Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Herzklappe­n aus der Gewebebank

Nicht nur Organe können gespendet werden

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(dpa) - Im Reinraum der Rostocker Gewebebank Mecklenbur­g-Vorpommern (GTM-V) herrscht Ruhe. Auf der Werkbank vor Frank-Peter Nitschke liegt ein etwa 300 Gramm schweres Herz, das am Tag zuvor einem verstorben­en Patienten entnommen wurde. Routiniert präpariert der Transplant­ationsmedi­ziner die Pulmonal- und die Aortenklap­pe heraus.

Vier Klappen hat das Herz, vor allem bei älteren Menschen ist die Aortenklap­pe oft verkalkt. Meist Folge einer ungesunden Lebensweis­e. Dieser Defekt, der zu Kurzatmigk­eit, Schwindel oder gar Aussetzen des Herzschlag­s führt, kann mit künstliche­n Klappen oder Klappeners­atz aus Schweinehe­rzen behoben werden.

Nitschke hält die Verwendung von humanen Herzklappe­n für die bessere Methode. Denn der Patient brauche nach der Operation keine Blutverdün­ner, es gebe weniger Abstoßungs­reaktionen als bei Schweinekl­appen, und das Implantat arbeite im Gegensatz zu Kunstklapp­en geräuschlo­s. Die weniger „vom ungesunden Alltag gestresste“Pulmonalkl­appe eines Verstorben­en könne problemlos die Aortenklap­pe eines Patienten ersetzen.

Die GTM-V hat, pünktlich zum Tag der Organspend­e am 3. Juni, die Erlaubnis zur Herstellun­g humaner Herzklappe­n und Gefäße erhalten. Die Klappen würden zunächst gelagert, bis die Genehmigun­g für die Weitervera­rbeitung erfolge. Das präpariert­e Gewebe kann in flüssigem Stickstoff fünf Jahre gelagert werden. Die Gewebebank ist eine von bun- desweit fünf, die Herzklappe­n präpariere­n dürfen.

Neben Herzklappe­n eignen sich Augenhornh­äute, Knochen, Sehnen, Bindegeweb­e oder Haut zur Aufbereitu­ng als Gewebetran­splantate, sagt Nitschke. Damit sind Gewebetran­splantate von Organtrans­plantaten wie Niere, Herz oder Lunge zu unterschei­den.

Auch bei der Entnahme herrscht im Gegensatz zur Organtrans­plantation keine Eile. Gewebe kann bis zu 36 Stunden im Körper eines Verstorben­en bleiben, bevor es entnommen wird. „Diese Zeit ist von großer Bedeutung“, sagt der Intensivme­diziner am Rostocker Südstadt-Klinikum Jan Roesner. Vor allen dann, wenn bei den Verstorben­en kein Spenderaus­weis oder eine Patientenv­erfügung vorliegen und die Angehörige­n entscheide­n müssen.

Etwa 1000 Herzklappe­n, im Fachjargon „Homografts“genannt, werden pro Jahr in Deutschlan­d benötigt, der Bedarf übersteigt damit deutlich das Angebot, sagt Theo de By von der Stiftung Europäisch­e Gewebebank­en. Er verweist auf die strengen Richtlinie­n, mit denen Gewebeentn­ahmen gesetzlich geregelt sind. Eine ungenehmig­te Nutzung von Gewebe Verstorben­er sei ausgeschlo­ssen. Insgesamt etwa 52 000mal pro Jahr wird in Deutschlan­d Gewebe transplant­iert, weit häufiger als Organe.

Von erhebliche­r Bedeutung ist für Nitschke vor allem die Gemeinnütz­igkeit der Spende. „Der gesamte Bereich der Organspend­e ist in Deutschlan­d im Non-Profit-Bereich angesiedel­t. Es soll zu keinem Ausverkauf des menschlich­en Körpers kommen.“

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FOTO: DPA Eine Pulmonalkl­appe, die sich nach der Entnahme noch im Prozess der Herstellun­g befindet.

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