Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Leben wie in einer großen Familie

Nach einem Jahr hat sich das Leben in der Senioren-WG im Schlosshof gut eingespiel­t

- Von Annette Grüninger

- Vor genau einem Jahr ist die erste Bewohnerin in die Wohngemein­schaft im Uttenweile­r Schlosshof eingezogen. Eine wahre Pionierin – denn dieses ungewöhnli­che Wohnkonzep­t für demenziell veränderte und pflegebedü­rftige Menschen, die in einer familiären Wohngruppe so selbstbest­immt wie möglich ihr Zusammenle­ben gestalten, besitzt tatsächlic­h Modellchar­akter. Doch ist das Konzept aufgegange­n? Haben sich die hohen Erwartunge­n erfüllt? Ein Besuch in der Uttenweile­r Senioren-WG.

Mit flinken Fingern legt Theresia Rosenkranz die Hemdchen zusammen, faltet Geschirrtü­cher auf Kante und streicht mit der Handfläche noch kurz über den Stoff, bevor Wäschestüc­k für Wäschestüc­k auf dem ordentlich­en Stapel landet. Ruckzuck geht das. Die Bewegungen sitzen. Noch immer. Und auch wenn das Gedächtnis nachgelass­en hat, wissen die Hände ganz genau, was sie hier tun.

Theresia Rosenkranz ist die Wäscheexpe­rtin der Senioren-WG. Jeder der insgesamt acht Bewohner übernehme eine andere Aufgabe, erklärt Saskia Dietz, von Seiten der Gemeinde Ansprechpa­rtnerin für den Schlosshof. Vom Einkaufen bis zum Bügeln. Eben das, was noch geht, was den Fähigkeite­n und Möglichkei­ten entspricht. So bringen sich alle ein – und erfahren, wie ihr Beitrag wertgeschä­tzt wird. „Die Leute freuen sich einfach, wenn sie helfen können“, hat Dietz beobachtet.

So selbstbest­immt wie möglich

Was nicht mehr geht, das übernehmen die Alltagsbet­reuer der Bürgergeme­inschaft Schlosshof. Ein ambulanter Pflegedien­st, St. Paul Mobil, ist für die fachpflege­rischen Aufgaben zuständig. Das Besondere: Sowohl Alltagsbet­reuer als auch Pflegedien­st wählen die Bewohner oder ihre gesetzlich­en Vertreter, die sich in einem Bewohnergr­emium zusammensc­hließen, selbst aus. Auf diese Weise können sie – so der Grundgedan­ke – gemeinsam, unterstütz­t und so selbstbest­immt wie möglich in der SeniorenWG ihren Lebensaben­d verbringen.

Doch ist dieses Konzept aufgegange­n? Bürgermeis­ter Werner Binder beantworte­t diese Frage mit einem klaren Ja: „Das letzte Jahr ist aus unserer Sicht sehr erfolgreic­h verlaufen.“Trotz gewissem Risiko. Die Gemeinde hat den denkmalges­chützten Gebäudekom­plex für über sieben Millionen Euro umgebaut und tritt in dem Wohnmodell als Vermieter auf. Als erste Mieterin zog die örtliche Arztpraxis Dr. Vasile Bonto ein, die sich am neuen Standort gut etabliert hat. Auch die neun Wohnungen des sogenannte­n Service-Wohnens – ebenfalls Teil des Schlosshof-Konzepts – seien mittlerwei­le alle vermietet, berichtet Binder. Und das „Herzstück“, die auf elf Personen ausgelegte WG, werde ebenfalls angenommen und sei mit acht Bewohnern gut belegt.

„Damit arbeiten wir mittlerwei­le kostendeck­end“, ergänzt Hans Blersch, Vorsitzend­er der Bürgergeme­inschaft Schlosshof. Der gemeinnütz­ige Verein wolle zwar nichts an dem Wohnangebo­t verdienen. Als Arbeitgebe­r mit 300 000 Euro Personalko­sten jährlich sei es dennoch wichtig, keine roten Zahlen zu schreiben. Auch wenn die Gemeinde, wie Blersch dankend erwähnt, eine Abmangelga­rantie übernommen hat.

Allerdings, räumt Blersch ein, habe es durchaus gewisse Anlaufschw­ierigkeite­n gegeben. Die Uttenweile­r Senioren-WG ist im Landkreis die erste ihrer Art, ein Prototyp, und besitzt auch über die Region hinaus Modellchar­akter. Vorbilder für die Umsetzung der komplexen rechtliche­n Vorgaben gibt es keine. Manche Problemati­k, die sich im laufenden Betrieb ergeben habe, sei den Ehrenamtli­chen vorher so nicht bekannt gewesen. Etwa, dass die Medikament­e der WG-Senioren nicht, wie vom Bewohnergr­emium gewünscht, zentral aufbewahrt werden dürfen. „Man sollte Leute, die ein Ehrenamt nicht im Regen stehen lassen“, so Blersch.

Nichtsdest­otrotz ist der Vorsitzend­e der Bürgergeme­inschaft von dem Konzept überzeugt. „Die Bewohner kochen zusammen, essen zusammen – das wirkt der sozialen Verarmung entgegen.“Die familiäre Atmosphäre, die so entstanden ist, sei bei Besuchen in der WG greifbar, findet Blersch. „Letztendli­ch wollen wir den Bewohnern den Eindruck geben: Wir haben es hier so schön wie wenn wir daheim wären.“

 ?? FOTO: ANNETTE GRÜNINGER ?? Mit flinken Fingern legen Theresia Rosenkranz (rechts) und Pia Stöhr die Wäsche der WG-Bewohner ruckzuck zusammen. Darüber staunen auch Evelyn Müller vom Verein Bürgergeme­inschaft Schlosshof und Mitbewohne­r Franz Maier.
FOTO: ANNETTE GRÜNINGER Mit flinken Fingern legen Theresia Rosenkranz (rechts) und Pia Stöhr die Wäsche der WG-Bewohner ruckzuck zusammen. Darüber staunen auch Evelyn Müller vom Verein Bürgergeme­inschaft Schlosshof und Mitbewohne­r Franz Maier.

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