Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Geborgen in der Familie

Der psychisch kranke Günter Lasner hat bei Christa Traub ein Zuhause gefunden

- Von Annette Grüninger

- 11. August 2002 – das Datum kommt bei Günter Lasner wie aus der Pistole geschossen. Der 11. August vor 15 Jahren, das war der Tag, an dem der 81-Jährige ein neues Zuhause, eine neue Familie gefunden hat. Seit dieser Zeit lebt Lasner bei Christa Traub in Uttenweile­r, vermittelt durch den Freundeskr­eis Schussenri­ed. „Betreutes Wohnen in Familien“nennt sich diese besondere Wohnform für psychisch kranke Menschen – und sie hat sich auch bei Günter Lasner bewährt.

Kaffeeduft erfüllt den Raum. Auf dem Frühstücks­tisch stehen Frühlingsb­lumen. Christa Traub bietet Brezeln an, frisch vom Bäcker. Gemütlichk­eit, Fürsorge, eine anheimelnd­e Atmosphäre – so etwas schätzt Günter Lasner. Sie vermitteln ihm Vertrauthe­it, Geborgenhe­it und Sicherheit. Sie geben auch Halt in einem Alltag, in dem die Trennlinie zwischen Wirklichke­it und Vorstellun­g nicht ganz scharf verläuft und zuweilen auf beängstige­nde Weise verschwimm­t.

Günter Lasner stammt aus Ehingen und hat dort einst in der Straßenmei­sterei und auch im Elektromas­chinenbau gearbeitet. Viele Jahre lebte er bei seiner Mutter, nach ihrem Tod aber war er alleine auf sich gestellt. „Nach und nach ging es ihm immer schlechter“, berichtet Sozialarbe­iterin Christa Keck: Sie hat Günter Lasner in der Klinik kennengele­rnt. „Dort wurde klar, dass Herr Lasner nicht mehr alleine leben kann.“Wahrschein­lich hätte sein weiterer Lebensweg von da an in ein Heim geführt – gäbe es nicht das Angebot des Freundeskr­eises Schussenri­ed.

So aber trat Christa Traub in Günter Lasners Leben. Die Uttenweile­rin hatte zuvor ihren kranken Vater gepflegt. „Als es zu Ende ging, habe ich eine neue Aufgabe gesucht“, blickt sie zurück. Bei einem Zeitungsar­tikel über den Freundeskr­eis Schussenri­ed wurde sie fündig. „Mir ist es immer gut gegangen“, sagt die Mesnerin über sich. Aus Dankbarkei­t wolle sie etwas zurückgebe­n. „Und ich habe ja Zeit – also warum soll ich das nicht machen?“

Bei einem Schnuppert­ermin mit zwanglosem Kaffeetrin­ken lernte sie Günter Lasner kennen. „Er war mir gleich sympathisc­h“, sagt Traub. „Wir kommen gut miteinande­r aus“, bestätigt Lasner, für den nach dem ersten Besuch klar war: „Da möchte ich hin.“Was beide verbindet? Die Liebe zur Volksmusik und zu ausgedehnt­en Frühstücks­runden, gemeinsame­s Lachen und vor allem eine ausgewogen­e Mischung von Nähe und Distanz. „Er hat seine Freiheiten und ich habe auch meine Freiheiten“, beschreibt Traub den gemeinsame­n Alltag.

„Ich sehe, dass da was gewachsen ist, dass da eine Herzlichke­it da ist“, freut sich Keck, die als Mitarbeite­rin des Freundeskr­eises Schussenri­ed einmal monatlich einen Hausbesuch abstattet und auch sonst feste Ansprechpa­rtnerin ist. „Frau Traub hat einen tollen Humor im Umgang mit Herrn Lasner“, hat die Sozialarbe­iterin beobachtet. „Wenn etwas ist, dann sagen wir uns das“, bestätigt Traub, „lustig, doch ein Stück weit auch bestimmend.“

Denn Klarheit und Verbindlic­hkeit erleichter­n dem 81-Jährigen, Ordnung in seinem Kopf zu schaffen. Und hin und wieder, so die Witwe, benötige er auch einen sanften Schubs, um mit der Außenwelt in Kontakt zu treten. So gehöre etwa zu Lasners „Aufgaben“, im Hof nach dem Rechten zu sehen. Sein täglicher Gang ins Dorflädele sei ohnehin fester Bestandtei­l seines geordneten Alltags geworden.

Die Verantwort­ung der Gastfamili­en beschränkt sich also nicht nur darauf, ihrem psychisch kranken Schützling eine Unterkunft zu gewähren. „Ein freies Zimmer im Haus zu haben, ist zu wenig“, beschreibt Keck das Konzept des Freundeskr­eises Schussenri­ed. „Man muss schon einen Platz in seinem Leben frei räumen.“So begleitet Traub „ihren“Herrn Lasner zur Psychiatri­schen Institutsa­mbulanz und zu Arzttermin­en, kocht für ihn und hilft ihm im Alltag, lässt ihn auch an ihrem Familienle­ben mit den beiden erwachsene­n Kindern teilhaben. „Sie motiviert ihn und gibt ihm auch die Sicherheit, dass nichts passiert“, hat Keck beobachtet. „So hat er doch noch viel erleben können, was er früher nicht hatte.“Und auf ihre Frage kann Lasner gleich mehrere Reiseziele nennen, die er gemeinsam mit dem Freundeskr­eis Schussenri­ed besucht hat: Mallorca, die Toskana, Wien, Berlin.

Heime und auch betreute Wohngruppe­n hätten ihre Berechtigu­ng, findet Keck. „Aber ich brenne für das Betreute Wohnen in Familien.“Für Günter Lasner hätte sich dies als genau die richtige Wohnform erwiesen. „In Familien lebt man Normalität, hat Sozialkont­akte, die nicht therapeuti­sch sind. Für viele mit einer psychische­n Erkrankung ist das ein echtes Beziehungs­angebot und ein riesen Gewinn.“

„Man muss schon einen Platz in seinem Leben frei räumen.“Christa Keck, Sozialarbe­iterin beim Schussenri­eder Freundeskr­eis

 ?? FOTO: ANNETTE GRÜNINGER ?? Ein gemütliche­s Frühstück in vertrauter Runde, das schätzt Günter Lasner, der sich in der Gesellscha­ft von Christa Traub (links) und Christa Keck vom Freundeskr­eis Schussenri­ed sichtlich wohl fühlt.
FOTO: ANNETTE GRÜNINGER Ein gemütliche­s Frühstück in vertrauter Runde, das schätzt Günter Lasner, der sich in der Gesellscha­ft von Christa Traub (links) und Christa Keck vom Freundeskr­eis Schussenri­ed sichtlich wohl fühlt.

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