Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Herzbeben
Fußballanhänger pfeifen, Helene-Fischer-Fans schäumen und die Künstlerin feiert Erfolge
I m Leben der meisten Menschen spielt Helene Fischer keine besondere Rolle, eine Hauptrolle schon gar nicht. Vielen ist die Frau nur als gefällige Blondine bekannt, die hin und wieder über die volkstümlichen Bühnen der öffentlichrechtlichen Samstagabendunterhaltung tanzt und sich in Sachen Rocklänge regelmäßig jeweils selbst unterbietet. Und natürlich singt die 32Jährige. „Atemlos durch die Nacht“ist ihr bis jetzt erfolgreichster und mehrheitsfähigster Superhit, der sowohl im Bierzelt, auf der Schlagerparty und auch auf den Kopfhörern vieler noch nach musikalischer Orientierung suchender Teenager funktioniert. Schlager eben. Nicht mehr, nicht weniger. Insgesamt also nichts, was das Potenzial für echten Aufruhr birgt. Darum könnte dieser Artikel an dieser Stelle auch schon wieder zu Ende sein.
Empfindliche Niederlage
Wären da nicht die Ereignisse vom vergangenen Samstag, als Helene Fischer beim DFB-Pokalfinale in der Halbzeitpause in etwa das erlebt hat, was man landläufig als Waterloo bezeichnen könnte. Also eine empfindliche Niederlage. Denn ihr Medley, das mit dem Lied vom neuen Album „Helene Fischer“mit dem Titel „Herzbeben“endete, mochten weder die Dortmunder noch die Frankfurter Fans besonders. Was sich im Anschluss an Fischers mit Tanz unterlegter Gesangseinlage in einem Pfeifkonzert äußerte, das nicht viel Raum zur Interpretation ließ. Was aber war der Grund für die Ablehnung? Glaubten die Frankfurter, wie manche Kommentatoren mutmaßen, Frau Fischer unterstütze heimlich Dortmund? Oder aber kann es am Lied selbst gelegen haben?
Durchaus denkbar, denn der Text geht zum Beispiel so: „Durch meine Venen fließt der Bass/ Hämmert gegen meine Sehnen/Auf das Leben ist Verlass/Es hat noch viel zu geben.“Und weiter im Refrain dröhnt es unter stampfendem Rhythmus: „Herzbeben lass uns leben, wir woll’n was erleben!/Herzbeben vorwärts Herz! Lass es beben, beben.“Musikalisch ist es – gemessen an „Atemlos“– nicht besonders komplex, wie sich Musikkritiker weitgehend einig sind. Für eine Stadionbeschallung allerdings an sich gar nicht ungeeignet. Und doch: beim Fußballfan komplett durchgefallen.
Im Zentrum der Kritik steht bei Sportanalysten jedenfalls nicht die Unterhaltungskünstlerin Helene Fischer, sondern der DFB (Deutscher Fußballbund). Der nämlich opfere den Fußball einer „Eventisierung“, mache also immer mehr Show und Brimborium. Die Puristen unter den Fußballfans lehnten diese Art des Ausverkaufs ihres Sports ab. Das glaubt auch Fredi Bobic, Sportdirektor bei den Frankfurtern, der Helene Fischer und den DFB zwar nicht für die 1:2-Niederlage seines Vereins verantwortlich macht, aber sagte: „Die wahren Fans des Fußballs haben in der Halbzeitpause keine Lust darauf.“
Die wahren Fans von Helene Fischer ärgern sich indes und nehmen die Schmach ihres Idols sehr persönlich. Die sozialen Netzwerke drohen stellenweise durchzubrennen. Weil ein paar dumme Sprüche von Fußballanhängern die orthodoxen Helene-Fischer-Fans auf die Palme und noch weiter bringen. Facebook hätte jedenfalls eine Menge zu löschen, wenn das geplante Gesetz von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) gegen Hasskommentare schon verabschiedet wäre.
Dass es eine eingefleischte Fanszene in Deutschland gibt, legt eine nicht näher bekannte Zahl an FanClubs nahe. Und diese Clubs sind mitunter sehr diskret. Der offizielle Helene Fischer Fanclub im Internet (http://fanclub.helene-fischer.de) ist zum Beispiel nur für registrierte Mitglieder zugänglich. Es gibt weder ein Impressum noch eine Emailadresse, an die sich die Presse wenden könnte. Auch viele weitere inoffizielle Fanseiten veröffentlichen keine vernünftigen Kontaktdaten, sondern arbeiten mit Kontaktformularen. Zunächst antwortet niemand auf die Anfragen der „Schwäbischen Zeitung“.
