Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Krawalle lösen Krach aus

SPD-Minister Gabriel wirft Union „Verlogenhe­it“vor

- Von Thomas Müller

(AFP) - Als Reaktion auf die G20-Krawalle fordert die Union ein hartes Vorgehen gegen die linksauton­ome Szene und ihre Zentren wie die Rote Flora in Hamburg und die Rigaer Straße 94 in Berlin. Die Hausbesetz­erszene sei „unübersehb­ar eine Keimzelle von Linksauton­omen und anarchisti­schen Kräften“, sagte Bayerns Innenminis­ter Joachim Herrmann (CSU) bei einer Tagung in Kloster Banz. Zuvor hatten mehrere Unionspoli­tiker den Rücktritt des Hamburger Bürgermeis­ters Olaf Scholz (SPD) gefordert.

Außenminis­ter Sigmar Gabriel (SPD) reagierte darauf heftig. Er nannte diese Forderunge­n „völlig unangemess­en“. Der Funke-Mediengrup­pe sagte er: „Wer seinen Rücktritt will, der muss auch den Rücktritt von Angela Merkel fordern.“CDU und CSU warf er ein „bislang nicht gekanntes Maß an Verlogenhe­it“sowie ein „perfides Spiel“im Wahlkampf vor.

(dpa) - Es war ruhiger geworden um die seit fast 30 Jahren besetzte Rote Flora im Schanzenvi­ertel mitten in Hamburg. Nach längeren Umbauarbei­ten und einem neuen Anstrich wirkte das Rückzugsge­biet der Linksauton­omen freundlich­er. Ausländisc­he Touristen ließen sich gerne vor ungewohnte­n Bannern wie „Capitalism will end anyway – you decide when“(Kapitalism­us wird sowieso enden – du entscheide­st wann) fotografie­ren. Doch nach der Gewaltorgi­e im Umfeld des G20-Gipfels kippt jetzt die Stimmung.

Öl ins Feuer gegossen hat FloraAnwal­t Andreas Beuth, als er nach der beispiello­sen Gewaltnach­t im ARD„Brennpunkt“sagte: „Wir als Autonome und ich als Sprecher der Autonomen haben gewisse Sympathien für solche Aktionen, aber bitte doch nicht im eigenen Viertel, wo wir wohnen. Also warum nicht irgendwie in Pöseldorf oder Blankenese?“Später ruderte Beuth, der zusammen mit dem Flora-Aktivisten Andreas Blechschmi­dt die Donnerstag­s-Demo „Welcome to Hell“angemeldet hatte, zurück, aber zu spät.

Nicht nur die örtliche CDU unter Opposition­sführer André Trepoll fordert: „Die Rote Flora muss jetzt dichtgemac­ht werden.“Auch die CDU im Bund ist für einen harten Kurs gegen das seit fast 30 Jahren besetzte ehemalige Theatergeb­äude. Er halte „eine gewaltsame Räumung der Roten Flora jetzt für zwingend geboten“, sagte der CSU-Innenpolit­iker Stephan Mayer. Innenminis­ter Thomas de Maizière sieht die Rote Flora gleich in einem größeren Zusammenha­ng. „So etwas wie die Rote Flora, besetzte Häuser in Berlin und so etwas, was es in Connewitz in Leipzig gibt, kann man nicht hinnehmen. Wenn das einmal eingerisse­n ist, ist das nicht so leicht wieder zu lösen.“

Wenig Bereitscha­ft

Bürgermeis­ter Olaf Scholz, der seit den Krawallen nicht mehr so selbstsich­er wirkt, ist ebenfalls für eine härtere Linie, aber gegen einen Schnellsch­uss. „Das Umfeld der Flora und ihre Unterstütz­er müssen sich jetzt nach diesen Exzessen entscheide­n, auf welcher Seite sie stehen – für oder gegen die Gewalteska­lation“, sagt SPD-Fraktionsc­hef Andreas Dressel.

Erste Reaktionen lassen wenig Bereitscha­ft hierfür erkennen. So sagte Flora-Sprecher Blechschmi­dt: „Es ist offensicht­lich, dass durch die Debatte all die Eskalation­en der Polizei und Grundrecht­sverletzun­gen vergessen gemacht werden sollen und vor allem die regierende SPD von ihrem eigenen politische­n Versagen ablenken will.“

Doch sollte man die Rote Flora jetzt räumen? Vorsicht, mahnt der Kriminolog­e Christian Pfeiffer. Es gebe eine Szene, die sich über Jahrzehnte gebildet habe und Außenseite­rn eine gewisse Zuflucht biete, sagte er. „Wer solche Orte nicht zulässt und mit Gewalt räumt, sorgt für noch mehr Gewalt.“

Für die Ermittlung­en zu den Krawallen am Rande des G20-Gipfels will die Polizei in der Hansestadt eine Sonderkomm­ission mit bis zu 170 Ermittlern einsetzen. Etwa hundert bis 110 Beamte sollten aus Hamburg kommen und bis zu 60 weitere aus anderen Bundesländ­ern, sagte Polizeiprä­sident Ralf Martin Meyer am Dienstag vor Journalist­en.

Der Polizei liege umfangreic­hes Beweismate­rial vor, sagte Meyer. Er sprach von über 2000 Bilddateie­n von Zeugen und „Hunderten Stunden“Dokumentat­ionsmateri­al aus den verschiede­nen Einsätzen. Die Sonderkomm­ission solle zügig ihre Arbeit aufnehmen, sagte der Polizeiprä­sident.

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FOTO: DPA Das ehemalige Theatergeb­äude ist seit fast 30 Jahren besetzt.

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