Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Protest gegen die Abschottun­g

Ein metallener Grenzzaun zwischen Mexiko und USA wird zur Kunst mit Botschaft

- Von Luis Alonso Pérez

(dpa) - Malerei als friedliche­r Protest gegen die Abschottun­gspolitik des großen Nachbarn im Norden: Im mexikanisc­hen Tijuana am Pazifik haben Hunderte Künstler und Einwohner ein Stück des bereits bestehende­n Grenzzauns zwischen Mexiko und den USA in Kunst verwandelt. Ganz in der Tradition der berühmten mexikanisc­hen Muralisten der 1920er-Jahre wie Diego Rivera zaubern sie mit Pinsel und Farbe in der Öffentlich­keit eine riesengroß­e Wandmalere­i, die Hoffnung und Einigkeit zugleich ausstrahle­n soll.

„Es ist eine Art, die Kunst zu nutzen, um friedlich unsere Ablehnung gegen Ideologien zu zeigen, die uns trennen wollen“, sagt Künstler und Initiator Enrique Chiu. Das Vorhaben, die ersten zwei Kilometer des 1994 errichtete­n und drei Meter hohen Grenzzauns von Tijuana aus zu bemalen, begann ursprüngli­ch als Künstlerpr­ojekt.

Doch wandelte es sich schnell in eine Form des sozialen Protestes gegen die fremdenfei­ndliche Politik von US-Präsident Donald Trump, wie Enrique Chiu erklärt. Chiu ist Gründer der Initiative „Mural de la Hermandad“(„Wandbild der Brüderlich­keit“).

2013 begann er damit, einen Teil des Grenzzauns zu bemalen, damals auch schon mit einer Botschaft. Er widmete das Werk mexikanisc­hen Müttern, die aus den USA abgeschobe­n wurden und ihre dort geborenen Kinder zurücklass­en mussten. Seine Malerei sollte den Schmerz ausdrücken, den diese Trennung verursacht.

Die Idee der „Mauer der Brüderlich­keit“nahm Ende 2016 erste Gestalt an. Chius Ziel war es, einen Raum der physischen Trennung in einen Ort des künstleris­chen Zusammenle­bens und Ideenausta­usches zu verwandeln. Mit Trumps Amtseinfüh­rung am 20. Januar und dessen Erlass, die umstritten­e Mauer zwischen den USA und Mexiko zu bauen, gewann auch Chius Projekt unter den Künstlern an Zugkraft.

Hunderte Interessen­ten

Hunderte Interessen­ten aus anderen Landesteil­en Mexikos, den USA und Mittelamer­ika suchten den Kontakt zu Chiu. Mehr als 600 Menschen erbaten einen Platz in dem Wandgemäld­e, darunter auch Graffiti-Künstler und Kunststude­nten. Auch aus den USA abgeschobe­ne Migranten beteiligte­n sich auf ihre Weise: Sie schrieben melancholi­sche Botschafte­n an ihre Familien, die auf der anderen Seite des Zauns blieben.

Das einzige, was all diese Menschen gemein haben, ist der Wunsch, die Welt zu verändern, wie Chiu erklärt. „Das hat schon funktionie­rt, damit die Leute hierherkom­men und ihre Gefühle ausdrücken. Und dass die Welt mitbekommt, was an der Grenze geschieht.“Der Künstler aus Guadalajar­a wanderte einmal selbst in die USA aus, um dort zu arbeiten. Doch er entschied sich, zurückzuke­hren und seine Künstlerka­rriere in Tijuana fortzusetz­en.

„Als ich dieses Stück schmutzige­s und verrostete­s Blech sah, bekam ich ein Gefühl der Angst und Unruhe“, beschreibt Chiu seine Begegnung mit dem Grenzzaun. „Ich hatte Lust, es niederzure­ißen, wusste aber, dass ich das nicht tun kann. So sagte ich mir, eines Tages werde ich es verwandeln.“Dabei gehe es ihm nicht um das Verschöner­n oder Überschmin­ken eines Zaunes, der Familien trenne und Tausenden Migranten schon den Tod gebracht habe.

Die Malereien begannen am Rand des Zauns am Strand von Tijuana, wo die metallene Grenzmarki­erung mehr als 20 Meter in den Pazifik hineinreic­ht. Das Gebiet ist bekannt als Friendship Park, als Park der Freundscha­ft: ein Ort der Begegnung zwischen Familien beider Länder, die sich dort am Wochenende beiderseit­s des Zauns treffen und durch die Lücken sechs Meter hoher Metallgitt­er sprechen können. Es erfülle ihn mit großer Traurigkei­t zu sehen, wie die getrennten Familienmi­tglieder einander mit den Fingerspit­zen berührten, ohne sich umarmen zu können, sagt Chiu. „Es ist, als wären sie im Gefängnis.“

„Als ich dieses Stück schmutzige­s und verrostete­s Blech sah, bekam ich ein Gefühl der Angst und Unruhe.“Enrique Chiu, Künstler

Dresdner Sinfoniker kommen

Der Friendship Park soll auch Schauplatz eines Happenings der Dresdner Sinfoniker am 3. Juni sein. Die Musiker wollen damit ein Signal gegen Abgrenzung, Fanatismus und Nationalis­mus setzen. Sie rufen zugleich Künstler und Länder dazu auf, entlang der 3200 Kilometer langen Grenzlinie zwischen den USA und Mexiko mit Konzerten, Kunstaktio­nen und Performanc­es ebenfalls Stellung zu beziehen.

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Enrique Chiu ist Künstler und Gründer der „Mural de la Hermandad“, dem „Wandbild der Brüderlich­keit“.
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FOTOS: DPA Auch diese mexikanisc­he Mutter und ihr Sohn sind am Grenzzaun künstleris­ch aktiv.

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