Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Eskalation beim Dessert

Dunkle Schatten auf der glänzenden Fassade: „The Dinner“mit Richard Gere

- Von Frank Schnelle The Dinner.

,Do lles scheint auf ein eher ironisch-witziges Kammerspie­l a la „Gott des Gemetzels“hinauszula­ufen in „The Dinner“. Doch der Schein trügt. Der Film von Oren Moverman entpuppt sich als bitteres Familiendr­ama.

Zwei ewig zerstritte­ne Brüder stehen im Mittelpunk­t: Paul (Steve Coogan), Historiker, Zyniker, Misanthrop, der die Öffentlich­keit scheut und den Termin im Nobelresta­urant am liebsten sausen ließe, und der ältere Stan (Richard Gere), Politiker, Gentleman, Prinzipien­mensch, der im Wahlkampfs­tress ist und trotzdem darauf besteht, endlich Tacheles zu reden. Begleitet werden sie von ihren Frauen: der freundlich­en, auf Ausgleich bedachten Claire (Laura Linney) und der dauergener­vten Katelyn (Rebecca Hall). Ein illustres, exzellent gespieltes Quartett, das erst einmal gute Miene zum bösen Spiel macht, früher oder später aber die Contenance verlieren und die gutbürgerl­iche Fassade fallen lassen wird.

Aber Vorsicht: Oren Movermans grimmige Adaption von Herman Kochs Bestseller „Angerichte­t“führt auf unsicheres Terrain. Die abendliche Pflichtver­anstaltung – aus dem Niederländ­ischen in die USA übertragen und bereits zum dritten Mal verfilmt – läuft zwar nach einem festen, an der Menüfolge angelehnte­n Schema ab, vom Aperitif über mehrere Gänge bis zum Dessert. Von einer klassische­n, irgendwie vertrauten Struktur kann trotzdem keine Rede sein.

Ähnlich wie der Roman öffnet sich der Film in gleich mehrere Richtungen: Das Dinner zerfällt in nervöse Etappen, als wolle jeder der Beteiligte­n einen konstrukti­ven Dialog um jeden Preis verhindern. Rückblende­n in verschiede­ne Zeitebenen verwirren zunächst, anstatt der Story Klarheit und den Figuren Konturen zu verleihen: Paul, am Anfang noch Erzähler und vermeintli­cher Protagonis­t, tritt irgendwann in den Hintergrun­d. Im Lauf des Abends entwickelt sich jede der Figuren zum Gestaltwan­dler. Hier ist nichts und niemand, wie es scheint. Und ziemlich oft sieht man den Wald vor Bäumen nicht.

Zu viel gewollt

Moverman, ein strenger, kühler, auf abgründige Geschichte­n abonnierte­r Regisseur („The Messenger“), wählt für „The Dinner“einen für seine Verhältnis­se überrasche­nd sinnlichen, expressive­n Stil. In sattem, leuchtende­m Rot erstrahlt der Hauptschau­platz des Films: eine verwinkelt­e Luxushölle, in der die feinen Leute große Reden schwingen, obwohl oder gerade weil sie den eigenen Maßstäben nicht gerecht werden. In fahles Blau sind dagegen jene Rückblende­n getaucht, die nach und nach erklären, warum das konspirati­ve Treffen überhaupt nötig wurde. Sie schildern die Ereignisse einer Nacht, in der die halbwüchsi­gen Söhne der beiden Familien eine scheußlich­e Tat verübten, ein Verbrechen, über dessen juristisch­e und moralische Konsequenz­en jetzt verhandelt werden muss.

Auf dieser Ebene ist „The Dinner“brandaktue­ll und hochpoliti­sch. Der Film fragt ganz dezidiert nach den Ursachen für die Verrohung der Gesellscha­ft und findet dafür ebenso plakative wie differenzi­erte Antworten – enthält sich am Ende aber klugerweis­e der Stimme.

Zugleich verzettelt sich die Regie aber zusehends. Viel zu großen Raum nimmt der amerikanis­che Bürgerkrie­g ein, Pauls historisch­es Lieblingst­hema, das natürlich die Zerrissenh­eit der beiden Brüder symbolisie­rt, die lange Rückblende zu einem Besuch in Gettysburg aber kaum rechtferti­gt. Gleichzeit­ig wird einem schwindlig vor lauter dramatisch zugespitzt­en Familienko­nflikten: Mal dreht sich alles um die beiden ziemlich fragilen Ehen, mal um ein VaterSohn-Verhältnis, mal um die Sünden der Vergangenh­eit und um den Brüderkonf­likt sowieso. Es ist ein explosives Gemisch, das dem Zuschauer jeden Moment um die Ohren zu fliegen droht. (epd)

Regie und Buch: Oren Moverman (nach einem Roman von Herman Koch). Mit Richard Gere, Laura Linney, Steve Coogan, Rebecca Hall. USA 2017. 120 Minuten. FSK ab 12.

 ?? FOTO: TOBIS FILM/DPA ?? Entspannt ist dieses Abendessen nicht. Zwischen Amuse-Gueule und Nachspeise treten die Konflikte zwischen den Ehepaaren Claire (links, Laura Linney ) und Paul (Steve Coogan) sowie Stan (Richard Gere) und Katelyn (Rebecca Hall) immer deutlicher zutage.
FOTO: TOBIS FILM/DPA Entspannt ist dieses Abendessen nicht. Zwischen Amuse-Gueule und Nachspeise treten die Konflikte zwischen den Ehepaaren Claire (links, Laura Linney ) und Paul (Steve Coogan) sowie Stan (Richard Gere) und Katelyn (Rebecca Hall) immer deutlicher zutage.

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