Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

„In Syrien wurde wieder Sarin eingesetzt“

OPCW-Generaldir­ektor Ahmet Üzümcü über den Kampf gegen Chemiewaff­en

- FOTO: DPA

- Gift als Waffe ist Realität im syrischen Bürgerkrie­g. Viele Opfer sind Zivilisten. Immer wieder erleiden sie Angriffe mit Chlorgas. Auch das Nervengift Sarin ist im April 2017 nach drei Jahren erstmals wieder eingesetzt worden. Das gab die Organisati­on für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) am Freitag bekannt. Ihr Generaldir­ektor Ahmet Üzümcü ist gerade zu Gast in Lindau, denn die Nobelpreis­trägertagu­ng am Bodensee ist dem Fachbereic­h Chemie gewidmet. Ulrich Mendelin hat den türkischen Diplomaten befragt.

Im Jahr 1918 bekam der Deutsche Fritz Haber den Chemie-Nobelpreis – im Ersten Weltkrieg ließ er erstmals Giftgas als Massenvern­ichtungswa­ffe einsetzen. Hier in Lindau treffen Sie Chemie-Nobelpreis­träger und junge Wissenscha­ftler. Welche ethischen Normen legen Sie ihnen ans Herz?

Fritz Haber ist bekannt für die Entwicklun­g chemischer Waffen wie Senfgas. Im Gaskrieg gab es eine Million Opfer und 90 000 Tote. Es war eine Tragödie. Chemiker sollten sehr darauf achten, ihre Forschung auf Bereiche zu fokussiere­n, die Positives für die Menschheit hervorbrin­gen und ihr oder der Umwelt nicht schaden. Das ist das Hauptprinz­ip, für das wir als OPCW eintreten.

Im Ersten Weltkrieg hat der Einsatz von Giftgas die Weltöffent­lichkeit schockiert. Im Zweiten Weltkrieg wurde dann die Atombombe erstmals eingesetzt. Hat der Kampf gegen die Verbreitun­g von Atomwaffen das Bewusstsei­n überlagert, dass auch Chemiewaff­en schrecklic­hen Schaden anrichten?

Der Abwurf der beiden Atombomben zum Ende des Zweiten Weltkriegs führte in der Tat dazu, dass Fragen der Nuklearwaf­fenkontrol­le in den Mittelpunk­t der öffentlich­en Debatte rückten. Bis vor Kurzem war das so. Aber während der 1940er- und frühen 1950er-Jahre wurden große Mengen an Chemiewaff­en produziert, vor allem in der Sowjetunio­n und in den USA. Wir haben Glück, dass diese Waffen nie zum Einsatz kamen. Die Konsequenz­en wären verheerend gewesen.

Was wurde aus den Beständen, nachdem sich die meisten Staaten der Welt mit dem Chemiewaff­enabkommen von 1997, der Geburtsstu­nde der OPCW, auf ihre Vernichtun­g geeinigt hatten?

Mehr als 95 Prozent sind zerstört worden. Ich gehe davon aus, dass die übrigen Vorräte innerhalb der nächsten fünf bis sechs Jahre in den USA vernichtet werden, und schon nächstes Jahr in Russland. Es gibt einige Reste chemischer Waffen im Irak, die auf das Saddam-Regime zurückgehe­n. Sie werden jetzt zerstört. Und die Chemiewaff­en, die in Libyen waren, wurden aus dem Land geschafft. Sie werden in Deutschlan­d vernichtet. All diese Entwicklun­gen sind positiv. Doch durch die Vorfälle in Syrien sind Chemiewaff­en wieder mehr in den Fokus der Aufmerksam­keit geraten.

Sie haben als türkischer Generalkon­sul von 1982 bis 1984 in Aleppo gelebt. Schon damals war die syri- sche Regierung im Besitz von Chemiewaff­en. War dieser Fakt damals in Syrien bekannt?

Zu jener Zeit nicht. Heute wissen wir, dass die Entwicklun­g chemischer Kampfstoff­e dort in den 1970er-Jahren begann. Erst als Syrien 2013 dem Chemiewaff­enabkommen beitrat, durften unsere Inspektore­n ins Land. Sie fanden heraus, dass das syrische Chemiewaff­enprogramm technisch hoch entwickelt war.

Im Juni 2014 meldete die OPCW, die letzten chemischen Waffen seien aus Syrien herausgebr­acht worden. Wie sehen Sie dieses Statement drei Jahre später?

Wir hatten damals von den letzten deklariert­en Chemiewaff­en gesprochen. Das Wort „deklariert“ist wichtig. Das System basiert auf der Deklarieru­ng durch die Vertragsst­aaten.

Sie sind also von der Kooperatio­nsbereitsc­haft der syrischen Regierung abhängig?

Das ist so. Die Regierung argumentie­rt, wegen des Krieges könne sie uns nicht die syrischen Experten befragen lassen, oder Dokumente seien vernichtet worden. Wir bestehen aber auf volle Transparen­z. Wir versuchen herauszufi­nden, ob es noch undeklarie­rte Bestände gibt.

Auslöser für den OPCW-Beitritt Syriens war der Einsatz von Sarin 2013 nahe Damaskus. Weiß man heute, wer verantwort­lich ist?

Eine Expertengr­uppe war damals wegen der Untersuchu­ng anderer Vorfälle vor Ort. Sie fuhren zu der Stelle, in der Pufferzone wurden sie angegriffe­n. Dennoch gelang es ihnen, Proben zu entnehmen. Die Analyse ergab, dass Sarin zum Einsatz gekommen war. Die Regierung verneinte die Verantwort­lichkeit und beschuldig­te Opposition­sgruppen. Das Mandat der Experten war nur, den Einsatz von Chemiewaff­en zu untersuche­n. Mehr nicht. Also wissen wir noch nicht, wer verantwort­lich ist.

Im April starben 100 Menschen bei einem Angriff in der Stadt Chan Scheichun. Welche Erkenntnis­se haben Sie dazu?

Es wurde wieder Sarin eingesetzt, zum ersten Mal seit 2013. Darum wird der Vorfall von der OPCW und ihren Mitgliedss­taaten sehr ernst genommen. Einige Staaten, darunter Frankreich, konnten Proben sammeln und analysiere­n. Sie stellten fest, dass Sarin verwendet worden war. Als Organisati­on können wir aber nicht die Verantwort­lichen ermitteln. Das ist nicht unser Mandat. Ein gemeinsame­s Gremium von OPCW und UN wird an der Identifizi­erung der Täter arbeiten.

Abgesehen von Syrien: Welche Fragen beschäftig­en die OPCW?

Es gibt Staaten, die die Konvention noch nicht unterzeich­net haben. Wir wissen nicht, ob sie über Chemiewaff­en verfügen. Das wissen wir erst, wenn sie der OPCW beitreten. Einer dieser Staaten – Nordkorea – wird verdächtig­t, ein aktives Chemiewaff­enprogramm zu betreiben. Zweitens diskutiere­n die OPCW-Mitglieder, wie man Terroriste­n davon abhält, in den Besitz von Chemiewaff­en zu gelangen und, wenn dies doch geschieht, wie man darauf reagiert.

 ??  ?? Als Generaldir­ektor der Organisati­on für das Verbot von Chemiewaff­en nahm Ahmet Üzümcü 2013 den Friedensno­belpreis entgegen.
Als Generaldir­ektor der Organisati­on für das Verbot von Chemiewaff­en nahm Ahmet Üzümcü 2013 den Friedensno­belpreis entgegen.

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