Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Rotznasige Retro-Klänge von alten Helden
Die Siebziger-Jahre-Band Blondie landet mit „Pollinator“einen unerwarteten Coup
- Meistens ist es ein schlechtes Zeichen, wenn auf Alben von alten Helden allzu viele und dann auch noch einige junge Gäste mitwirken dürfen. Fällt den Pionieren von einst selbst nichts mehr ein? Lechzen sie nach dem Zeitgeist des Pop, der ihnen längst nur noch aus Magazinen, Homepages oder fremder Menschen Social-Media-Aktivitäten bekannt ist? Oder ergibt das Mitwirken tatsächlich Sinn? Fragen, die sich auch nach mehrmaligem Hören von „Pollinator“(BMG), dem elften Studioalbum der Punk- und New-WaveLegenden von Blondie, nicht abschließend beantworten lassen. Auf jeden Fall ist das Album gut, teilweise sogar sehr gut.
Sängerin Debbie Harry, in diesem Fall sei der Verweis aufs Alter ausnahmsweise erlaubt, ist mittlerweile 71 Jahre alt – und hätte all die vermeintliche Unterstützung gar nicht nötig. Die Frau ist bestens bei Stimme und auf Songs wie der Auftaktnummer, dem darauffolgenden „Long Time“sowie den Numern drei und vier, „Already Naked“und der Single „Fun“, blitzt all der alte Charme, all die Energie von einst auf. Das sind Retro-Stücke mit grandioser Melodieführung und eingängigen Refrains, die sich auch auf jedem Blondie-Album der 70er-Jahre hätten finden könnten. Es sind die stärksten Songs seit Jahren, die stärksten seit dem Comeback 1997. Neue Lieder im alten Gewand. Das ist Retro von alten Hasen, die wie rotznasige Jungs klingen. Allein dafür lohnt sich die Anschaffung der neuen Platte.
Das Problem an der Sache: Der Album-Hörer – und Blondie ist trotz aller Hits von einst („The Tide Is High“, „Denis“, „Heart Of Glass“, „Hanging oThe Telephone“, „Atomic“) eine Album-Band – muss sich durch die zweite Hälfte des Werks eher durchkämpfen. Denn „Pollinator“baut im Verlauf ab. Die Lieder sind allesamt nicht schlecht, einzeln betrachtet ist jedes davon ein kleiner Hit. Leider klingen sie manchmal etwas allzu ähnlich.
Mit dabei: Sia und Nick Valensi
Damit zurück zu den Kollaborationen. In „Doom Or Destiny“sind Joan Jett und Laurie Anderson zu hören – das passt bestens. „Long Time“stammt aus der Feder des jungen Devonté Hynes, der als Blood Orange gehypt wird – das Resultat ist großartig. „Fun“wiederum stammt von Dave Sitek von TV On The Radio und ist, wie bereits gesagt, einer der besten Tracks auf dem Album. Eher überflüssig sind Pop-Sternchen Sia und Strokes-Gitarrist Nick Valensi auf „Best Day Ever“, das Gleiche gilt für den früheren Smiths-Gitarristen Johnny Marr bei „My Monster“. PopChanteuse Charli XCX wird auf „Gravity“gecovert. Das wäre nicht nötig gewesen.
Nicht falsch verstehen: Die Gäste und Autoren stören nicht, die Häufung wäre aber nicht nötig gewesen. Oder etwa doch? Vielleicht hatten Harry und ihre Band – mit dabei sind neben der Sängerin Gitarrist und Mitgründer Chris Stein, Keyboarder Matt Katz-Bohen, Ur-Schlagzeuger Clem Burke, Bassist Leigh Foxx und Gitarrist Tommy Kessler – dadurch allerdings wieder mehr Freude an den Aufnahmen, die im Music Shop in New York entstanden sind. Direkt danach wurde das Studio, in dem David Bowie und Lou Reed einst legendäre Alben eingespielt haben, geschlossen – voraussichtlich für immer. Und einen abschließenden Knüller haben Blondie auch noch parat: den grandiosen Hidden Track „Tonight“, auf dem noch einmal Laurie Anderson zu hören ist.