Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Paradiesvogel im Wohnzimmer
Heute hätte Tierfilmer Heinz Sielmann 100. Geburtstag gefeiert
BONN (KNA/epd) - Es war ein Termin für die ganze Familie, damals in der alten Bundesrepublik. Wenn Heinz Sielmann zu seinen „Expeditionen ins Tierreich“einlud, saß man interessiert vor dem Fernsehgerät. Das Publikum sah balzende Paradiesvögel in Papua-Neuguinea, Berggorillas in Ruanda oder diverse possierliche Tiere der hiesigen Fauna in Wäldern oder Schrebergärten.
Die Sendung wurde ein Erfolg: Mit seiner leicht näselnden Stimme, unvergleichlichen Formulierungen und wissenschaftlichem Ernst erklärte Sielmann den Zuschauern mehr oder weniger Exotisches in faszinierenden Bildern – auf verständliche Art und Weise. Sielmann, der 2006 im Alter von 89 Jahren starb, moderierte die NDR-„Expeditionen“von 1965 bis 1991. Vor 100 Jahren, am 2. Juni 1917, wurde er geboren.
Zu diesem Anlass werden Sielmann posthum einige Ehrungen zuteil: Am 8. Juni erscheint eine Sonderbriefmarke zu 45 Cent, und das Berliner Naturkundemuseum widmet ihm vom 2. Juni bis zum 5. November eine Ausstellung.
Seine betörend schönen Aufnahmen in der Arktis, auf Galapagos oder an der früheren deutsch-deutschen Grenze entstanden mit viel Aufwand. Einen Einblick in Sielmanns Arbeit bekommt man zum Beispiel im Zusammenhang mit seinem Film „Zimmerleute des Waldes“(1954) auf der Internetseite der Heinz Sielmann Stiftung.
In einem kurzen Video heißt es dort etwa: „Um den Nahrungserwerb der Spechte, vor allem die Aktivitäten der Harpunen und Leimrutenzungen zu filmen, haben wir Jungvögel aufgezogen und sie so zutraulich gemacht, dass sie uns später ohne Furcht ihre Zungen zeigen. Das war eine langwierige Arbeit.“Es folgen Aufnahmen der vorschnellenden Zunge eines Schwarzspechtes, der eine Larve aus dem Baumstumpf zerrt.
Noch aufwendiger sehen die Arbeiten auf einem Hochsitz aus, um die „Vorgänge in den dunklen Nisthöhlen“der Spechte aufzunehmen: gerade geschlüpfte Tiere, die von ihren Eltern gefüttert werden; anklopfende Spechte beim „Schichtwechsel“. Dies war möglich, weil die Rückwand der „Spechtwohnung“mit einer Glasscheibe ersetzt worden war.
Debüt von Fachleuten gelobt
Für „Zimmerleute des Waldes“erhielt Sielmann 1955 nicht nur den Bundesfilmpreis, sondern im selben Jahr auch die Kleine Goldene Plakette der Internationalen Filmfestspiele Berlin. Das sind nur zwei Beispiele aus einer Fülle an Auszeichnungen. Zu ihnen gehörten unter anderem der Silberne Bär der Berlinale, die Goldene Kamera, der Bambi und das Verdienstkreuz.
Geboren wurde Sielmann in Rheydt/Mönchengladbach. Im Jahr 1924 zog die Familie dann nach Ostpreußen – ein „Mekka für Naturbegegnungen“, wie Sielmann Jahrzehnte später sagte. Schon früh machte er Foto- und Filmaufnahmen von Tieren, zum Abitur bekam Heinz eine Filmkamera. Mit ihr drehte er 1938 seinen ersten – von Fachleuten gelobten – Dokumentarfilm „Vögel über Haff und Wiesen“. Im Zweiten Weltkrieg, von 1941 bis 1942, wurde Sielmann vom Wehrdienst beurlaubt, um in Posen (Poznan) Biologie zu studieren. 1956 nahm er das Studium in München wieder auf.
Als Angehöriger der Wehrmacht begann er 1944 mit Dreharbeiten auf Kreta. Sielmann sagte einmal, dass ihn der Zoologe Erwin Stresemann mit der Kreta-Exkursion davor bewahrt habe, in Richtung Stalingrad ziehen zu müssen. Auf Kreta geriet er in britische Gefangenschaft und übergab sein Filmmaterial über die dortige Vogelwelt den Briten. Bis 1947 blieb Heinz Sielmann in London, wurde von dort an das „Institut für Film und Bild im Unterricht“in Hamburg vermittelt. Es folgte Film auf Film aus unterschiedlichsten Weltgegenden für Fernsehen und Kino. Eine kleine Auswahl klingender Titel: „Quick, das Eichhörnchen“(1951), „Herrscher des Urwalds“(1957) oder „Tiere im Schatten der Grenze“(1988).
1951 heiratete Sielmann Inge, die seine Gefährtin auch bei der Arbeit und beim Naturschutz wurde, und zog nach München. Drei Jahre später kam Sohn Stephan zur Welt, der 1978 in Afrika starb. Im Zuge ihres Einsatzes für den Natur- und Tierschutz gründeten Heinz und Inge Sielmann 1994 die Heinz Sielmann Stiftung.
Am 6. Oktober 2006 starb der Tierfilmer und Naturschützer in München. Seine letzte Ruhestätte befindet sich auf Gut Herbigshagen in der Franz-von-Assisi-Kapelle im niedersächsischen Duderstadt.
Sielmann, der neben Bernhard Grzimek den Tierfreunden vor allem in Westdeutschland zum Teil ganz neue Einblicke gewährte, sagte einmal, er hoffe, viele Menschen mit seiner Arbeit inspiriert zu haben. Und: „Ich bin ein zutiefst zufriedener Mensch, und das verdanke ich der Natur.“