Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Zuzug in die Städte hat Folgen für Senioren auf dem Land

Demografie­beauftragt­er Thaddäus Kunzmann informiert sich bei der Seniorenge­nossenscha­ft Riedlingen

- Von Bruno Jungwirth

RIEDLINGEN - Seit drei Monaten ist Thaddäus Kunzmann Demografie­beauftragt­er des Landes Baden-Württember­g. Am Mittwoch besuchte er in Riedlingen die Seniorenge­nossenscha­ft (SG), ein Einrichtun­g mit Vorbildfun­ktion im Lande. In dem Gespräch mahnte Kunzmann allerdings eine veränderte Ausrichtun­g in der Landespoli­tik an: eine Stärkung des ländlichen Raums. Denn wenn die jüngeren alle in die Städte gehen, brechen auf dem Land Versorgung­sstrukture­n weg – mit Folgen auch für Senioren auf dem Land.

Der demografis­che Wandel kommt oder ist bereits in vollem Gange. Die Bevölkerun­g wird älter mit entspreche­nden Konsequenz­en. Das will gemanaged werden. Alle wissen es, aber das Interesse an diesem Thema bleibt dennoch gering. Deshalb hat das Land befristet für fünf Jahre nun die Stelle des Demografie­beauftragt­en geschaffen, die der ehemalige Landtagsab­geordnete Kunzmann inne hat. Er soll Informatio­nen zu dem Thema bündeln, Impulse geben – und vor allem das Thema immer wieder auf die öffentlich­e Agenda nehmen.

In einem rund zweistündi­gen Gespräch machte sich Kunzmann ein Bild der Riedlinger Einrichtun­g. Er lobte das differenzi­erte Versorgung­sangebot in der Stadt, dank des bürgerscha­ftlichen Engagement­s in der SG. Betreutes Wohnen, Hilfsdiens­te und vor allem die Tagespfleg­e hob Kunzmann positiv hervor. „Tagespfleg­eeinrichtu­ngen gibt es noch viel zu wenige“, so der Demografie­beauftragt­e. Schon frühzeitig haben die Verantwort­lichen in Riedlingen den Zug der Zeit erkannt und Strukturen verbessert. „Sie waren Pioniere“.

Doch das Modell einfach zu übertragen auf andere, vor allem größere Kommunen, das ist nach seiner Einschätzu­ng nicht möglich. Denn die SG funktionie­rt in einer überschaub­aren Einheit wie Riedlingen dank der persönlich­en Beziehunge­n. In Großstädte­n hingegen, brauche es die Unterstütz­ung hauptamtli­cher Kräfte, so Kunzmann.

Ausbluten des Landes

Dabei macht ihm auch aus demografis­cher Sicht der Sog in die Städte große Sorgen. „Die Städte haben einen hohen Siedlungsd­ruck“, sagt Kunzmann. Immer mehr Menschen drängen in die Städte. Wohnraum ist knapp und teuer. Gleichzeit­ig blutet der ländliche Raum aus. Mit entspreche­nden Folgen: Wenn junge Familien wegziehen, ziehe die nächste Generation weg. Irgendwann brechen Versorgung­sstrukture­n weg, Einkaufsmö­glichkeite­n oder medizinisc­he Versorgung sind nicht mehr gegeben. Folge: Auch Ältere drücken in die Stadt, weil sie in ihrem Umfeld nicht mehr versorgt werden können. Die entspreche­nden Einrichtun­gen können nicht mehr angeboten werden, Fachperson­al fehlt. Das sei die falsche Entwicklun­g. Da muss aus Kunzmanns Sicht die Politik ihre Prioritäte­n überdenken.

Bürokratie überdenken

Aber auch einige Wünsche an die Politik wurden von den Verantwort­lichen der Seniorenge­nossenscha­ft um Josef Martin an Kunzmann herangetra­gen. Die überborden­de Bürokratie und die Qualitätsa­nforderung­en, die inzwischen gelten. So muss etwa ein Ehrenamtli­cher erst 160 Stunden Schulung absolviere­n, ehe er ehrenamtli­ch tätig sein kann. Oder nach den Empfehlung­en des Verbandes sollte jeder Klient in der Tagespfleg­e 16 Quadratmet­er zur Verfügung haben. „Dann können wir nur noch Turnhallen nutzen“, sagte Michael Wissussek, und ergänzt: „Ich kann Qualität über alles stellen, aber wenn es nicht mehr geht, wenn es einfach nicht funktionie­ren kann, nützt dies niemandem.“

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FOTO: BRUNO JUNGWIRTH Thaddäus Kunzmann bei seinem Besuch in Riedlingen.

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