Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Zuzug in die Städte hat Folgen für Senioren auf dem Land
Demografiebeauftragter Thaddäus Kunzmann informiert sich bei der Seniorengenossenschaft Riedlingen
RIEDLINGEN - Seit drei Monaten ist Thaddäus Kunzmann Demografiebeauftragter des Landes Baden-Württemberg. Am Mittwoch besuchte er in Riedlingen die Seniorengenossenschaft (SG), ein Einrichtung mit Vorbildfunktion im Lande. In dem Gespräch mahnte Kunzmann allerdings eine veränderte Ausrichtung in der Landespolitik an: eine Stärkung des ländlichen Raums. Denn wenn die jüngeren alle in die Städte gehen, brechen auf dem Land Versorgungsstrukturen weg – mit Folgen auch für Senioren auf dem Land.
Der demografische Wandel kommt oder ist bereits in vollem Gange. Die Bevölkerung wird älter mit entsprechenden Konsequenzen. Das will gemanaged werden. Alle wissen es, aber das Interesse an diesem Thema bleibt dennoch gering. Deshalb hat das Land befristet für fünf Jahre nun die Stelle des Demografiebeauftragten geschaffen, die der ehemalige Landtagsabgeordnete Kunzmann inne hat. Er soll Informationen zu dem Thema bündeln, Impulse geben – und vor allem das Thema immer wieder auf die öffentliche Agenda nehmen.
In einem rund zweistündigen Gespräch machte sich Kunzmann ein Bild der Riedlinger Einrichtung. Er lobte das differenzierte Versorgungsangebot in der Stadt, dank des bürgerschaftlichen Engagements in der SG. Betreutes Wohnen, Hilfsdienste und vor allem die Tagespflege hob Kunzmann positiv hervor. „Tagespflegeeinrichtungen gibt es noch viel zu wenige“, so der Demografiebeauftragte. Schon frühzeitig haben die Verantwortlichen in Riedlingen den Zug der Zeit erkannt und Strukturen verbessert. „Sie waren Pioniere“.
Doch das Modell einfach zu übertragen auf andere, vor allem größere Kommunen, das ist nach seiner Einschätzung nicht möglich. Denn die SG funktioniert in einer überschaubaren Einheit wie Riedlingen dank der persönlichen Beziehungen. In Großstädten hingegen, brauche es die Unterstützung hauptamtlicher Kräfte, so Kunzmann.
Ausbluten des Landes
Dabei macht ihm auch aus demografischer Sicht der Sog in die Städte große Sorgen. „Die Städte haben einen hohen Siedlungsdruck“, sagt Kunzmann. Immer mehr Menschen drängen in die Städte. Wohnraum ist knapp und teuer. Gleichzeitig blutet der ländliche Raum aus. Mit entsprechenden Folgen: Wenn junge Familien wegziehen, ziehe die nächste Generation weg. Irgendwann brechen Versorgungsstrukturen weg, Einkaufsmöglichkeiten oder medizinische Versorgung sind nicht mehr gegeben. Folge: Auch Ältere drücken in die Stadt, weil sie in ihrem Umfeld nicht mehr versorgt werden können. Die entsprechenden Einrichtungen können nicht mehr angeboten werden, Fachpersonal fehlt. Das sei die falsche Entwicklung. Da muss aus Kunzmanns Sicht die Politik ihre Prioritäten überdenken.
Bürokratie überdenken
Aber auch einige Wünsche an die Politik wurden von den Verantwortlichen der Seniorengenossenschaft um Josef Martin an Kunzmann herangetragen. Die überbordende Bürokratie und die Qualitätsanforderungen, die inzwischen gelten. So muss etwa ein Ehrenamtlicher erst 160 Stunden Schulung absolvieren, ehe er ehrenamtlich tätig sein kann. Oder nach den Empfehlungen des Verbandes sollte jeder Klient in der Tagespflege 16 Quadratmeter zur Verfügung haben. „Dann können wir nur noch Turnhallen nutzen“, sagte Michael Wissussek, und ergänzt: „Ich kann Qualität über alles stellen, aber wenn es nicht mehr geht, wenn es einfach nicht funktionieren kann, nützt dies niemandem.“