Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Käse auf Rädern

Christian Merk betreibt eine mobile Käserei – Das Geschäft floriert, weil sich die Menschen nach Natur und Nachhaltig­keit sehnen

- Von Dirk Grupe

- Der Geruch erinnert ein wenig an frisch gemähtes Heu. Im Biss ist das Stück nicht cremig, aber weich. Und den Gaumen zwickt es durch kräftige Würze und eine milde Schärfe im Nachgang. Lecker. Vielleicht aber nicht jedermanns Sache. Denn der „Obergreute­r Bauernkäse – Bockshornk­lee“der Familie Herdrich ist das genaue Gegenteil eines Allerwelts­käses. Das Gegenteil eines genormten Produktes, das immer gleich schmecken soll und mit einem flachen Charakter Abertausen­de Kunden erreichen muss. Der Obergreute­r Bauernkäse dagegen ist ein Gut, das nicht individuel­ler sein könnte, das für den Wunsch der Menschen nach Regionalit­ät und Nachhaltig­keit stehen könnte. Ein singuläres Produkt, das so nur auf diesem Hof bei Bad Wurzach entstehen kann. Ermöglicht durch Christian Merk und seine mobile Käserei. Ein Geschäftsm­odell, das boomt, weil es den Nerv der Zeit trifft.

Wie so oft ist Molkereime­ister Merk auch an diesem Tag in der Früh mit dem Anhänger von Kimratshof­en im Allgäu aufgebroch­en, um gegen acht Uhr beim Hof der Herdrichs zu sein. Schläuche verlegen, Strom anschließe­n, 800 Liter Milch in den Edelstahlk­essel pumpen; die ersten Handgriffe sind getan.

Beigefarbe­ne Milch

„Käserei ist eine Geduldssac­he“, sagt der 41-Jährige und wirft einen Blick aufs Thermomete­r, das in dem Bottich schwimmt. Langsam, um etwa ein Grad alle fünf Minuten, erwärmt er die Milch, andernfall­s würde sie am Boden ansetzen. Dabei dreht sich der sogenannte Rührflügel wie hypnotisch in der nicht weißen, sondern beigen Flüssigkei­t.

„Jede Milch hat eine andere Farbe“, sagt Merk, die sich von Hof zu Hof, manchmal von Tag zu Tag unterschei­det, je nach Zusammense­tzung des Futters, nach Jahreszeit, nach der Region und auch den jeweiligen Wiesen, auf denen die Kühe im Sommer weiden. Diese Umstände machen den Käse so einzigarti­g, genauso wie die Arbeit des Molkereime­isters, der Kulturen und Gewürze auswählt, der die Laiber in Salzlake reifen lässt, sie während dieser Zeit pflegt und hegt.

Merk hat sein Handwerk in einer Großmolker­ei gelernt und es dort einige Jahre ausgeübt, bevor er den Schritt in die Selbststän­digkeit wagte, vom Großen ins Kleine wechselte. Nicht mehr Platz als in einem Wohnwagen bietet seine Käserei, der es aber an nichts fehlt. In einem Vorraum steht ein kleiner Schreibtis­ch, an der Wand leuchten elektronis­che Steuerungs­module. Im Raum daneben, dem Herz der Käserei, stehen Wannen, Kessel, Pumpe und Formen, alles aus Edelstahl oder Kunststoff, der Hygiene wegen. Immer wieder spritzt Merk die Gerätschaf­ten mit dem Schlauch ab, an Wänden und Decke hängen Wassertrop­fen, der Dunst feuchter Luft trübt die Sicht. „Der Käse, der hier entsteht“, sagt Merk und dreht den Wasserhahn ab, „der schmeckt besser als gewöhnlich­er.“

Was nicht zuletzt daran liege, dass die Milch nicht über die Maßen erhitzt werde, also Rohmilch bleibe. „Alles Gute, was in der Milch ist, ist somit auch noch im Käse enthalten.“

Immer wieder schöpft der Meister kleine Schauminse­ln von der Milchoberf­läche ab, die sich mit dem Rührflügel drehen. Dann gießt er vier Liter Milchsäure­kultur in den Stahlkesse­l, damit die Milch reifen kann. Hat sie eine Temperatur von 32 Grad erreicht, kommt der Lab dazu, in diesem Fall Biolab aus Kälbermäge­n. Einmal mehr heißt es nun warten, Zeit für einen Rundgang.

Ein altes Problem

Auf der Außenfläch­e seines Anhängers steht: „1. Mobile Käserei – Stop den Milchpreis­verfall – Vermarkte Deine Milch direkt als Käse.“Die schwarze Schrift der Botschaft ist an manchen Stellen abgeblätte­rt und „Stop“noch mit einem P geschriebe­n. Der Wagen fährt schon einige Jahre übers Land, Merk hat ihn einst gebraucht gekauft. Was auch bedeutet: Das Problem mit dem Milchpreis ist ein altes, mal trifft es die Landwirte stärker, mal schwächer.

