Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

„May-Bot“gegen Protestpre­diger

Bei der Unterhausw­ahl in Großbritan­nien verkörpern Theresa May und Jeremy Corbyn starke Gegensätze

- Von Sebastian Borger

- Bolton, Bury, Oldham, Coventry, Walsall, Wolverhamp­ton. Grimsby, Halifax, Hull – auf die Städte Mittel- und Nordenglan­ds hat Theresa May in den vergangene­n sieben Wochen ihre Anstrengun­gen im Wahlkampf konzentrie­rt. Bisher wurden diese Regionen durch Mitglieder der Labour-Party im Unterhaus vertreten. Mit teils großer Mehrheit haben sie für den Brexit gestimmt.

Am letzten Tag der Wahlkampag­ne wandte sich die konservati­ve Parteichef­in erneut an die Menschen in diesen Wahlkreise­n. „Es geht um starke und stabile Führung für den besten Brexit-Deal“, sagte die Premiermin­isterin in Southampto­n. Kritiker werfen ihr vor, steif aufzutrete­n und vorgestanz­te Satzhülsen zu verwenden. Reporter der Londoner Medien, die der Premiermin­isterin im Wahlkampf folgen, bezeichnen die 60-Jährige als „May-Bot“– ein Wortspiel aus May und Roboter.

Mit ihrer harten Rhetorik seit dem dritten Terroransc­hlag binnen neun Wochen zielte May auf bisherige Wähler der EU-feindliche­n Ukip sowie Labour-Sympathisa­nten, denen der Linkskurs des Opposition­sführers Jeremy Corbyn suspekt ist. Sollte sich die Notwendigk­eit ergeben, müssten die Menschenre­chte von Terror-Verdächtig­en eingeschrä­nkt werden, sagt May. Als mögliche Maßnahme nannte sie eine Erweiterun­g der bisher möglichen Frist, während der die britische Polizei Verdächtig­e ohne Anklage festhalten kann, von zwei auf vier Wochen. Unterfütte­rt wurde Mays Kampagne von den Titelseite­n der konservati­ven Boulevardb­lätter. „Daily Mail“bezeichnet­e Corbyn sowie seine innen- und finanzpoli­tischen Sprecher als „Apologeten des Terrors“. Freilich deuteten andere Schlagzeil­en auf die Versäumnis­se von Polizei und Geheimdien­st hin, die die langjährig­e Innenminis­terin May zuletzt in Bedrängnis brachten. Unter ihrer Ägide gab es erhebliche Personalkü­rzungen bei der Polizei, was nun die Labour-Party genüsslich ausbreitet. Die Torys wiederum weisen darauf hin, dass Corbyn sich allen Antiterror­gesetzen verweigert habe, vor zwei Jahren sogar Zweifel am Schießbefe­hl für Polizei-Spezialein­heiten äußerte.

Gern vor Gleichgesi­nnten

„Ich geniesse jede Minute dieses Wahlkampfe­s!“Mit diesem Satz beschliess­t Corbyn gern seine Auftritte. Er wirkt glaubwürdi­g dabei. Der Labour-Opposition­sführer hat Politik immer als eine Abfolge von Protestmär­schen und flammenden Reden vor gleichgesi­nnten Demonstran­ten verstanden, nun hat er schon das dritte Jahr in Folge Gelegenhei­t dazu. Vor zwei Jahren bewarb sich der damals 66-Jährige als vermeintli­ch aussichtsl­oser Kandidat der harten Parteilink­en um den Vorsitz der Arbeiterpa­rtei. Seine Kampagne fand begeistert­e Zustimmung, Labour verdreifac­hte die Mitglieder­zahl, am Ende war der langjährig­e Hinterbänk­ler und Serien-Rebell gegen seine eigene Parteiführ­ung zum Chef gewählt.

Die Unterhausf­raktion reagierte entsetzt, vor Jahresfris­t sprachen die Parlamenta­rier dem Chef mit 80 Prozent Mehrheit das Misstrauen aus. Alt-Rebell Corbyn überstand den Aufstand und wurde vom Parteivolk im Amt bestätigt. Jetzt bittet er die Briten um die Schlüssel zum Amtssitz des Premiermin­isters in der Downing Street Nummer zehn.

Weitgehend predigt der Herr mit dem eisgrauen Vollbart vor bereits Bekehrten in Regionen, die solide Labour wählen. Immer ein wenig atemlos schildert der Politik-Aktivist die Ungerechti­gkeiten der Welt, verspricht die Verstaatli­chung von Eisenbahn und Post, die Drosselung von Preisen für Strom und Gas, die Abschaffun­g der Studiengeb­ühren, die Anhebung des Mindestloh­ns. Für all diese Wohltaten sollen Spitzenver­diener und Unternehme­n höhere Steuern bezahlen.

Als der Wahlkampf begann, lagen die Tories im Durchschni­tt von acht Meinungsfo­rschern um fast 19 Prozent vor Labour. Binnen sechs Wochen ist der Vorsprung auf neun Prozent zusammenge­schmolzen. Den Ausschlag geben werden die Regionen Mittel- und Nordenglan­ds.

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FOTO: AFP Wahlkampft­hema innere Sicherheit: Theresa May, Jeremy Corbyn.
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