Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Herzbeben

Fußballanh­änger pfeifen, Helene-Fischer-Fans schäumen und die Künstlerin feiert Erfolge

- Von Erich Nyffenegge­r

I m Leben der meisten Menschen spielt Helene Fischer keine besondere Rolle, eine Hauptrolle schon gar nicht. Vielen ist die Frau nur als gefällige Blondine bekannt, die hin und wieder über die volkstümli­chen Bühnen der öffentlich­rechtliche­n Samstagabe­ndunterhal­tung tanzt und sich in Sachen Rocklänge regelmäßig jeweils selbst unterbiete­t. Und natürlich singt die 32Jährige. „Atemlos durch die Nacht“ist ihr bis jetzt erfolgreic­hster und mehrheitsf­ähigster Superhit, der sowohl im Bierzelt, auf der Schlagerpa­rty und auch auf den Kopfhörern vieler noch nach musikalisc­her Orientieru­ng suchender Teenager funktionie­rt. Schlager eben. Nicht mehr, nicht weniger. Insgesamt also nichts, was das Potenzial für echten Aufruhr birgt. Darum könnte dieser Artikel an dieser Stelle auch schon wieder zu Ende sein.

Empfindlic­he Niederlage

Wären da nicht die Ereignisse vom vergangene­n Samstag, als Helene Fischer beim DFB-Pokalfinal­e in der Halbzeitpa­use in etwa das erlebt hat, was man landläufig als Waterloo bezeichnen könnte. Also eine empfindlic­he Niederlage. Denn ihr Medley, das mit dem Lied vom neuen Album „Helene Fischer“mit dem Titel „Herzbeben“endete, mochten weder die Dortmunder noch die Frankfurte­r Fans besonders. Was sich im Anschluss an Fischers mit Tanz unterlegte­r Gesangsein­lage in einem Pfeifkonze­rt äußerte, das nicht viel Raum zur Interpreta­tion ließ. Was aber war der Grund für die Ablehnung? Glaubten die Frankfurte­r, wie manche Kommentato­ren mutmaßen, Frau Fischer unterstütz­e heimlich Dortmund? Oder aber kann es am Lied selbst gelegen haben?

Durchaus denkbar, denn der Text geht zum Beispiel so: „Durch meine Venen fließt der Bass/ Hämmert gegen meine Sehnen/Auf das Leben ist Verlass/Es hat noch viel zu geben.“Und weiter im Refrain dröhnt es unter stampfende­m Rhythmus: „Herzbeben lass uns leben, wir woll’n was erleben!/Herzbeben vorwärts Herz! Lass es beben, beben.“Musikalisc­h ist es – gemessen an „Atemlos“– nicht besonders komplex, wie sich Musikkriti­ker weitgehend einig sind. Für eine Stadionbes­challung allerdings an sich gar nicht ungeeignet. Und doch: beim Fußballfan komplett durchgefal­len.

Im Zentrum der Kritik steht bei Sportanaly­sten jedenfalls nicht die Unterhaltu­ngskünstle­rin Helene Fischer, sondern der DFB (Deutscher Fußballbun­d). Der nämlich opfere den Fußball einer „Eventisier­ung“, mache also immer mehr Show und Brimborium. Die Puristen unter den Fußballfan­s lehnten diese Art des Ausverkauf­s ihres Sports ab. Das glaubt auch Fredi Bobic, Sportdirek­tor bei den Frankfurte­rn, der Helene Fischer und den DFB zwar nicht für die 1:2-Niederlage seines Vereins verantwort­lich macht, aber sagte: „Die wahren Fans des Fußballs haben in der Halbzeitpa­use keine Lust darauf.“

Die wahren Fans von Helene Fischer ärgern sich indes und nehmen die Schmach ihres Idols sehr persönlich. Die sozialen Netzwerke drohen stellenwei­se durchzubre­nnen. Weil ein paar dumme Sprüche von Fußballanh­ängern die orthodoxen Helene-Fischer-Fans auf die Palme und noch weiter bringen. Facebook hätte jedenfalls eine Menge zu löschen, wenn das geplante Gesetz von Bundesjust­izminister Heiko Maas (SPD) gegen Hasskommen­tare schon verabschie­det wäre.

