Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Ein Topf für alle
Der Thermomix hat die Küchen Deutschlands verändert – Wie konnte das passieren?
Wer sich davor fürchtet, dass eines Tages Maschinen die Macht über uns Menschen ergreifen könnten, muss jetzt sehr stark sein, denn: In vielen deutschen Küchen ist das bereits geschehen. Nämlich überall dort, wo ein Gerät namens Thermomix auf der Theke steht. So jedenfalls sehen das die Skeptiker, denen die Maschine schon deshalb unheimlich ist, weil sie beim Zerkleinern von Haselnüssen mit bis zu 91 Dezibel so viel Krach macht wie eine Motorsäge. Nichts für hochsensible Gemüter. Papperlapapp sagen da die anderen – wo gehobelt wird, fallen Späne. Und im Falle des Thermomix sogar ganz besonders feine, weil das Multimesser am Boden des Wundergerätes außergewöhnlich scharf sei und hocheffizient arbeite.
Enthusiasten und Puristen
Thermomix-Charaktere gibt es aber noch eine ganze Menge mehr, beileibe nicht nur schwarz-weiße: den überschwenglichen Enthusiasten etwa, der das Gerät schon zur Frühstückszubereitung einsetzt. Und der ausgesprochen bissig reagiert, wenn es einer wagt, den Mittelpunkt seines Küchen-Universums zu kritisieren. Dann existiert da noch der Thermomix-Pragmatiker, der das Gerät halt für bestimmte Arbeiten nutzt, es aber ansonsten in der Ecke stehen lässt, weil ihm autonomes Selberkochen wichtig ist. Des Weiteren wäre der zum Thermomixgebrauch Gezwungene, der das Gerät – vornehmlich von wohlmeinenden Schwiegereltern – geschenkt bekommen hat und es jetzt widerwillig einsetzt, weil es ja schließlich ein kleines Vermögen gekostet hat. Und dann gibt es da noch die Küchen-Puristen, die den Thermomix aus Prinzip ablehnen, weil für sie die Zubereitung von Essen, das Schnibbeln, Kneten und Reiben von Hand, ein sinnlicher Vorgang ist und ein solches Gerät sie in der eigenen Küche zu Insassen einer Einrichtung für betreutes Kochen zu degradieren droht.
Wer steuert wen?
Eines verbindet diese kleine Auswahl an Thermomix-Typen aber allesamt: Niemanden lässt das Gerät kalt. Und wenn man besonders enthusiastische Benutzer der Küchenmaschine eingehender beobachtet, stellt sich manchmal sogar die Frage, wer da wen steuert und benutzt: der Mensch das Gerät oder das Gerät den Menschen?
„Das Kartoffelpüree war schuld“, sagt Thermomix-Repräsentantin Gerda Bischofberger-Knäple. Damals, vor 14 Jahren, als die Amtzellerin zum ersten Mal selber als Gast bei einem sogenannten Erlebniskochen war, ist es passiert: „Es war Liebe auf den ersten Blick“, schwärmt die überaus gepflegte Dame mit schwer zu schätzendem Alter und erntet dafür verständnisvolles Lächeln von fünf Frauen und zwei Männern, die an diesem Abend ihrer ThermomixPräsentation gespannt beiwohnen. Nervosität ist der Frau dabei überhaupt nicht anzumerken. Im Gegenteil, sie habe schon fast alles erlebt, sagt sie – einen Haufen Junggesellen, Alte, Junge, Kochprofis, Anfänger – und tatsächlich macht sie den Eindruck, als könne sie, wenn nötig, auch rasch „Wetten dass..?“wegmoderieren. Das soll nicht heißen, dass die Frau ein Dampfplauderer vom Schlage eines Thomas Gottschalk ist. Vielmehr verleiht ihr die ausgeprägte Expertise in Sachen Thermomix eine Unerschütterlichkeit, die nur noch von der Routine im Umgang mit dem Küchengerät übertroffen wird.
