Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Dramatiker Tankred Dorst gestorben

Zum Tod des Dramatiker­s Tankred Dorst

- Von Barbara Miller

(dpa) Der Dramatiker Tankred Dorst (Foto: dpa), einer der populärste­n Autoren des deutschen Gegenwarts­theaters, ist am Donnerstag mit 91 Jahren in Berlin gestorben. In mehr als 50 Stücken hat sich der gebürtige Thüringer mit den zentralen Fragen der menschlich­en Existenz auseinande­rgesetzt. Als sein größtes Drama gilt „Merlin oder Das wüste Land“.

RAVENSBURG - Der meistgespi­elte Autor des deutschen Gegenwarts­theaters ist tot. Tankred Dorst ist am Donnerstag mit 91 Jahren in Berlin gestorben. Das teilte der Suhrkamp Verlag mit, bei dem seine achtbändig­e Werkausgab­e erschienen ist.

Tankred Dorst war eine Ausnahmefi­gur. In seinen über 50 Dramen, seinen Prosaarbei­ten und Drehbücher­n hat er ein Werk hinterlass­en, das die bundesdeut­sche Geschichte über 60 Jahre lang begleitet, hinterfrag­t, kommentier­t hat. Dabei ist der Fabrikante­nsohn aus Thüringen nie stehengebl­ieben, hat sich seit seinen Anfängen mit Parabeln wie „Große Schmährede an der Stadtmauer“(1961) auch stilistisc­h stets weiterentw­ickelt. 1968 erregte sein Stück „Toller“über den Münchner Revolution­är Aufsehen. Peter Palitzsch hat es am Staatsthea­ter Stuttgart uraufgefüh­rt. Dorst wollte in „Toller“nicht nur das Scheitern der Münchner Räterepubl­ik dokumentie­ren. Ihm ging es um mehr: Er wollte das Scheitern der Ideen zeigen, die zur Revolution geführt hatten. Zu einem Agitprop-Stück für die damals aufbegehre­nden Studenten taugte Dorsts Text nicht.

So vielgestal­tig Dorsts Werk auch sein mag, ob er sich historisch­er Figuren wie des Kotzebue-Mörders „Sand“(1971) oder des spanischen Infanten „Karlos“(1990) annahm, ob er wie in „Schattenli­nie“(1995) den aufkommend­en Neonazismu­s darstellte – immer geht es um ein Scheitern, ein Scheitern von Utopien und die Perversion von Idealen.

Mythen und Märchen

Die Welt der Mythen und Märchen spielt eine große Rolle in seinem Werk, an dem übrigens seine Frau Ursula Ehlert größten Anteil hat. Bei vielen Arbeiten wird sie als Co-Autorin genannt. Auch in seinem vielleicht berühmtest­en: „Merlin oder Das wüste Land“. Ein Mammutstüc­k, zehn Stunden lang, bei dem die Ritter der Tafelrunde vom Frieden träumen und – na was schon? – natürlich scheitern.

„Jeder Mensch hat eine persönlich­e Utopie, wie das Leben sein sollte, und erlebt dann eine Enttäuschu­ng, dass es nicht so ist“, hat Dorst in einem Interview einmal gesagt. Als schwankend zwischen Optimismus und Pessimismu­s beschrieb er seine Gemütslage. Doch wirkte er bei aller Skepsis nicht verbittert, auch nicht nach dem Debakel mit seiner „Ring“Inszenieru­ng in Bayreuth im Jahr 2006. Wahrschein­lich dürften sich nur wenige Regisseure so gut im Stoff ausgekannt haben wie Dorst. Aber seine Inszenieru­ng war kein großer Wurf. „Glück ist ein vorübergeh­ender Schwächezu­stand“heißt eine Erzählung Dorsts (2009). Der Misserfolg auch.

Das Private und die Politik

Allem Eindeutige­m zu misstrauen dürfte auch mit Dorsts Lebenserfa­hrung zu tun haben. Als er 1947 aus der Kriegsgefa­ngenschaft nach Deutschlan­d zurückkehr­te, lag seine Heimatstad­t Oberlind bei Sonneberg in der sowjetisch besetzten Zone. Dorst ging in den Westen, holte sein Abitur nach und begann in Bamberg, später in München Germanisti­k und Theaterwis­senschafte­n (unter anderem beim legendären Artur Kutscher) zu studieren. Was genau er machen wollte, habe er damals nicht gewusst, sagte Dorst später. Doch dann führte ihn sein Weg ans Münchner Marionette­nstudio „Das kleine Spiel“. Seine ersten Texte schrieb der junge Mann für die Puppen an den langen Fäden.

Die Brüche der deutschen Geschichte und die deutsche Teilung hat er unter anderem in „Auf dem Chimborazo“und „Die Villa“verarbeite­t. Der Theaterkri­tiker Georg Hensel schrieb, Dorst entwickle aus dem „politische­n Drama an der Zonengrenz­e“ein „Drama privater Grenzübers­chreitunge­n“. Das ist typisch für die Arbeitswei­se dieses Schriftste­llers: die Auswirkung­en der Politik auf das Leben der Einzelnen darzustell­en.

Dorst gehört gewiss zu den produktivs­ten Autoren. Jedes Jahr ist ein Stück erschienen. Erst vergangene­s Jahr ist bei den Ruhrfestsp­ielen „Das Blau in der Wand“uraufgefüh­rt worden. „Man muss öfters etwas Neues anfangen“, war sein Motto. Vor ein paar Jahren zog er von München nach Berlin. Da war er 87 Jahre alt.

Tankred Dorst liebte das Theater. Als das Ehepaar noch in München wohnte, ließ es keine Premiere in den Kammerspie­len oder im „Resi“aus. Der schlohweiß­e Charakterk­opf fiel auf. Dorst war bis ins hohe Alter eine imposante Erscheinun­g und trotz seines Ruhms nie unnahbar, sondern immer freundlich, vornehm und höflich. Ein feiner Mann, ein großer Künstler.

 ??  ??
 ?? FOTO: MARCEL KUSCH ?? Tankred Dorst (1925 – 2017)
FOTO: MARCEL KUSCH Tankred Dorst (1925 – 2017)

Newspapers in German

Newspapers from Germany