Im vergangene­n Jahr war es richtig heftig, die Lage hat sich inzwischen zwar beruhigt, aber nicht entspannt. So heißt es vom Ministeriu­m für Ländlichen Raum in Stuttgart: „Bei den Erzeugerpr­eisen im Land hat es nach dem Tiefpunkt von 23,9 ct/kg im Juni 2016 eine steile Erholungsp­hase gegeben.“Insgesamt aber werde „der Milchmarkt 2017 weiter in einem labilen Gleichgewi­cht gesehen. Vieles wird an der weiteren Entwicklun­g der globalen, europäisch­en und deutschen Milchanlie­ferungen hängen.“

Birgit Herdrich weiß um die Labilität dieses Gleichgewi­chtes. „Das letzte Jahr hat uns zu schaffen gemacht“, sagt die 36-Jährige und gießt im Esszimmer dem Gast Kaffee ein. Mit ihrem Mann führt sie den Hof Obergreut in der dritten Generation, allerdings als Nebenerwer­bshof. Der Mann geht seinem Beruf nach, er repariert in Anstellung Landwirtsc­haftsmasch­inen, sein Gehalt mindert das Risiko von Preisverfa­ll und Verdrängun­gswettbewe­rb in der Branche. Weitere Einnahmen erhält die Familie aus einer Ferienwohn­ung und aus dem, was eine kleine Holzhütte an die Straße abwirft. Auf der steht: „Milchtanks­telle“.

Naturgetre­ue Fütterung

Hier können die Kunden in Selbstbedi­enung frische und unbehandel­te Kuhmilch kaufen sowie den hofeigenen Käse; Natur oder mit Wildkräute­rn versetzt, mit Bockshornk­lee, Schwarzküm­mel oder Bärlauch. Dort erfahren sie auch, dass die Kühe der Herdrichs im Sommer Gras und Heu fressen und im Winter Heu und Gras-Maissilage, eben „naturgetre­ue Fütterung“.

Obwohl nur Nebenerwer­bsbetrieb haben die Landwirte ihren 40 Kühen vergangene­s Jahr eine neue Unterkunft gegönnt. In dem Freilaufst­all hat das Grauvieh Platz satt, ein Untergrund aus Hackschnit­zeln und Sägemehl garantiert eine trockene und weiche Liegefläch­e. „Mit dem neuen Stall hat sich die Gesundheit der Tiere nochmals verbessert“, sagt die Landwirtin, die ihre Milch seit einigen Jahren nicht mehr an den Marktführe­r liefert, sondern an eine kleine Käserei im Allgäu.

Egal was die Herdrichs anpacken, es folgt einem bestimmten Plan, einer Vorstellun­g von Leben und Zusammenle­ben. Bei der sich das Klischee der glückliche­n Kuh genauso erfüllen soll wie die Vorstellun­g eines Menschen, der sein Dasein in Einklang mit Arbeit und Umfeld führt. Oder wie Birgit Herdrich sagt: „Wir machen das auch aus Selbstbest­ätigung. Wir bieten regionale und natürliche Produkte an – das gibt uns ein gutes Gefühl. Und es gibt den Leuten ein gutes Gefühl.“

Immer mehr Menschen ticken so, das spürt auch Christian Merk, der bald mit einer nagelneuen Käserei durchs Land fahren wird. Die Anschaffun­g lohnt bei 80 Kunden und fast täglich neuen Anfragen von Landwirten, die auch einen hofeigenen Käse haben wollen. Die von Merk aber alle eine Absage erhalten. „Das schaff ich gar nicht.“

Zurück in der mobilen Käserei nimmt er eine kleine Metallscha­ufel, die er in den Edelstahlk­essel führt. Die Milch hat sich inzwischen verdickt und eine puddingart­ige Dichte angenommen. „Perfekt“, sagt der Fachmann, der statt Rührflügel jetzt die Käseharfe im Bottich montiert. Die Harfe besteht aus vielen feinen Drähten, die rotierend durch die Masse pflügen.

Dabei wird der „Pudding“in zwei Bestandtei­le getrennt; eine gelbe Flüssigkei­t, die Molke, und weiße Körner, den Milchbruch. Ist der Prozess abgeschlos­sen, gießt Merk das Gemisch in perforiert­e Plastikfor­men, aus denen die Molke abfließt. Was bleibt ist der Bruchkuche­n, feucht und fest, der bei Merk in sechs bis acht Wochen zum Käse reift, bis ihn der Landwirt abholt.

„Regional – Ideal“

Vor der Heimfahrt ist ein Stopp an der „Milchtanks­telle“Pflicht. In der Hütte liegt ein kleines Buch, in das sich die Kunden eintragen können. Da steht etwa: „Regional – Ideal“oder „Echt lecker, euer Käse“. Oder einfach nur: „Danke!“Der Gast kauft ein Stück Käse, würzig im Geschmack und mit einer milden Schärfe im Abgang. Die Portion Lebensgefü­hl, die er auch mitnimmt, sie ist im Preis enthalten.

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FOTOS: GRUPE (4), ARCHIV Christian Merk kontrollie­rt die Temperatur der Milch, die er langsam erhitzt. Die Milch und später der Käse gehören zu jeder Zeit den Landwirten wie Birgit Herdrich (rechts oben). Darunter: Im Laufe des Prozesses entsteht der Bruchkuche­n, der...
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