Die ganze Familie wird beglückt
Gastgeberin an diesem Abend in einer Wangener EinfamilienhausSiedlung ist Birgit. Sie selbst hat natürlich einen Thermomix, von dem sie sagt: „Wenn mir den einer wegnehmen will, dann hau’ ich ihm auf die Pfoten.“Ihre erwachsene Tochter hat einen Thermomix zur Gründung des eigenen Hausstands bekommen. Und der Sohnemann, 23 Jahre alt, Softwareentwickler und selbst gerade von zu Hause ausgezogen, wird zu Weihnachten mit dem aktuellen Modell beschenkt werden. Und damit der Filius heute schon weiß, was dann unterm Christbaum auf ihn zukommt, ist er an diesem Abend ebenfalls einer der Passagiere auf dieser „kulinarischen Reise“, durch die Gerda Bischofberger-Knäple die geladenen Gäste führt. Birgit, Thermomix-Enthusiastin
Zunächst fragt sie aber grob ab, welche Erwartung die Damen und Herren an den Thermomix knüpfen. Fast einhellig geben diese an, dass das Essen gesund sein müsse. Schnell und einfach wäre auch nicht schlecht. Kreativ sowieso und ökonomisch erst recht. Die schlanke Figur der drahtigen Frau Bischofberger-Knäple sorgt dafür, dass der von ihr mehrmals wiederholte Satz eine besondere Glaubwürdigkeit bekommt: „Sie werden frischer essen, mit mehr Vitaminen und weniger Fett.“Bei diesen Worten leuchten die Augen der anwesenden Damenriege im Alter von Ende 20 bis um die 50 auf. Sie folgen Frau BischofbergerKnäple in die Küche, wo der Thermomix schon bereitsteht und ihnen verheißungsvoll mit seinen Leuchtdioden zuzwinkert.
Leichtfüßig tänzelt Frau Bischofberger-Knäple um den Küchenblock, legt eine Hand auf den Deckel des TM5, streichelt ihn unbemerkt vor den Blicken der Neugierigen, die sich versammelt haben und zusehen, welche Wunder die Thermomixberaterin in den nächsten Stunden mit dem Gerät ihrer Träume vollbringen wird.
„Die wenigsten wissen, dass der Vorläufer des heutigen Thermomix in Frankreich bereits 1961 auf den Markt kam“, erklärt Kathleen Schmiemann, die Leiterin des Thermomix Kundenmarketings. In Deutschland war es dann 1984 mit dem TM3300 so weit. Damals war die Firma Vorwerk – die den Thermomix herstellt und exklusiv über Thermomixrepräsentantinnen wie Gerda Bischofberger-Knäple vertreibt – noch vorwiegend für ihre Staubsauger bekannt. Das Unternehmen mit Sitz in Wuppertal wird ein bisschen schmallippig, wenn es um Kennzahlen wie Umsatz oder verkaufte Stücke geht. Eins verrät Kathleen Schmiemann aber doch: „Von dem neuen TM5 sind weltweit etwa drei Millionen verkauft.“Damit hat Vorwerk die Mitbewerber auf dem Markt der kochenden Küchenmaschinen weit hinter sich gelassen.
Kein Pfannenersatz
Woran das bei einem Gerät liegt, das zum Preis von 1299 Euro inklusive „Cookidoo“zur Verwaltung der digitalen Rezepte auch am meisten kostet, erklärt Frau Schmiemann unter anderem mit der „Kombination aus zwölf Funktionen“, die bereits das Vorgängermodell TM31 ausgezeichnet hätten. Diese aufzuzählen, ist müßig, denn schneller geht es zu erklären, was der Thermomix nicht kann: zum Beispiel ein Spiegelei braten, denn als Pfannenersatz eignet sich das Gerät nicht – was selbst Frau Bischofberger-Knäple einräumt. Nicht ohne allerdings zu betonen, dass die Zubereitung von Eiern im TM5 auf unterschiedlichste Weise gelinge und unvergleichliche Ergebnisse liefere. Jedenfalls sei der Thermomix die eierlegende Wollmilchsau unter den Küchengeräten, weil es neben dem Zerkleinern, Kochen, Dämpfen, Wiegen und Kneten sogar über eine eigene Rezeptdatenbank verfügt, jederzeit neu zu füttern über das Internet. Auf einem kleinen Bildschirm wird der Benutzer Schritt für Schritt durch den Zubereitungsprozess geleitet. „Damit kann wirklich jeder kochen“, sagt Gastgeberin Birgit und verteilt in kleinen Gläschen ein würziges Chutney. „Natürlich im Thermomix gemacht!“
Das Gerät verbindet
Zum legendären Ruf der Maschine, die in der Tat mit bis zu 4000 geprüften Rezepten für jeden Gaumen genug Möglichkeiten bereit hält, trägt aber noch eine weitere Erfolgskomponente bei: Das Gerät verbindet. Denn wer ein solches sein Eigen nennt, ist Mitglied in einem erlauchten Kreis mit exklusivem Zugang zur Thermomix-Rezeptwelt und anderen analogen wie digitalen Gemeinschaften. Wo sich die Nutzer in ihrer Kreativität bei der Entwicklung eigener Rezepturen fast überschlagen. Wo sich wiederum Gruppen abspalten, in denen der Thermomix ausschließlich zur Zubereitung kohlehydratarmer oder veganer Ernährung genutzt wird. Oder für die Versorgung hochsensibler Menschen, die an Allergien und Unverträglichkeiten leiden. Es gibt Video-Kanäle auf dem Internetportal Youtube, wo unter dem Stichwort Thermomix mehr als 300 000 Beiträge angezeigt werden und einzelne Videorezepte wie etwa über das Erdbeer-Softeis fast 700 000 Aufrufe verbuchen. Eingestellt von einer Frau, die sich selbst „Thermifee“nennt und sich offenbar derart mit dem Gerät identifiziert, dass sie am liebsten nicht nur dem Namen nach damit verschmelzen würde. Es gibt eine Menge Spezialmagazine, die den Thermomix als alleiniges Thema pushen. In manchen Haushalten füllen ThermomixKochbücher laufende Regalmeter.