Kein Kommentar
Das Management von Helene Fischer indes sitzt in Hamburg und hat sogar eine Telefonnummer. Wie hat die Künstlerin selbst ihren Auftritt erlebt? Der Versuch eines Anrufs: „Hallo, wir würden uns freuen, wenn Frau Fischer vielleicht zu einem kurzen Statement bereit wäre, wie sie die Situation im Stadion einordnet.“Eine reservierte Frauenstimme am anderen Ende der Leitung: „Wegen dem DFB-Pokalfinale?“„Ja.“„Dazu ist bereits alles gesagt. Schönen Tag noch.“
Aber wenn alle Welt darüber spricht, ist wohl doch noch nicht alles darüber gesagt. Was Helene Fischer selbst dazu gesagt hat, war im Anschluss ans Spiel im ARD Sportschau Club zu hören, wo die Sängerin auf dem Studiosofa saß und ein Lehrstück in Diplomatie zeigte: „Ich bin kein ausgewiesener DortmundFan. Ich bin ziemlich neutral, muss ich sagen. Und ich habe, ganz ehrlich, von ganzem Herzen beiden Mannschaften die Daumen gedrückt.“Außerdem: „Das Schöne im Sport ist, und auch in der Musik, es verbindet. Natürlich gibt es immer welche, die diese Musik mögen, die ich berühren kann damit. Und manche natürlich nicht. Und das ist doch ganz normal. Und ich mach’ mir da wirklich gar keine großen Gedanken.“
Große Gedanken haben sich übrigens schon andere über Helene Fischer gemacht. Die Studenten der Hochschule für Musik, Theater und Medien in Hannover. Sie gingen mit wissenschaftlichen Methoden der Frage nach, wie man zum Anhänger der Sängerin wird. Dabei unterscheiden die jungen Forscher laut ihrer Studie, die in Teilen in der „Hannoverschen Allgemeinen“nachzulesen ist, drei Gruppen. Da wären zunächst passive Helene-Fischer-Freunde, oft männlich, die zum Beispiel über den Partner mit der Musik in Berührung kommen. Die zweite Gruppe sei vorwiegend weiblich und bekennt sich klar zu ihrem Idol und gibt auch Geld für CDs aus und besucht Konzerte. Die dritte Kategorie bezeichnen die Autoren der Studie als „HardcoreFans“, die keine Kritik an Helene Fischer duldeten. Also die Speerspitze der Fanbewegung.
Und der DFB? Der überlegt nach all dem Wirbel, ganz auf die Halbzeit-Shows zu verzichten. DFB-Vizepräsident Peter Frymuth sagte der „Rheinischen Post“: „Es gilt ganz genau zu prüfen, was in Deutschland zu einem Pokalfinale passt – und was eben nicht.“Wie man auf die Idee verfallen kann, dass Helene Fischer besonders gut zu einem DFB-Finale passt und sie daher engagiert, führt Frymuth nicht weiter aus. Ausgesprochen viele Fußballfans – wie in tausenden Kommentaren im Netz zu lesen ist – finden diese Wahl jedenfalls weniger gut gelungen und sind sauer wie jemand, der Bier bestellt hat und Fruchtzwerge geliefert bekommt.
„Schreiben Sie lieber nichts“
Zurück um Telefon: Trotz intensiver Bemühungen gelingt es nicht, einen Vertreter eines Helene-Fischer-Fanclubs zu einem Interview zu bewegen. Nur eine Frau aus Norddeutschland ruft zurück, um dann fast gar nichts zu sagen: „Wir sind echt gekränkt. Das hat Helene nicht verdient. Schreiben Sie lieber nichts.“
Man muss Helene Fischer nicht gut finden – ebenso wenig muss man Fußball mögen – um anzuerkennen, dass die Sängerin die derzeit erfolgreichste deutsche Unterhaltungskünstlerin ist. Ihr gerade erst erschienenes Album erreichte Platz eins der Charts. Es ist der beste Start einer Platte in Deutschland seit 15 Jahren. Daher liegt der Verdacht nahe, dass auch ein paar Leute im Stadion das Album gekauft haben. Durch die große Aufmerksamkeit, die Helene Fischer gerade wegen ihres Auftritts erfährt, dürfte sich die Platte auch noch länger an der Spitze halten. Happyend, also für die blonde Sängerin. Oder wie sie es in einem ihre Lieder vielleicht ausdrücken würde („Mitten im Paradies“): „Und wir wollten doch eine Ewigkeit/Mitten im Paradies/Tausend Träume weit/Bis zum Rand der Zeit/Mitten im Paradies.“