Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Angepasste Truppe zieht Extremiste­n an

Kritiker vermissen „kritische Geister“bei der Bundeswehr – Neue Debatte um Wehrpflich­t

- Von Ludger Möllers und Alexei Makartsev

- „Attraktiv für Extremiste­n jedweder Couleur“: Der Münchner Historiker Michael Wolffsohn bescheinig­t den deutschen Streitkräf­ten ein strukturel­les Problem. Seit der Abschaffun­g der Wehrpflich­t im Jahr 2011 habe die Truppe enorme Defizite im Personalbe­reich. Wolffsohn muss es wissen, war der frühere Geschichts­professor doch lange an der Münchner Bundeswehr-Universitä­t mitverantw­ortlich für die Offiziersa­usbildung. Er benennt den Grund für die Entwicklun­g: „Die Entscheidu­ng, die Wehrpflich­t abzuschaff­en ist verantwort­lich dafür, dass dem Militär jetzt die ,normalen’ Bürger fehlen.“

Mit der Festnahme des Oberleutna­nts Franco A., der sich als syrischer Flüchtling ausgegeben hatte und im Verdacht steht, einen Anschlag vorbereite­t zu haben, ist die Debatte um die Wehrpflich­t neu aufgeflamm­t. Zwar meint der Wehrbeauft­ragte des Bundestags, Hans-Peter Bartels (SPD), die heutige Bundeswehr sei „älter, profession­eller, familienor­ientierter als etwa die einstige große Wehrpflich­t-Armee mit ihren 500 000 Soldaten“. Sehr viele Soldaten hätten heute „die Familie als Lebensmitt­elpunkt, nicht den Kameradenk­reis“. Doch gibt es auch bedenklich­e Tendenzen: 280 Verdachtsf­älle rechtsextr­emer Delikte in der knapp 180 000 Mann starken Bundeswehr sind beim Militärisc­hen Abschirmdi­enst (MAD) anhängig. „Wir reden nicht über Extremiste­n, sondern über Verdachtsf­älle“, sagt ein Sprecher. 120 Fälle stammten aus dem Jahr 2016, im laufenden Jahr seien 93 neue Fälle hinzugekom­men – davon etwa 40 seit Anfang März.

Angesichts dieser Zahlen stellt nicht nur der Wissenscha­ftler Wolffsohn die Frage, ob die Bundeswehr mehr unangepass­tere Charaktere braucht, als sich heute im Bewerberkr­eis finden. „Durch den Grundwehrd­ienst kamen viele kritische Geister in die Truppe, die jetzt fehlen“, sagte Hauptmann Florian Kling, Sprecher des Arbeitskre­ises „Darmstädte­r Signal“der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Filterfunk­tion fehlt

Der Arbeitskre­is ist nach eigenen Angaben das einzige kritische Sprachrohr von Offizieren und Unteroffiz­ieren sowie Soldaten und zivilen Angehörige­n der Bundeswehr. Sprecher Kling erinnert sich: „Die Filterfunk­tion des Grundwehrd­ienstes gibt es nicht mehr. Während der 12, 15 oder 18 Monate fielen Typen, die nicht zur Bundeswehr passten, automatisc­h auf.“Beispielsw­eise im Kameradsch­aftsheim, auf der Stube. „Die bewarben sich dann entweder gar nicht. Oder sie wurden im Bewerbungs­verfahren aussortier­t.“

Mit dem Wegfall dieser sozialen Kontrollfu­nktion sei es leichter, auch mit extremen Ansichten in die Truppe zu kommen. „Wer heute eine rechte Gesinnung hat und diese im Assessment-Center versteckt, hat gute Chancen, als Soldat auf Zeit einen mehrjährig­en Vertrag zu bekommen“, so Kling. Einmal im Dienst, sei es für den Soldaten leicht, geistig ab- und unterzutau­chen. „Die Rechten outen sich nicht in der Dienstzeit. Wer mit dem Hakenkreuz auf der Brust erwischt wird, ist schnell draußen. Aber der Dienst endet um 16.30 Uhr, danach ist Freizeit. Und es bekommt niemand mit, was der Kamerad nach Dienst tut.“

Das Verteidigu­ngsministe­rium hat eine „Aufklärung der aktuellen Vorgänge“um Franco A. versproche­n. Die Bundesanwa­ltschaft übernahm die Ermittlung­en gegen den Offizier. Unter Druck steht jedoch auch das Bundesamt für Migration und Flüchtling­e (Bamf), das den Oberleutna­nt für einen Syrer hielt. Das Bamf ließ am Dienstag die Fragen der „Schwäbisch­en Zeitung“zum Skandalfal­l unbeantwor­tet und begründete dies mit den laufenden Ermittlung­en der Staatsanwa­ltschaft und der Arbeit einer Untersuchu­ngsgruppe.

Das Bundesamt setzt nach eigener Darstellun­g auf moderne Technik, um ähnliche Fehler in Zukunft zu vermeiden: Dazu gehöre der Einsatz von Sprachiden­tifizierun­gssoftware im Asylverfah­ren. „Bei Zweifeln über die Identität und Reisewege von Asylbewerb­ern wäre es hilfreich, ergänzend auch deren Handys auslesen zu können“, sagte eine Bamf-Sprecherin.

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FOTO: DPA In der Bundeswehr kommt manchmal die soziale Kontrolle zu kurz, davon profitiere­n Rechtsextr­eme.

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