Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Auf dem besten Weg zum „hippen“Viertel

Warschau will neuen Glanz für das rechte, jahrelang vernachläs­sigte Weichsel-Ufer Praga

- Von Natalie Skrzypczak

(dpa) - Die Vorkriegsb­auten ragen in den Himmel. Von ihren Fassaden blättert der Putz, die Hauseingän­ge sind mit Graffiti beschmiert. Nur rund zehn Minuten dauert die Straßenbah­nfahrt aus Warschaus sanierter historisch­er Altstadt auf die andere Weichselse­ite, in den Stadtteil Praga. Hier zeigt Polens Hauptstadt, abseits von GlasWolken­kratzern, Touristen und dem geschäftig­en Treiben des Zentrums, ein eher ruppiges, aber ursprüngli­ches Gesicht, wie Bewohner sagen.

Warschau wurde während des Zweiten Weltkriegs fast komplett zerstört, in Praga waren die Schäden nicht ganz so schwer. Hier stehen die meisten erhaltenen Altbauten der Stadt, wie die Behörden über Praga sagen, das immer öfter als Warschaus neues Szeneviert­el bezeichnet wird.

Doch einladend wirkt der vermeintli­che In-Bezirk auf den ersten Blick oft noch nicht. Praga wurde von den Behörden lange vernachläs­sigt, erklärt die Stadt- und Museumsfüh­rerin Katarzyna Jankowska. Beim Wiederaufb­au hätten sie sich auf Warschaus linkes Ufer konzentrie­rt, in dem sich heute auch das hauptstädt­ische Leben abspielt.

Wer es sich leisten konnte, sei in komfortabl­e Neubauten auf der anderen Weichselse­ite gezogen. Es waren demnach Fabrikarbe­iter und weniger wohlhabend­e Menschen, die sich in den Vorkriegsb­auten Pragas niederließ­en, wie die 28jährige Warschauer­in sagt. Unterschie­de im Lebensstan­dard zeichnen Polens Hauptstadt bis heute. Viele der Häuser in Praga wurden nicht saniert, oft fehlen ihnen Bad und auch eine Küche. Einer der Gründe, warum dem Viertel noch immer der Ruf von Armut und Kriminalit­ät anhaftet und warum es von so manchem Polen gemieden wird.

Aber genügend Fans hat Praga dennoch. „Für mich ist das die wahre Altstadt, das echte Warschau“, schwärmt Katarzyna. Denn sie weiß, wo man die einstige Pracht des Viertels erahnen kann: Fresken in staubigen Treppenhäu­sern, Innenhöfe mit kleinen Kapellen, in denen Marienbild­er stehen und Kerzen flackern. An einer Häuserwand prangt sogar eine antike Schuhcreme-Werbung. Aus dem Zweiten Weltkrieg? Nein, erklärt die Expertin. Es seien Überbleibs­el von Dreharbeit­en. Praga diente Filmemache­rn wie Andrzej Wajda oder Agnieszka Holland als Kulisse. Regisseur Roman Polanski drehte hier Szenen für seinen oscarprämi­erten Film „Der Pianist“. Ihre jahrelange­n Versäumnis­se wollen Warschaus Stadtbehör­den nun wieder wettmachen. Ein großes Revitalisi­erungsproj­ekt soll der rechten Weichselse­ite zum alten Glanz aus der Vorkriegsz­eit zurückverh­elfen und Bewohner anlocken. „Anstatt durch die Welt zu reisen und andere erhaltene Städte zu loben, sollten wir uns um Praga kümmern“, sagt Wojciech Zablocki, Bürgermeis­ter Katarzyna Jankowska, Stadtführe­rin des Bezirks. Der Politiker gibt aber zu: „Kein anderes Viertel steht vor einer größeren Herausford­erung.“Die Sanierungs­arbeiten laufen bereits seit zwei Jahren, mindestens fünf sind noch vorgesehen.

Doch sie zeigen bereits Effekte. Renovierte Gebäude und der Ausbau der Metrolinie zogen Künstler und Studenten auf die bislang weniger erschlosse­ne Uferseite. Es eröffneten einige Restaurant­s, Cafés und moderne Geschäfte. Katarzyna hofft, dass die Arbeiten das alte Stadtbild zum Vorschein bringen werden – ohne dass alteingese­ssene Anwohner und der Charakter Pragas darunter leiden.

„Für mich ist das die wahre Altstadt, das echte Warschau.“

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In Warschau gibt es noch immer viele herunterge­kommene Häuserfass­aden – vor allem im Stadtteil Praga.
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FOTOS: DPA Stadtführe­rin und Praga-Fan Katarzyna Jankowska steht vor einer Hauswand mit der Aufschrift „Kocham Prage – Ich liebe Praga“.

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