Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
BGH hebt Urteil gegen Lindauer Brandstifter auf
Kemptener Landgericht muss Fall neu verhandeln und über psychische Verfassung des Beschuldigten entscheiden
- Der Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) hat das Urteil im Prozess um eine Beinahe-Gasexplosion in Lindau aufgehoben. Das Kemptener Landgericht muss den Fall nun neu verhandeln – mit einer komplett neuen Kammer.
Die Richter am Landgericht hatten den Mann wegen seiner psychischen Verfassung im ersten Urteil am 9. August für schuldunfähig erklärt. Weil sie ihn aber offenbar nicht als Gefahr für die Allgemeinheit ansahen, hatten sie sich gegen die Unterbringung in einer psychiatrischen Anstalt entschieden. Die Staatsanwaltschaft sah das anders und hatte gegen das Urteil Revision eingelegt.
Keine Einigkeit bei Richtern
Die fünf Richter des Strafsenats waren sich in dieser Angelegenheit offenbar selbst nicht einig. Deswegen war es am Dienstag überhaupt zur mündlichen Verhandlung gekommen. Das passiert nur in fünf Prozent aller Fälle, die vor dem BGH landen.
Der Beschuldigte hatte vor fast zwei Jahren im Keller eines Hauses mit einem Feuerlöscher einen Gashahn aufgeschlagen und Feuer gelegt. Als Brandbeschleuniger benutzte er Benzin. Feuerwehr und Stadtwerke konnten damals gerade noch Schlimmeres verhindern, beinahe wäre es zu einer Gasexplosion gekommen. Ein Feuerwehrmann fand den Brandstifter zufällig nach der Evakuierung des Hauses. Nach vielen Wochen teils zäher Verhandlung gestand der Beschuldigte die Tat.
Ihre Entscheidung verkündeten Deutschlands oberste Richter am Dienstagnachmittag um 15 Uhr. Davor lieferten sich Oberstaatsanwalt Ralph Heine und die beiden Anwälte Olga Sommer und Moritz David Schmitt knapp eine Stunde lang einen Schlagabtausch. Der eine wollte den Senat davon überzeugen, dass der Beschuldigte eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellt. Die anderen plädierten für dessen Harmlosigkeit.
„Dieser Mann hat einen Wahn, wie ich es noch nie gesehen habe“, sagte Oberstaatsanwalt Heine. Schließlich sei der Brandstifter in einem brennenden Haus geblieben, nur, um sich vor einer „Organisation“zu verstecken, die es in der Realität gar nicht gibt. „Jeder andere wäre rausgelaufen.“Der Mann leidet an Verfolgungs-und Vergiftungswahn: Den Brand soll er gelegt haben, um sich vor „der Organisation“zu schützen. Im psychiatrischen Krankenhaus hatte er später Angst, vergiftet zu werden. Trotzdem entschieden sich die Richter dagegen, den Beschuldigten in eine psychiatrische Anstalt einzuweisen. Die Einweisung in die Psychiatrie gehört zu den härtesten Strafen, die das deutsche Rechtssystem vorsieht. Denn sie ist, im Gegensatz zu einer Gefängnisstrafe, zeitlich nicht begrenzt.
Noch am Tag der Urteilsverkündung war der Beschuldigte auf freiem Fuß. Die Staatsanwaltschaft hält ihn aber für gefährlich. Nach Darstellung von Olga Sommer, Anwältin des Angeklagten, ist er das keineswegs. „Das ist eigentlich ein harmloser Mensch, der sich in die Ideen verstrickt hat, die er hatte“, sagte sie im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“nach der BGH-Verhandlung. Bei ihrer Einschätzung stützen sich die Anwälte auf die Tatsache, dass ihr Mandant in den zwei Jahren vor der Tat, in denen er offenbar auch schon an Wahnvorstellungen litt, keinerlei Straftaten begangen habe. „Auch in Leipzig ist im vergangenen halben Jahr kein Hochhaus in die Luft geflogen“, argumentierte Schmitt. Dort lebt der Beschuldigte offenbar nun wieder.
Ihrer Meinung nach war das Scheitern einer größeren Idee im Juli 2015 mit ausschlaggebend dafür, dass ihr Mandant das Haus angezündet hat. Damals sei er von Leipzig nach Österreich gefahren, um sein Konzept von „Indoor-Windsurfanlagen“zu vermarkten. Als das nicht geklappt habe, sei die Situation eskaliert.
Keine Einsicht der Krankheit
Als „entscheidend“bezeichnete BGH-Richter Rolf Raum die Tatsache, dass der Beschuldigte sich seine Krankheit offenbar nicht eingestehe. Bis zuletzt hatte er eine Medikation verweigert. Als möglichen Auslöser für die Tat sah der Richter die Konfrontation aus der Einsamkeit in Leipzig mit dem, wie er es nannte, „pulsierenden Leben in Lindau“.
Die Urteilsbegründung reichen die Karlsruher Richter erst in einigen Wochen nach. Das Landgericht Kempten muss nun einen neuen Termin für eine neue Verhandlung festlegen. Denn klar ist jetzt nur noch, dass der Beschuldigte der Täter war.