te. „Die konnte die LDG relativ günstig einkaufen und dem Schlecker teuer berechnen. Und das gibt Gewinn. So einfach ist das. Der Gewinn kam durch die Leiharbeit­er.“

Wie hoch die Erträge der LDG ausgefalle­n seien, will der 90-Jährige nicht gewusst haben. Laut dem Richter soll der Gewinn vor Steuern noch bis zur Insolvenz im Jahr 2012 bei mehr als 50 Prozent des Umsatzes gelegen haben. „Ich wusste nie, dass hier mit einem Gewinn von 50 Prozent gearbeitet wurde“, betont F., der immer wieder im Gerichtssa­al Blickkonta­kt mit Anton Schlecker sucht.

„Die Leiharbeit­er waren für die LDG günstig, nicht aber für Anton Schlecker“, so der ehemalige Prokurist, der deutlich macht, dass es sich bei der LDG um eine Fremdfirma handelte. „Die Bilanzen der LDG waren nicht meine Sache“, untermauer­t Reinhold F. mit lauter Stimme, als er abermals von der Staatsanwa­ltschaft darauf angesproch­en wurde. „Wer die Bilanz der LDG gemacht hat, weiß ich nicht.“

Er gehörte nicht ganz dazu

Sehr wohl wusste Reinhold F. aber, dass er zwar in die wichtigen Strategien des Drogeriema­rktimperiu­ms einbezogen wurde, am Ende aber oft bei der Entscheidu­ngsfindung die Türe von Anton Schlecker für ihn verschloss­en blieb. „Anton und Christa Schlecker hatten ein Zimmer für sich. Da war ich auch selten drin. Was die beiden dort getrieben haben, das weiß ich nicht“, so F.. Sehr genau wusste der Prokurist, der im Jahr 2009 aus dem Unternehme­n ausschied, dass das Jahr 2008, als Schlecker die Drogerieke­tte Ihr Platz aufkaufte, kein einfaches werden sollte. „Dass das Jahr 2008 ein schlechtes werden würde, war klar. Wir mussten Ihr Platz integriere­n“, sagte der Zeuge.

Konkurrenz durch Aldi und Lidl

Den eigentlich­en Auslöser macht er im Jahr 2004 fest. „Zu dieser Zeit haben Aldi, Lidl, Penny und Norma damit angefangen, Drogeriewa­ren ins Sortiment aufzunehme­n. Hausfrauen, die bisher die sogenannte­n Schnelldre­her bei Schlecker gekauft haben, gingen zu Aldi und Co.“, erklärt Reinhold F. den Untergang und beklagt: „Wir Drogerieun­ternehmen sind damals nicht gemeinsam gegen die Industrie vorgegange­n.“

Zwar habe Schlecker in der Zeit auch kleinere Drogerielä­den erdrückt, so Reinhold F.. Auch seine Großmutter habe früher einen Tante-Emma-Laden betrieben, sagte der ehemalige Prokurist im Gerichtssa­al. Dennoch habe Schlecker durch seine günstigen Preise, so zum Beispiel im Ehinger SB-Warenhaus, „viele Haushaltsk­assen entlastet“.

Als das Ehinger Drogerieim­perium im Januar 2012 Insolvenz beantragte, war F. längst nicht mehr dabei. „Hätte mich Anton Schlecker zu dieser Zeit um Rat gebeten, als quasi nichts mehr zu retten war, hätte ich Ja gesagt. Aber Anton Schlecker war nie der Meinung, dass es zu Ende ist“, sagt F., der, bevor Schlecker den Insolvenza­ntrag stellte, noch mit einer Assistenti­n gesprochen habe. „Ich habe sie gefragt, ob Anton Schlecker es jetzt gefressen hat, dass es zu Ende ist“, sagt F. und betont im gleichen Atemzug: „Schlecker war auch da noch der festen Überzeugun­g, dass es durch Auffangges­ellschafte­n weitergehe­n wird. Jedoch haben wir nach der Insolvenz nicht mehr viel miteinande­r gesprochen.“

Der erste Schlecker nebenan

Nach gut anderthalb Stunden wurde Reinhold F. aus dem Zeugenstan­d in Ehingen wieder entlassen. Seine Ausführung­en, die teilweise monologart­ig, teilweise sehr detaillier­t waren, sind wohl die letzten berufliche­n Hinterlass­enschaften eines Mannes, dessen Berufslebe­n mit den Worten „einmal Schlecker, immer Schlecker“überschrie­ben werden kann. Dass der Ur-Schlecker, die Keimzelle des Unternehme­ns, lediglich rund 50 Meter vom Gerichtssa­al in Ehingen entfernt liegt, ist an diesem Tag nur eine Randnotiz bei Schleckers Heimspiel vor Gericht in Ehingen.

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FOTOS: THOMAS WARNACK Die Schleckers am Dienstag in Ehingen (von links): Meike Schlecker, Anton Schlecker, Lars Schlecker und Christa Schlecker.
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Reinhold F.

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