Schwuppdiwupp fertig
Aber zurück in die Wangener Küche. Dort füttert eine der Teilnehmerinnen, die übrigens alle nicht namentlich genannt oder gar fotografiert werden wollen, als handle es sich beim Thermomix um ein verbotenes Gerät, selbiges mit Getreide, das im Anschluss unter sattem Gerumpel zu Mehl verarbeitet wird. Dann Hefe, Wasser, Salz – schwuppdiwupp, fertig ist der Vollwert-Baguette-Teig, der bereits nach 35 Minuten Gesamtzubereitungszeit das Haus mit mundwässerndem Duft erfüllen wird. Und es geht immer ein gewisser Zauber der Erwartung von jedem Schritt aus, wenn eine glockenklare Kurzmelodie anzeigt, dass er vollendet ist. Wenn der Deckel dann geöffnet wird, versetzt das Ergebnis – in diesem Fall ein hefeduftiger Teig – die Interessenten in Staunen und zaubert bei Gerda BischofbergerKnäple ein überlegenes Lächeln auf die Lippen.
Über die Zubereitung des gesamten Menüs hinweg versteht es die Thermomix-Beraterin, die Magie aufrechtzuerhalten: Gemüse gelingt im Dämpfaufsatz mustergültig knackig. Der Reis im gleichzeitig genutzten Zwischenaufsatz perlt von der Gabel wie im Werbefernsehen. Der mediterrane Käseaufstrich versetzt die Runde am Tisch beim Essen in würzige Verzückung. Und auch der rassige Brokkoli-Salat erntet „Ohhs!“und „Ahhs!“. Der richtige Augenblick für Gerda Bischofberger-Knäple, das Angebot des Tages auszurufen: den TM5 in „familienfreundlichen Raten“zu 38 Euro monatlich über einen Zeitraum von drei Jahren.
Wenn einer den Thermomix teuer nennt, dann verhärten sich die Gesichtszüge von Frau BischofbergerKnäple etwas. Denn aus ihrer Sicht ist er jeden Cent wert. „Ein Ingenieur hat ihn einmal bei einem Erlebniskochen geöffnet und die Qualität der Teile ausdrücklich gelobt“, erinnert sich die Repräsentantin. Kathleen Schmiemann, vom Thermomix Kundenmarketing drückt es so aus: „In so einem Produkt steckt auch jahrelange Arbeit. Und wir bieten viel um das Produkt herum. Etwa die Geling-Garantie unserer Rezepte.“Außerdem gebe es immer eine Einweisung durch die persönliche Ansprechpartnerin. Das Kundenmagazin. Das Erlebniskochen. Einen Gratiskochkurs. „Es ist das Gesamtpaket, was den Thermomix ausmacht“, sagt Schmiemann. Dass der Thermomix durch seine rezeptlastige Praxis geradezu ein Kreativitäts-Killer sein könnte, lässt sie nicht gelten und sagt: „Viele Menschen berichten uns, dass sie viele Dinge jetzt selber machen, die sie früher als Fertigprodukt im Supermarkt gekauft haben.“
Einen Keim gesetzt
Nach der Präsentation nimmt Frau Bischofberger-Knäple jeden Teilnehmer noch einmal einzeln ins Gebet. Nicht aufdringlich, sondern durch geschickte Fragen. Souverän. „Das Gerät spricht für sich“, ist ein Satz, den sie mehrfach benutzt. Unmittelbar unterschreibt niemand eine Bestellung an diesem Abend. Aber Gerda Bischofberger-Knäple hat einen Keim gesetzt. Einen, der vielleicht nicht morgen oder übermorgen aufgeht. Aber irgendwann ganz sicher, die Erde jedenfalls ist fruchtbar. So wie die Saat bei der Gastgeberin Birgit damals aufgegangen ist. Und die eher ihre komplette Küche rausreißen würde, wie sie mehrfach versichert, als den geliebten Thermomix TM5 noch einmal aus dem Haus zu geben.
„Wenn mir den einer wegnehmen will, dann hau’ ich ihm auf die Pfoten.“