Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Die Erotik der Schwerelosigkeit
Terrence Malicks „Song to Song“ist poetisches und verführerisches Kino
E in unglaubliches Bild: Irgendwann etwa nach einem Drittel dieses Films sieht man Michael Fassbender und Ryan Gosling, zwei der wirkungsvollsten, charismatischsten Schauspieler der Gegenwart, gemeinsam in einem Flugzeug, das offenbar gerade weit über den Wolken durch den Raum stürzt, in einem einzigartigen Moment der Schwerelosigkeit. Sie schweben im Raum, und für diese paar atemberaubenden Sekunden sind die Stars und ist das Kino ganz bei sich selbst. Schwerelos. Völlig losgelöst.
Eine Frau aber ist die Hauptfigur von „Song to Song“und die Erzählerin aus dem Off. Sie erzählt von einer Dreiergeschichte, von sich selbst, ihrem Leben zwischen zwei Männern. Von dem einen fühlt sie sich angezogen, er beeindruckt sie mit Macht und Geld. Den anderen liebt sie.
Diese beiden Männer sind Antipoden: ein Realist gegen einen Idealist, Zyniker gegen Romantiker. Die beiden werden gespielt von Fassbender und von Gosling. Wie jeder KinoDarsteller tragen auch Gosling und Fassbender ihre bisherigen Rollen in ihre neuen Werke und in diesen Film hinein: Fassbenders Figur, ein zynischer Pop-Musikproduzent, ein Materialist, der die ganze Welt für käuflich hält, aber auch von einer seltsamen Traurigkeit umfangen ist, ein teuflischer Sensibler, wirkt wie die Fortsetzung des sexbesessenen, erkalteten, traumatisierten Yuppies aus Steve McQueens „Shame“.
Ryan Gosling spielt ein jungen Mann aus einfachen Verhältnissen, der von einem Vaterproblem geplagt sein Zuhause hinter sich gelassen hat. Er will keine Lügen, er will alles wissen, und als es so weit ist, kann er die Wahrheit doch nicht ertragen. Er schreibt Musiksongs und wird dann von dem anderen, seinem vermeintlichen Freund, übers Ohr gehauen. Dieser uneigennützig handelnde, ehrliche, liebevolle, aber niemals naive, sondern lebenskluge Romantiker erinnert natürlich an Goslings Hauptfigur aus dem Welterfolg „Drive“.
Driften durch Zeit und Raum
Es geht aber um die Frau und um ihre Geschichte. Und die wahre Sensation in diesem Film ist tatsächlich Rooney Mara, ein steil aufsteigender Stern am Himmel Hollywoods, und dennoch ein einziges Geheimnis – von seltsamer spröder Wirkung, nur auf den ersten Blick unscheinbar, auf den zweiten atemberaubend. Mara war das „Girl mit dem Drachentatoo“ und es ist diese Rolle einer latent selbstzerstörerischen Boderline-Figur, deren Lebenskraft aber am Ende größer ist, als die ihrer Umgebung, die sie in diesen Film hineinträgt: Faye ist eine junge Frau, die ihr Glück sucht, und dazu jede Art von Erfahrungen sammelt, mit sich selbst experimentiert, mit Sex, Geld, Ruhm als Popmusikerin, mit Drogen anderer Art: „Ich dachte, wir könnten uns einfach treiben lassen, von Song zu Song, Kuss zu Kuss.“
Dieses Treibenlassen, das Driften ist das, was Regisseur Terrence Malick moralisch kritisiert. Ästhetisch aber feiert er es. Sein Film ist eine Orgie der Beiläufigkeit, er flaniert durch das Leben, das Denken und Fühlen seiner Figuren. Sie sind keine psychologisch ausgearbeiteten Charaktere – bis auf Hauptfigur Faye in Ansätzen – , sondern Archetypen, zeichenhafte Repräsentanten von Haltungen und Prinzipien. Daher haben viele Figuren hier auch gar keine Namen. Man vermisst sie nicht.
In seinen Mitteln ist Malick ganz frei, er erlaubt sich alles. Ein meditativer Stil, der auf eindeutige Handlung, übersichtliche Chronologie, fixierte Dialoge komplett verzichtet und eher wirkt wie ein verfilmter Bewusstseinsstrom. Ein Film, der selbst ein Experiment mit sich und den Beteiligten ist, ein Angebot an den Zuschauer, auf das man sich einlassen kann, aber nie muss – dafür ist er immer offen genug, nie autoritär.
Malick arbeitet mit Andeutungen, mit einer Fülle von Bildern, Zitaten und Motiven aus der Kulturgeschichte und den Mythologien der Welt – vom Chinesischen Horoskop bis zum Tarot-Kartenspiel. Dies ist ein unglaublich reichhaltiger, beziehungsund anspielungsreicher Film. „Song to Song“spielt in der Musikszene, vor allem der des US-Pop von Austin Texas, und unter Topstars der Szene. Deswegen bettet „Song to Song“sein Geschehen und seine Figuren ein in die wieder beiläufige Begegnung mit Popstar wie Iggy Pop und Patti Smith.
Liebe und Lüge sind die Themen, der Unterschied zwischen Liebe und Sex, der für Malick elementar ist, und der zwischen Wahrheit und Trug. Dabei ist dieser Film über Versuchung und Verführung selbst äußerst verführerisch. Malick ist wunderbareres Kino geglückt: poetisch, erotisch und schwerelos.
USA 2017, 129 Minuten, Regie: Terrence Malick, FSK ab 0. Mit Rooney Mara, Michael Fassbender, Ryan Gosling.