Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
„May-Bot“gegen Protestprediger
Bei der Unterhauswahl in Großbritannien verkörpern Theresa May und Jeremy Corbyn starke Gegensätze
- Bolton, Bury, Oldham, Coventry, Walsall, Wolverhampton. Grimsby, Halifax, Hull – auf die Städte Mittel- und Nordenglands hat Theresa May in den vergangenen sieben Wochen ihre Anstrengungen im Wahlkampf konzentriert. Bisher wurden diese Regionen durch Mitglieder der Labour-Party im Unterhaus vertreten. Mit teils großer Mehrheit haben sie für den Brexit gestimmt.
Am letzten Tag der Wahlkampagne wandte sich die konservative Parteichefin erneut an die Menschen in diesen Wahlkreisen. „Es geht um starke und stabile Führung für den besten Brexit-Deal“, sagte die Premierministerin in Southampton. Kritiker werfen ihr vor, steif aufzutreten und vorgestanzte Satzhülsen zu verwenden. Reporter der Londoner Medien, die der Premierministerin im Wahlkampf folgen, bezeichnen die 60-Jährige als „May-Bot“– ein Wortspiel aus May und Roboter.
Mit ihrer harten Rhetorik seit dem dritten Terroranschlag binnen neun Wochen zielte May auf bisherige Wähler der EU-feindlichen Ukip sowie Labour-Sympathisanten, denen der Linkskurs des Oppositionsführers Jeremy Corbyn suspekt ist. Sollte sich die Notwendigkeit ergeben, müssten die Menschenrechte von Terror-Verdächtigen eingeschränkt werden, sagt May. Als mögliche Maßnahme nannte sie eine Erweiterung der bisher möglichen Frist, während der die britische Polizei Verdächtige ohne Anklage festhalten kann, von zwei auf vier Wochen. Unterfüttert wurde Mays Kampagne von den Titelseiten der konservativen Boulevardblätter. „Daily Mail“bezeichnete Corbyn sowie seine innen- und finanzpolitischen Sprecher als „Apologeten des Terrors“. Freilich deuteten andere Schlagzeilen auf die Versäumnisse von Polizei und Geheimdienst hin, die die langjährige Innenministerin May zuletzt in Bedrängnis brachten. Unter ihrer Ägide gab es erhebliche Personalkürzungen bei der Polizei, was nun die Labour-Party genüsslich ausbreitet. Die Torys wiederum weisen darauf hin, dass Corbyn sich allen Antiterrorgesetzen verweigert habe, vor zwei Jahren sogar Zweifel am Schießbefehl für Polizei-Spezialeinheiten äußerte.
Gern vor Gleichgesinnten
„Ich geniesse jede Minute dieses Wahlkampfes!“Mit diesem Satz beschliesst Corbyn gern seine Auftritte. Er wirkt glaubwürdig dabei. Der Labour-Oppositionsführer hat Politik immer als eine Abfolge von Protestmärschen und flammenden Reden vor gleichgesinnten Demonstranten verstanden, nun hat er schon das dritte Jahr in Folge Gelegenheit dazu. Vor zwei Jahren bewarb sich der damals 66-Jährige als vermeintlich aussichtsloser Kandidat der harten Parteilinken um den Vorsitz der Arbeiterpartei. Seine Kampagne fand begeisterte Zustimmung, Labour verdreifachte die Mitgliederzahl, am Ende war der langjährige Hinterbänkler und Serien-Rebell gegen seine eigene Parteiführung zum Chef gewählt.
Die Unterhausfraktion reagierte entsetzt, vor Jahresfrist sprachen die Parlamentarier dem Chef mit 80 Prozent Mehrheit das Misstrauen aus. Alt-Rebell Corbyn überstand den Aufstand und wurde vom Parteivolk im Amt bestätigt. Jetzt bittet er die Briten um die Schlüssel zum Amtssitz des Premierministers in der Downing Street Nummer zehn.
Weitgehend predigt der Herr mit dem eisgrauen Vollbart vor bereits Bekehrten in Regionen, die solide Labour wählen. Immer ein wenig atemlos schildert der Politik-Aktivist die Ungerechtigkeiten der Welt, verspricht die Verstaatlichung von Eisenbahn und Post, die Drosselung von Preisen für Strom und Gas, die Abschaffung der Studiengebühren, die Anhebung des Mindestlohns. Für all diese Wohltaten sollen Spitzenverdiener und Unternehmen höhere Steuern bezahlen.
Als der Wahlkampf begann, lagen die Tories im Durchschnitt von acht Meinungsforschern um fast 19 Prozent vor Labour. Binnen sechs Wochen ist der Vorsprung auf neun Prozent zusammengeschmolzen. Den Ausschlag geben werden die Regionen Mittel- und Nordenglands.