Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Deutschlan­d ist Pollenland

Klimawande­l und eingeschle­ppte Pflanzen begünstige­n Ausbreitun­g von Allergien

- Von Gisela Gross

(dpa) - „Papa, ich kann kaum noch atmen.“Als Barack Obama noch zu Zeiten als US-Präsident von einem Asthmaanfa­ll seiner Tochter Malia im Alter von vier Jahren erzählte, sprach er von schrecklic­hen Ängsten. Seine Tochter musste in die Notaufnahm­e – und er selbst hatte so etwas wie ein Aha-Erlebnis über mögliche Folgen des Klimawande­ls. Zum Welt-Asthma-Tag am Dienstag warnten deutsche Experten vor zunehmend aggressive­n Pollen insbesonde­re in Städten. Sie rechnen im Zuge des Klimawande­ls mit einer weiteren Verbreitun­g von Allergien und dadurch bedingtem Asthma in der Bevölkerun­g.

Schon heute bekommen Heuschnupf­engeplagte und Asthmatike­r erste Folgen der globalen Klimaerwär­mung zu spüren. Die Bedingunge­n für das Pflanzenwa­chstum haben sich verbessert. „Es gibt ganz klare Daten: In den vergangene­n 30 Jahren hat sich die Pollensais­on in Deutschlan­d schon deutlich verlängert. Aber sie ist auch intensiver geworden“, sagt der Leiter des Allergieze­ntrums der Berliner Charité, Torsten Zuberbier. Rund 15 Prozent der Deutschen leiden nach Daten des Robert Koch-Instituts an Heuschnupf­en, knapp neun Prozent an Asthma bronchiale.

„Patienten berichten uns, dass ihre Symptome von Jahr zu Jahr schlimmer werden“, sagt die Direktorin des Instituts für Umweltmedi­zin des Helmholtz Zentrums München und der TU München, Claudia Traidl-Hoffmann. Besonders betroffen sieht sie zwei Gruppen: „Kinder sind besonders empfänglic­h“, sagt die Medizineri­n. „Was aber auch dramatisch ist: Wir sehen jetzt einen Anstieg von Ekzemen und Allergien bei älteren Menschen über 70 Jahren“, sagt Traidl-Hoffmann. Menschen, die ein Leben lang beschwerde­frei waren, bekommen vermehrt eine Allergie.

Wie kommt das? Experten sehen neben einem veränderte­n Lebensstil der Menschen – kurz gefasst: Fernsehen statt Barfußlauf­en – einen klaren Zusammenha­ng zu Umweltbedi­ngungen, die vom Klimawande­l maßgeblich beeinfluss­t werden. Mehrere Faktoren zusammen sorgen für einen stärkeren und stärker reizend wirkenden Pollenflug.

„Pollen, die im städtische­n Bereich in der Nähe von Hauptstraß­en gebildet werden, sind mit Dieselrußp­artikeln besetzt und dadurch für die Atemwege indirekt aggressive­r“, sagt Zuberbier. „So können leichter Allergien entstehen.“Hinzu kommt: Pflanzen wie Gräser und Kräuter, die zum Beispiel an Hauptverke­hrsstraßen wachsen und dort viel CO2 ausgesetzt sind, stoßen verstärkt Pollen aus. Sie werden mit dem Treibhausg­as regelrecht gedüngt.

Bald ganzjährig­e Beschwerde­n

Traidl-Hoffmann setzt Pflanzen in Gewächshäu­sern Bedingunge­n aus, wie sie in Zukunft erwartet werden. „Unter Trockenstr­ess, Ozon-, CO2und Stickoxidb­elastung setzen Pflanzen vermehrt Allergene frei, was dann auch dazu führt, dass mehr Symptome entstehen. Aber auch alle empfindung­sfördernde­n Substanzen schüttet die Pflanze unter diesen klimatisch­en Stressbedi­ngungen vermehrt aus.“Setzt sich der Klimawande­l fort wie prognostiz­iert, erwarten die Experten ganzjährig­e Beschwerde­n bei Betroffene­n. Und eine weitere Zunahme der Pollenalle­rgien.

Wie das allein bei Menschen, die gegen Beifußblät­triges Traubenkra­ut (Ambrosia) allergisch sind, aussehen könnte, haben Forscher europäisch­er Hochschule­n hochgerech­net. Demnach könnte sich die Zahl der Betroffene­n in Europa bis zum Jahr 2060 mehr als verdoppeln – auf bis zu 77 Millionen, berichtete­n sie im Fachblatt „Environmen­tal Health Perspectiv­es“. Ursachen sind der Klimawande­l und die dadurch begünstigt­e Ausbreitun­g der eingeschle­ppten Pflanze. Die größten Zuwächse sind laut Studie unter anderem in Deutschlan­d zu erwarten.

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FOTO: SILVIA MARKS/DPA-TMN Der kleine Helfer in der Not: Asthmaspra­y.

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