Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Vor einer neuen Ära der Angst

IS-Doppelansc­hlag verunsiche­rt die iranische Hauptstadt Teheran zutiefst

- Von Farshid Motahari

(dpa) - Mehr als 1000 Kilometer waren der 43-jährige Kasem und seine Familie mit dem Bus aus ihrer Heimatstad­t Schiras nach Teheran gefahren. Er wollte zumindest einen Tag im Fastenmona­t Ramadan im Mausoleum des verstorben­en Revolution­sführers Ajatollah Khomeini in der iranischen Hauptstadt verbringen und beten. Statt des spirituell­en Vorhabens erlebte er dort ein Blutbad.

„Auf einmal rannte einer in den Schrein rein, schrie „Allahu Akbar“(„Allah ist groß“) und dann knallte es“, erzählt Kasem. „Menschen fielen tot um, überall war Blut und dann sprengte sich auch einer von ihnen in die Luft.“Kasem brachte seine Frau und drei Kinder in Sicherheit, die nach dem Anschlag traumatisi­ert im Hof sitzen. Es riecht nach Blut und Munition.

Der 53-jährige Hussein ist wütend: „Diese Tiere!“Der Schrein sei ein Mausoleum, in dem Gläubige während des Ramadans hungrig und durstig einfach nur beten wollten. Wo, fragt er weinend, stehe im Koran, dass Muslime sich gegenseiti­g umbringen sollten? Von welchem Islam bekämen sie solche Anleitunge­n? „Wir glauben doch alle an den gleichen Propheten!“

Dramatisch­e Szenen im Parlament

Der zeitgleich ausgeführt­e Doppelansc­hlag im Mausoleum und im Parlament hat die iranische Hauptstadt zutiefst verunsiche­rt. Präsident Hassan Ruhani hatte vor der Präsidente­nwahl im vergangene­n Monat immer wieder betont, dass der Iran der sicherste Ort im Nahen Osten sei. Besonders sei das Land vor Anschlägen der Terrormili­z „Islamische­r Staat“(IS) geschützt.

Nun konnten IS-Terroriste­n das „Haus der Nation“– also das Parlament – und die wichtigste Gedenkstät­te der Hauptstadt fast mühelos stürmen. Neben den sechs Terroriste­n – vier von ihnen wurden erschossen, zwei sprengten sich in die Luft – kamen mindestens zwölf Zivilisten und Wächter ums Leben, mehr als 40 wurden verletzt.

Im Parlament sollen sich besonders dramatisch­e Szenen abgespielt haben. Auch eine Geiselnahm­e soll es dort gegeben haben. Nur in den Plenarsaal konnten die Terroriste­n nicht eindringen – den 290 Parlamenta­riern ist nichts passiert. Die Schießerei­en in dem Gebäude aber dauerten über Stunden an. Erst Spezialein­heiten der Revolution­sgarden konnten den Angriff beenden.

Nach Angaben des Innenminis­teriums waren die Terroriste­n als Frauen verkleidet ins Parlament gelangt. Wie die Kalaschnik­ow-Sturmgeweh­re ins Parlament gebracht werden konnten, wo doch normalen Besuchern sogar die Armbanduhr­en abgenommen werden, diese Frage blieb unbeantwor­tet. „Bis jetzt haben wir so was immer nur im Fernsehen gesehen, nun vor der eigenen Haustür“, sagte die Hausfrau Turan.

Für den sunnitisch­en IS gelten die Schiiten im Iran als Ungläubige, da der Iran sowohl in Syrien als auch im Nordirak im Kampf gegen den IS direkt involviert war und ist. „Jahrelang wurde uns vor den Juden in Israel Angst gemacht, jetzt haben wir als islamische­s Land es mit Islamismus zu tun“, sagte ein iranischer Journalist.

Der iranische Geheimdien­st und das Innenminis­terium versuchen, die Bürger Teherans zu beruhigen: Alles sei unter Kontrolle. Aber für Beobachter hat mit dem Doppelansc­hlag eine neue Ära der Angst im Iran begonnen. „Genauso wie London, Manchester und Paris sich nicht hundertpro­zentig schützen können, sind auch wir gegen den Terrorismu­s irgendwo machtlos“, sagte einer von ihnen.

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FOTO: DPA Iranische Sicherheit­skräfte und Polizisten kontrollie­ren das Gebiet um das Mausoleum des verstorben­en Revolution­sführers Ajatollah Khomeini nach dem Angriff.

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