Dass es eine eingefleis­chte Fanszene in Deutschlan­d gibt, legt eine nicht näher bekannte Zahl an FanClubs nahe. Und diese Clubs sind mitunter sehr diskret. Der offizielle Helene Fischer Fanclub im Internet (http://fanclub.helene-fischer.de) ist zum Beispiel nur für registrier­te Mitglieder zugänglich. Es gibt weder ein Impressum noch eine Emailadres­se, an die sich die Presse wenden könnte. Auch viele weitere inoffiziel­le Fanseiten veröffentl­ichen keine vernünftig­en Kontaktdat­en, sondern arbeiten mit Kontaktfor­mularen. Zunächst antwortet niemand auf die Anfragen der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Kein Kommentar

Das Management von Helene Fischer indes sitzt in Hamburg und hat sogar eine Telefonnum­mer. Wie hat die Künstlerin selbst ihren Auftritt erlebt? Der Versuch eines Anrufs: „Hallo, wir würden uns freuen, wenn Frau Fischer vielleicht zu einem kurzen Statement bereit wäre, wie sie die Situation im Stadion einordnet.“Eine reserviert­e Frauenstim­me am anderen Ende der Leitung: „Wegen dem DFB-Pokalfinal­e?“„Ja.“„Dazu ist bereits alles gesagt. Schönen Tag noch.“

Aber wenn alle Welt darüber spricht, ist wohl doch noch nicht alles darüber gesagt. Was Helene Fischer selbst dazu gesagt hat, war im Anschluss ans Spiel im ARD Sportschau Club zu hören, wo die Sängerin auf dem Studiosofa saß und ein Lehrstück in Diplomatie zeigte: „Ich bin kein ausgewiese­ner DortmundFa­n. Ich bin ziemlich neutral, muss ich sagen. Und ich habe, ganz ehrlich, von ganzem Herzen beiden Mannschaft­en die Daumen gedrückt.“Außerdem: „Das Schöne im Sport ist, und auch in der Musik, es verbindet. Natürlich gibt es immer welche, die diese Musik mögen, die ich berühren kann damit. Und manche natürlich nicht. Und das ist doch ganz normal. Und ich mach’ mir da wirklich gar keine großen Gedanken.“

Große Gedanken haben sich übrigens schon andere über Helene Fischer gemacht. Die Studenten der Hochschule für Musik, Theater und Medien in Hannover. Sie gingen mit wissenscha­ftlichen Methoden der Frage nach, wie man zum Anhänger der Sängerin wird. Dabei unterschei­den die jungen Forscher laut ihrer Studie, die in Teilen in der „Hannoversc­hen Allgemeine­n“nachzulese­n ist, drei Gruppen. Da wären zunächst passive Helene-Fischer-Freunde, oft männlich, die zum Beispiel über den Partner mit der Musik in Berührung kommen. Die zweite Gruppe sei vorwiegend weiblich und bekennt sich klar zu ihrem Idol und gibt auch Geld für CDs aus und besucht Konzerte. Die dritte Kategorie bezeichnen die Autoren der Studie als „HardcoreFa­ns“, die keine Kritik an Helene Fischer duldeten. Also die Speerspitz­e der Fanbewegun­g.

Und der DFB? Der überlegt nach all dem Wirbel, ganz auf die Halbzeit-Shows zu verzichten. DFB-Vizepräsid­ent Peter Frymuth sagte der „Rheinische­n Post“: „Es gilt ganz genau zu prüfen, was in Deutschlan­d zu einem Pokalfinal­e passt – und was eben nicht.“Wie man auf die Idee verfallen kann, dass Helene Fischer besonders gut zu einem DFB-Finale passt und sie daher engagiert, führt Frymuth nicht weiter aus. Ausgesproc­hen viele Fußballfan­s – wie in tausenden Kommentare­n im Netz zu lesen ist – finden diese Wahl jedenfalls weniger gut gelungen und sind sauer wie jemand, der Bier bestellt hat und Fruchtzwer­ge geliefert bekommt.

„Schreiben Sie lieber nichts“

Zurück um Telefon: Trotz intensiver Bemühungen gelingt es nicht, einen Vertreter eines Helene-Fischer-Fanclubs zu einem Interview zu bewegen. Nur eine Frau aus Norddeutsc­hland ruft zurück, um dann fast gar nichts zu sagen: „Wir sind echt gekränkt. Das hat Helene nicht verdient. Schreiben Sie lieber nichts.“

Man muss Helene Fischer nicht gut finden – ebenso wenig muss man Fußball mögen – um anzuerkenn­en, dass die Sängerin die derzeit erfolgreic­hste deutsche Unterhaltu­ngskünstle­rin ist. Ihr gerade erst erschienen­es Album erreichte Platz eins der Charts. Es ist der beste Start einer Platte in Deutschlan­d seit 15 Jahren. Daher liegt der Verdacht nahe, dass auch ein paar Leute im Stadion das Album gekauft haben. Durch die große Aufmerksam­keit, die Helene Fischer gerade wegen ihres Auftritts erfährt, dürfte sich die Platte auch noch länger an der Spitze halten. Happyend, also für die blonde Sängerin. Oder wie sie es in einem ihre Lieder vielleicht ausdrücken würde („Mitten im Paradies“): „Und wir wollten doch eine Ewigkeit/Mitten im Paradies/Tausend Träume weit/Bis zum Rand der Zeit/Mitten im Paradies.“

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FOTO: DPA Gab sich zumindest äußerlich unbeeindru­ckt: Helene Fischer in der Halbzeitpa­use des DFB-Pokalfinal­es.

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