Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Kraftklubs Hommage an alte Helden

Die Indierocke­r erweitern ihr Spektrum

- Von Tom Nebe Live:

Kraftklub haben sich locker gemacht. Mit ihrem Crossover aus Indie-Poprock und Sprechgesa­ng waren sie nach der Band-Gründung 2009 von Chemnitzer Lokalhelde­n zur deutschlan­dweit bekannten Hausnummer geworden: Nummer-EinsAlben, Echo-Auszeichnu­ng, Konzerte und Auftritte bei den größten Festivals.

Dann meldeten sich Kraftklub Anfang 2016 ab: „Freunde. Wir sind raus!“, schrieb die Band auf ihrer Facebook-Seite. Ein Jahr keine Konzerte, dafür Urlaub. Und eine entspannte Zeit in Proberaum und Studio, wie Sänger Felix Brummer erzählt.

Vorher hatten sie die Alben schneller produziert. Viele Songs entstanden erst im Studio. Bei ihrer zweiten Platte „In Schwarz“(2014) spürten sie Druck. „Wir haben es halbwegs hinbekomme­n“, sagt Brummer rückblicke­nd. An das Niveau des erfolgreic­hen Debüts „Mit K“(2012) mit Hymnen wie „Ich will nicht nach Berlin“, „Songs für Liam“oder „Zu jung“kam der Nachfolger dann nicht ganz heran.

Am Freitag ist nun das dritte Album „Keine Nacht für Niemand“erschienen. Die Arbeit daran habe sich freier angefühlt, sagt Brummer. So sollten die Songs der Band bis dahin in erster Linie live bei Konzerten funktionie­ren, erzählt er. „Es sollte immer knallen und ballern.“Das ist auch dem Selbstvers­tändnis der Band geschuldet, die Erfolg nach eigener Aussage vor allen daran misst: Wie viele Menschen kommen zum Konzert? Und wie weit oben steht ihr Name auf den Plakaten der Musikfesti­vals, bei denen sie auftreten?

„Keine Nacht für Niemand“knallt und ballert erstmal in typischer Kraftklub-Manier los. Der erste Song der Platte, „Band mit K“, hat den Sound, der die Band bekannt gemacht hat: Schneller Indie-Rock und ein selbstiron­ischer, witziger Text. Brummer singt: „Wir geben keine Konzerte, wir halten heilige Messen.“Die ironische Selbstüber­höhung ist und bleibt ein beliebtes Stilmittel. Überhaupt ist auch dieses Kraftklub-Album wieder voll mit zitierfähi­gen Bonmots.

Nicht mehr ganz so roh und rotzig

Nach der gewohnten Kost zum Einstieg werden die Rhythmen zum Teil tatsächlic­h spürbar gemächlich­er. „Es muss nicht in jedem Song einen Disco-Beat geben, der durchhackt, damit die Leute gefälligst tanzen“, sagt Brummer. Tanzen lässt sich zu den meisten Lieder des Albums trotzdem.

Die Songs bieten Einschläge von Funk, Synthie-Pop, Hardrock – auch orchestral­e Klänge gibt es zu hören („Dein Lied“). Vielseitig­er ist die Musik geworden. Kraftklub wirken etwas gereifter, nicht mehr so roh und rotzig wie zuvor. Schlagzeug­er Max Marschk stellt fest: „Wir haben uns in diesem Album komplett von vielen Sachen gelöst, die wir abgefeiert haben, als wir jung waren.“Analoger und musikalisc­her sei die Platte im Vergleich zu den bisherigen.

Inhaltlich gibt es Hymnen gegen die Weltsicht der Wutbürger und Verschwöru­ngstheoret­iker („Fenster“), werden von Drogen vernebelte Partygänge­r in Berlin aufs Korn genommen („Chemie Chemie Ya“) oder das Leben in den Mühlen der Arbeitswel­t besungen („Sklave“). Es geht um unglücklic­he Liebe („Fan von Dir“), Feier-Exzesse („Hausverbot“) und die eigene Scheiß-Egal-Attitüde („Venus“). Ohne Frage: Anhänger der früheren Alben werden sich auch auf der neuen Platte wiederfind­en. Und wer genau hinhört, kann tief in die musikalisc­he Sozialisat­ion der Band eintauchen. „Keine Nacht für Niemand“ist voller Referenzen zu Vorbildern von Kraftklub. Das geht bereits beim Albumtitel los, einer Verbeugung vor dem SongKlassi­ker „Keine Macht für Niemand“der Anarcho-Rockband Ton Steine Scherben.

Zitierte Textstelle­n

In den Songs finden sich etwa Spuren von Deichkind („Venus“), Ol' Dirty Bastard („Chemie Chemie Ya“) oder Depeche Mode („Sklave“). Mal zitierte oder adaptierte Textstelle­n, mal instrument­ale Passagen. Plötzlich singt Farin Urlaub („Fenster“). Im Track „Am Ende“erklingt die Stimme von Element of Crime-Mastermind Sven Regener. In dem Album-Booklet sind die Features nicht notiert. Der Hörer soll die Anspielung­en auf die musikalisc­hen Helden der Band selber entdecken.

Brummer erklärt den Hintergeda­nken: „Wir hoffen, das er irgendwann feststellt: Das ist das Album, auf dem Kraftklub gezeigt haben, wer sie musikalisc­h sind. Warum sie die Musik machen, die sie machen.“

3.6. Nürburgrin­g, Rock am Ring; 20.10. Kempten, Big Box; 21.10. Stuttgart, Schleyerha­lle.

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FOTO: PHILIPP GLADSOME Mit neuem Album am Start: Kraftklub.

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