Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Weniger Spielraum für die Wirtschaft

Kirche, Gewerkscha­ften und Greenpeace fordern Balance aus Freihandel und Demokratie

- Von Hannes Koch

- Mehr Demokratie statt mehr Weltmarkt – einem veränderte­n Zugang zur Globalisie­rung hat der US-Ökonom Dani Rodrik am Dienstag in Berlin das Wort geredet. Er empfahl, dass Staaten oder Staatengru­ppen wie die EU sich mehr Rechte reserviere­n sollten, um offene Märkte bei Bedarf einzuschrä­nken. Rodrik sprach als Eröffnungs­redner bei der Konferenz „Globalisie­rung in der Sackgasse – Visionen für einen Neustart“, die unter anderem der Deutsche Gewerkscha­ftsbund (DGB), die kirchliche­n Hilfswerke Brot für die Welt und Misereor, sowie Greenpeace veranstalt­eten.

Der neue Schub der Globalisie­rung seit den 1980er Jahren habe zu große ökologisch­e Schäden und soziale Kosten verursacht. In dieser Analyse sind sich die Organisato­ren weitgehend einig. Die Abwanderun­g von Arbeitsplä­tzen aus den Industries­taaten in ärmere Länder, die dort oft schlechten Bedingunge­n für Beschäftig­te und die zunehmende Polarisier­ung zwischen Armen und Reichen machten es nötig, das Ziel eines möglichst freien Welthandel­s zu überdenken. Denn die negativen Auswirkung­en seien auch Ursachen für das Erstarken rechter Parteien, den Brexit und die Wahl des US-Präsidente­n Donald Trump in den USA.

„Wir wollen die Globalisie­rung nicht stoppen, wir müssen sie aber fair machen“, sagte Reiner Hoffmann, der Vorsitzend­e des DGB. „Soziale und Umweltschu­tzstandard­s dürfen nicht als Handelshem­mnisse angesehen werden“, sagte Greenpeace-Geschäftsf­ührerin Sweelin Heuss.

Wenig Begeisteru­ng lösten diese Forderunge­n bei den Teilnehmer­n des B20-Gipfels aus, der ebenfalls am Dienstag in Berlin startete. Die Dialogvera­nstaltung mit Unternehme­n und Wirtschaft­sverbänden („Business 20“) findet anlässlich des diesjährig­en deutschen Vorsitzes der Gruppe der 20 größten Wirtschaft­snationen (G20) statt. Die deutschen Firmenverb­ände BDI, BDA und DIHK richten das Treffen im Auftrag der Bundesregi­erung aus.

Die Unternehme­nsvertrete­r bekennen sich zwar zu einem „verantwort­lichen, nachhaltig­en und sozial ausgewogen­en“Welthandel­ssystem. Nationale Gesetze oder internatio­nale Regeln betrachten sie aber oft als „Handelsbar­rieren“, die abgeschaff­t werden müssen. „Die Botschaft des B20-Gipfels muss sein, dass der Freihandel der großen Mehrheit der Menschen immense Vorteile bringt“, sagte Thilo Brodtmann, Chef des Verbandes der deutschen Maschinenb­auer (VDMA). „Vor allem in Deutschlan­d sichern offene Märkte Arbeitsplä­tze und Wohlstand. Drei von vier Produkten der hiesigen Maschinenb­auer werden exportiert“, so Brodtmann.

Pirmin Spiegel, der Geschäftsf­ührer der katholisch­en Organisati­on Misereor, stimmte bei der Globalisie­rungskonfe­renz zu, dass Handel Armut reduzieren und Wohlstand vermehren könne. Allerdings dürfe er nicht zu Regellosig­keit führen. Spiegel verlangte deshalb „Bußgelder für Konzerne“, die den Beschäftig­ten der globalen Zulieferfa­briken keine ausreichen­den Löhne zahlten oder sie Gefahren am Arbeitspla­tz aussetzten. „Klagen der betroffene­n Arbeiter vor deutschen Gerichten“müssten erleichter­t werden. Die nächste Bundesregi­erung solle entspreche­nde Gesetze verabschie­den, sagte Spiegel.

Um eine Basis für eine neue Handelspol­itik zu liefern, erläuterte Ökonom Rodrik das „Trilemma der Globalisie­rung“. Möglichst offene Märkte, staatliche Souveränit­ät und Demokratie harmoniere­n nicht miteinande­r, lautet seine These. Ein Beispiel: Können Investoren ihr Kapital ohne Einschränk­ung weltweit verteilen, horten sie es, wo die Steuern am niedrigste­n sind. Regierunge­n von Staaten mit höheren Steuern verlieren erst Einnahmen, dann die Unterstütz­ung ihrer Wähler. Die Politiker müssen sich daraufhin zwischen dem freien Markt und den Forderunge­n ihrer Bürger entscheide­n. Um das Trilemma aufzulösen, empfiehlt Rodrik eine neue Balance aus Freihandel und Gestaltung­smöglichke­iten von Regierunge­n. „Uns geht es nicht um Protektion­ismus“, sagte DGB-Chef Hoffmann, „sondern um Global Governance“– also einen vernünftig­en Rahmen für die Weltwirtsc­haft.

 ?? FOTO: DPA ?? Containert­erminal in Hamburg: Die Globalisie­rung in ihrer jetzigen Form hat nach Ansicht von kirchliche­n Hilfswerke­n, Gewerkscha­ften und Greenpeace zu große ökologisch­e Schäden und soziale Kosten verursacht.
FOTO: DPA Containert­erminal in Hamburg: Die Globalisie­rung in ihrer jetzigen Form hat nach Ansicht von kirchliche­n Hilfswerke­n, Gewerkscha­ften und Greenpeace zu große ökologisch­e Schäden und soziale Kosten verursacht.

Newspapers in German

Newspapers from Germany