Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

In Ertingen spricht man „Dialäkt“

Gerold Jäggle und Richard Metz erklären auf ihrem YouTube-Kanal die schwäbisch­e Welt

- Von Kerstin Schellhorn

- Wären Bildhauer Gerold Jäggle und Richard Metz keine Nachbarn, sie hätten sich mit Sicherheit trotzdem gefunden. Gemeinsam haben sie Mitte Juni den YouTubeKan­al „Kanal Dialäkt“ins Leben gerufen und erklären dort humorvoll die schwäbisch­e Sprache und Geschichte. Wie einst Walter Matthau und Jack Lemmon sind sie ein verrücktes Paar, das sich im Gegensatz zu den beiden Filmhelden aber bestens versteht und hervorrage­nd funktionie­rt.

Über 1000 Mal wurde der erste Clip aufgerufen, den Jäggle am 18. Juni auf das Internet-Videoporta­l YouTube hochlud. Inzwischen, nach knapp drei Wochen und sechs weiteren Folgen sind es schon über 4000 Aufrufe. Dabei habe er vor drei Wochen noch keine Ahnung gehabt, wie man einen Film schneidet, sagt Jäggle. Der Ertinger Künstler ist beim Kanal Dialäkt für alles Technische verantwort­lich und übernimmt die Regie, während Richard Metz das tut, was er am besten kann: von der schwäbisch­en Kultur, Geschichte und Landschaft erzählen.

Aber springen wir kurz zum Anfang zurück: An einem denkwürdig­en Donnerstag, dem 15. Juni dieses Jahres, hatte Jäggle die Idee zum Kanal Dialäkt. Am nächsten Tag schnappte er sich gleich sein Handy und ging rüber zu seinem ahnungslos­en Nachbarn. „Du kamst zu mir zur Tür rein und hast gesagt, wir drehen jetzt einen Film“, erzählt Richard Metz. „Sag mal, was heißt eigentlich ahlafenzig?“, fragte Jäggle – und nach wenigen Minuten war die erste Folge im Kasten.

„Wir haben gleich am ersten Abend so viel Material gesammelt, dass es für drei Folgen von Kanal Dialäkt gereicht hat“, sagt Jäggle. Und das ist kein Wunder. Ein Stichwort reicht und Metz erzählt eine Geschichte – lustig, aber mit vielen Fakten, historisch­en Details und Anekdoten aus seinem Umfeld. Wer zuhört, lernt unweigerli­ch etwas dazu.

Der 63-Jährige, der noch bis Ende des Jahres als Elektroins­tallateur arbeitet und dann in den Ruhestand geht, ist ein Ertinger Original, ein „Ureinwohne­r“, wie ihn Jäggle liebevoll nennt, den die Leute im Dorf und in der Gegend kennen. Vielen dürfte er auch durch seine mobile Kirchenglo­cke bekannt sein, die er bei verschiede­nsten Anlässen vorführt. Insgesamt drei davon hängen in seiner Scheune – betrieben von einem früheren Kirchenuhr­werk, dessen Zahnräder herrliche Geräusche machen.

Wie das Uhrwerk funktionie­rt, wie man es auseinande­r und wieder zusammen baut, hat sich Metz selbst beigebrach­t, genauso wie er sich sein Wissen selbst angeeignet hat. Er sei viel unterwegs gewesen, habe Archive in zahlreiche­n Städten und Dörfern durchforsc­ht – auf der Suche nach historisch­en Zeugnissen von Ertingen und der Region, erzählt er. „Ich habe das gern gemacht, das kommt vermutlich von meiner Mutter.“

Urahn Michel Buck

Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm, heißt es ja im Volksmund und so gibt auch Richard Metz’ Ahnengaler­ie Aufschluss über seine Liebe zur Heimat und zu ihren Eigenheite­n. Denn der Urgroßvate­r des Ertingers mütterlich­erseits war ein Marcel Buck – Bruder des großen Mundart-Dichters Michel Buck.

Ganz in dieser Tradition soll der Kanal Dialäkt nicht als bloße Blödelei oder Comedy verstanden werden. „Ein Stück weit ist das ein Bildungska­nal“, betont Gerold Jäggle. „Man muss den Dialekt erhalten, so lange es ihn noch gibt“, findet er. Metz ergänzt: „Die, die so breit schwäbisch schwätzen können, sterben aus.“

Das Konzept von Kanal Dialäkt scheint anzukommen, und das belegen nicht nur die Klickzahle­n auf YouTube oder die Tatsache, dass auch Exil-Ertinger aus Japan oder den USA den Kanal abonniert haben. Beim Krähbrunne­nfest, das am Wochenende in Ertingen stattfand und bei dem Jäggles neue Skulptur „Brezeltisc­h“eingeweiht wurde, schallten dem Bildhauer immer wieder „Ahlafenzig“-Rufe entgegen. Auch sonst bekommt das Dialäkt-Team jede Menge Anregungen für neue Folgen. „Wir haben das Gefühl, da ist noch ne Menge drin“, sagt er.

Zuletzt soll jetzt aber noch geklärt werden, ob der Meister des Ertinger Dialekts, Richard Metz, ein Lieblingsw­ort hat. Nach kurzem Überlegen lautet seine Antwort „koizig“. Wer das Wort nicht kennt, erfährt in einer der nächsten Kanal-DialäktFol­gen, was es bedeutet.

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FOTO: KERSTIN SCHELLHORN Bildhauer Gerold Jäggle und Ertinger Original Richard Metz in ihrem „Aufnahmest­udio“– der Scheune, in der Metz seine drei Kirchenglo­cken und das Uhrwerk (links) aufbewahrt, das sie steuert.

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