Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Wenn Oldtimer mit neuer Technik flottgemacht werden
Oft verschwimmen die Grenzen zwischen Restaurierung, Weiterentwicklung und Neukonstruktion – Kritik von Traditionalisten
(dpa) - Sie sehen aus, als seien sie schon ein halbes Jahrhundert alt, doch sie fahren besser als mancher Neuwagen: Spezialisten restaurieren Oldtimer nicht nur, sondern schicken sie auf eine technische Zeitreise. Die Originalität bleibt dabei etwas auf der Strecke, doch der Spaß ist umso größer.
Diese Situation bereitet Georg Memminger immer wieder Vergnügen: Näher und immer näher lässt er die Mittelklasse-Limousine an sein Käfer Cabrio herankommen. Doch sobald der Hintermann zum Überholen ansetzt, tritt er aufs Gas und freut sich über das verdutzte Gesicht des Abgehängten. Denn im Heck seines Oldtimers steckt kein Boxermotor mit 50 PS, sondern ein von Memminger weiterentwickelter 2,7-Liter mit 175 PS. Und das ist nicht die einzige Modifikation, die der Ingenieur vorgenommen hat. Beim Restaurieren des Wracks hat er so ziemlich jedes Teil ausgewechselt, sogar Xenonscheinwerfer und ABS nachgerüstet. Mit dem Original hat das zwar nicht mehr viel zu tun. „Doch dafür fährt der Käfer jetzt besser als in jener Zeit, als er vom Band gelaufen ist“, sagt der Käfer-Kenner aus Reichertshofen bei Ingolstadt.
Teure Schmuckstücke
Memminger ist mit dieser Vorliebe nicht allein. Beiderseits des Atlantiks gibt es für viele Marken OldtimerFachbetriebe, in denen die Grenzen zwischen Restaurierung, Weiterentwicklung und Neukonstruktion verschwimmen. Und obwohl die 95 000 bis 175 000 Euro, zu denen Memminger bereits mehr als 200 aufpolierte Käfer verkauft hat, ein stolzer Preis sind, kosten andere Schmuckstücke noch weit mehr.
Mechatronik in Pleidelsheim bei Stuttgart etwa hat sich alten Mercedes-Modellen verschrieben, die mit neuer Technik flottgemacht werden. Für den SL der Baureihe W113 sowie die Cabrios und Coupés der Baureihe W111 bieten die Schwaben nicht nur neue V6- oder V8-Motoren sowie ein zeitgemäßes Fahrwerk an. Sie integrieren auch nahezu unsichtbar moderne Extras wie elektrische Fensterheber oder eine Sitzheizung. Ein Luxuscabrio kann dann schnell mal 300 000 Euro kosten.
Zu den berühmtesten Vertretern der Zunft zählen die Porsche-Veredler Magnus Walker und Rob Dickinson aus Los Angeles. Der eine hat sich der ersten Generation der Elfer von 1964 bis 1973 verschrieben, der andere vertreibt unter dem Markennamen Singer eine eigene Interpretation der 911-Baureihe 964, die von 1988 bis 1994 produziert wurde. „Dabei nehmen wir die Gebrauchtwagen komplett auseinander und behalten nicht viel mehr als die Fahrgestellnummer und die Türen“, sagt Dickinsons Werkstattchef Marlon Goldberg.
Die Karosserie im Stil des Ur-Modells wird nach eigenem Design aus Karbon hergestellt, der Rahmen ist gründlich verstärkt. Es gibt eine Elektronik aus der Jetztzeit. Und der Boxer hat sechs Zylinder, 3,8 Liter Hubraum, viele Bauteile aus Porsche-Rennmotoren und die Ventile aus dem 993 RS – das reicht für ein sensationelles Sägen schon im Leerlauf, für Drehzahlorgien von weit mehr als 10 000 Touren und vor allem für 350 PS. Auch Walkers Autos haben mit dem Original oft nicht mehr viel gemein. Und wenn sie eine Karosse verkaufen, stehen schnell mal 400 000 Dollar und mehr auf dem Preisschild.
Davon kann Roger Kaege ein Lied singen. Er ist Porsche-Spezialist aus Stetten in Rheinland-Pfalz und wollte sich eigentlich einen Singer zum 50. Geburtstag kaufen – bis er den Preis hörte. Also hat sich Kaege seinen Traum vom modernisierten UrElfer auf Basis eines 911 der Baureihe 993 in 2500 Stunden Arbeit selbst erfüllt – und dabei gemerkt, wie groß das Interesse an solchen Autos ist. Deshalb will er den 300 PS starken und mehr als 275 km/h schnellen Retrorenner nun auch für Kunden bauen und plant mit zwei Fahrzeugen pro Jahr. Der Preis: 300 000 Euro – und das Basisfahrzeug müssen die Kunden mitbringen. Kein Schnäppchen, räumt Kaege ein. „Aber billiger als ein Singer aus den USA.“
Keine Oldtimer mehr
Mit ihrer Arbeit garantieren Männer wie Memminger und Kaege zwar reichlich Fahrspaß. Doch sie bringen die Oldtimer-Fans gegen sich auf. Die Klassiksparte des ADAC sieht in den Vehikeln – mit Verweis auf die Charta von Turin, in der die Originalität eher kompromisslos geregelt ist – im Grunde keine historischen Fahrzeuge mehr, selbst wenn die Hersteller wegen der alten Fahrgestellnummern bisweilen noch ein H-Kennzeichen erhalten können. Deshalb möchte Clubsprecher Oliver Runschke diese Fahrzeuggattung lieber nicht bewerten.
Auch beim Bundesverband der Clubs klassischer Fahrzeuge (Deuvet) sieht man das Segment eher kritisch. Zwar kann Vorstandsmitglied Eckhart Bartels den Wunsch nach Bequemlichkeit und Zuverlässigkeit nachvollziehen. Doch für seinen Verein ist der „kulturhistorische Anspruch bedeutsamer“. Das schlage sich am Ende auch im Wert der Wagen nieder, ist Bartels überzeugt: „Schon vor 30 Jahren gab es Replicas. Sie sind ebenfalls ein Teil der Technikgeschichte geworden, besitzen aber in der Regel nicht den Wert ihrer nachempfundenen Vorbilder.“
Die vermeintlichen Frevler lassen sich davon nicht beirren. „Wir diskutieren nicht über Originalität, sondern über Qualität. Bei uns wird nicht repariert oder geflickt, sondern im Zweifel lieber ersetzt“, sagt Memminger. Und die Fahrzeuge, die er als Ausgangsbasis nimmt, sind für ihn ohnehin keine Sammlerstücke, sondern Schrott.
Walker und Dickinson sehen ihre Arbeit durchaus im Sinne der Porsche-Ingenieure, deren Antrieb es früher gewesen sei, die Autos schneller und besser zu machen. „Nichts anderes tun wir mit unseren heutigen Möglichkeiten“, sagt Dickinson. Walker beurteilt es noch pragmatischer: „Was kann einem Auto Besseres passieren, als dass es gehegt, gepflegt und geliebt wird? Egal, wie alt oder original es ist.“