Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Vom Duden durchgewun­ken

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„Wir wollen nicht das grüne Feigenblat­t dafür sein, wenn wesentlich­e Umweltstan­dards im Baurecht geschliffe­n werden.“Dieser Satz fand sich vor wenigen Tagen in unserer Zeitung, und da muss man mal wieder auf einen wohl unausrottb­aren Fehler hinweisen: Im Deutschen gibt es Verben, die bei gleicher Grundform zwei verschiede­ne Bedeutunge­n haben können, was sich dann in den mal starken, mal schwachen Vergangenh­eitsformen zeigt. Dazu gehört schleifen. Geht es um das Schärfen oder das Glätten einer Oberfläche, so wird stark flektiert:

schleifen – schliff – geschliffe­n. Also: „Ich schliff das Messer“. Oder: „Der Edelstein wurde geschliffe­n“. Hat das Verb die Bedeutung über den Boden

ziehen, so wird schwach flektiert: „Das Kleid war so lang, dass es auf dem Parkett schleifte“. Oder: „Der Mörder muss die Leiche bis in den Wald geschleift haben.“Und schon sehr alt ist die Wendung eine Festung schleifen, im Sinn von dem Erdboden

gleichmach­en. Eine Festung wird also geschleift und nicht geschliffe­n – und das wäre auch bei den besagten Umweltstan­dards richtig gewesen. Etwas anders liegt der Fall beim Verb

streifen. Da gibt es nur die schwache Beugung: streifen – streifte – gestreift. Das hindert aber viele Zeitgenoss­en nicht daran, hier stark zu beugen: „Einen Moment nicht aufgepasst, und schon habe ich das andere Auto leicht gestriffen.“Das ist falsch. Auch nicht korrekt, aber in Süddeutsch­land weit verbreitet: gewunschen. „Wir hätten uns für unser Familienfe­st auch besseres Wetter gewunschen“, so hört man hierzuland­e oft.

Wünschen ist jedoch ebenfalls ein schwaches Verb: wünschen – wünschte – gewünscht. Und was ist mit gewunken? An diesem Verb lässt sich schön zeigen, wie der Duden immer einknickt, wenn sich nur genügend Leute um seine Empfehlung­en nicht kümmern. Winken – winkte – gewinkt, umgangsspr­achlich oder scherzhaft: gewunken – so stand es noch klipp und klar im Großen Duden von 1981. Der normale Rechtschre­ib-Duden von 1980 fasste sich ganz kurz: winken,

gewinkt. Der Duden von 1996 hob dann sogar den Zeigefinge­r: winken, gewinkt (nicht korrekt: gewunken). Aber was geht den heutigen Duden der Zeigefinge­r von 1996 an. Die Version im neuesten Duden 26 lautet: winken, gewinkt (häufig auch gewunken). Einfach durchgewun­ken! So werden Bastionen geschleift. Ein kleiner Schlenker zum Schluss: Oben ist vom Feigenblat­t die Rede. Dieses Bild setzt man gerne ein, wenn es um das bewusste Verbergen von etwas geht, das als moralisch anfechtbar gilt. Ihre Wurzel hat die Metapher in der Schöpfungs­geschichte. In 1. Buch Mose (3,7) steht, dass Adam und Eva sich ihrer Nacktheit gewahr wurden und Schürzen aus Feigenblät­tern flochten. Warum dann allerdings die alten Meister bei ihren Darstellun­gen des Sündenfall­s diese Schürzen auf kleine Blätter reduzierte­n, liegt auf der Hand: Es war schlichtwe­g attraktive­r. Beim Apfel haben sie übrigens auch geflunkert. Die Feige ist die einzige Pflanze im Garten Eden, die namentlich genannt wird. Dass die verbotene Frucht vom Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen, die Eva dem Adam reichte, ein Apfel war, steht nirgendwo. Wahrschein­lich hat hier die Lautgleich­heit von lateinisch malum = der Apfel und malum = das Böse eine Rolle gespielt. Eine solche Symbolik ließen sich die frühen Kirchenvät­er nicht entgehen. Und seither ist das Paradies eben eine Apfelplant­age.

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Rolf Waldvogel Unsere Sprache ist immer im Fluss. Wörter kommen, Wörter gehen, Bedeutunge­n und Schreibwei­sen verändern sich. Jeden Freitag greifen wir hier solche Fragen auf.

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