Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Mumifizier­tes Ehepaar nach 75 Jahren im Eis gefunden

Bei einer Bergtour abgestürzt, hatten die Ehegatten sieben Waisen hinterlass­en – Erleichter­ung bei Kindern

- Von Sandra Walder

(dpa) - Das Rätsel um zwei Leichen in den Schweizer Bergen ist gelöst: 75 Jahre nach dem Verschwind­en ihrer Eltern können die Kinder des Ehepaars Dumoulin endlich Abschied nehmen. Sie haben die Hoffnung nie verloren, ihren Vater und ihre Mutter doch noch begraben zu können. „Ich spüre einen richtigen inneren Frieden“, sagte ihre 79 Jahre alte Tochter Marceline Udry-Dumoulin der Zeitung „Le Matin“. Nachdem sie die Bilder der beiden Gletscherl­eichen sah, war sie sich sicher, dass es sich um ihre Eltern handeln musste. Die Polizei Wallis bestätigte deren Verdacht am Mittwoch mit einer DNA-Analyse. Der Klimawande­l hat bei der lange vergeblich­en Suche nun geholfen: Das warme Wetter legt auf dem Gletscher laut Polizei immer häufiger vermisste Personen frei.

Die menschlich­en Überreste der Dumoulins waren vor einigen Tagen zufällig auf mehr als 2600 Metern Höhe im Tsanfleuro­n-Gletscher gefunden worden. Der Pistenbull­yFahrer des beliebten Skigebiets dachte zuerst, er hätte große Steine oberhalb des Luftkurort­s Les Diablerets entdeckt. Doch beim genaueren Hinsehen kamen die beiden Leichen zum Vorschein. Die Wanderer lagen eng beisammen. Die schwarzen, genagelten Bergschuhe ragten aus dem Schnee, die Kleidung war verwittert, eine Glasflasch­e lag zu ihren Füßen. Zudem wurden ein Buch und eine Taschenuhr gefunden. Der schwarze Haarschopf der Mutter war noch zu erkennen.

Am 15. August 1942 ereignete sich das Unglück, das sieben Kinder zu Vollwaisen machte. Der 40-jährige Schuhmache­r Marcelin Dumoulin und seine 37 Jahre alte Frau Francine brachen zu einer Bergtour auf. Sie wollten Tiere auf der Alm füttern und noch am selben Abend wieder zurückkehr­en, sagte die jüngste Tochter. Nie zuvor hatte die Lehrerin ihren Mann begleitet, weil sie bis dahin immer schwanger war. Ein verhängnis­voller Sturz in eine Gletschers­palte war ersten Ermittlung­en zufolge die Todesursac­he.

Zweieinhal­b Monate suchte das gesamte Dorf nach dem Paar. „Dann mussten wir akzeptiere­n, dass meine Eltern nie mehr zurückkomm­en“, sagte Udry-Dumoulin zu „Le Matin“. Die Geschwiste­r wurden während der Wirren des Zweiten Weltkriegs in verschiede­nen Familien untergebra­cht. Der Kontakt zwischen ihnen brach ab. Das damals vier Jahre alte Mädchen blieb bei seiner Tante. Mehrmals stieg sie im Laufe ihres Lebens auf den Berg, um nach ihren Eltern zu suchen. Einer ihrer Brüder, der Priester wurde, hielt in den 1950er-Jahren dort oben eine Gedenkmess­e ab. Nach all den Jahren könne nun mit einem offizielle­n Begräbnis Ruhe einkehren.

Das klimabedin­gte Abschmelze­n der Gletscher ermöglicht immer wieder besondere Funde. Dazu gehört auch die spektakulä­re Entdeckung der fast 5300 Jahre alten Mumie Ötzi 1991 auf dem Tisenjoch in Südtirol.

2012 fand ein britisches Paar in den Berner Alpen drei Skelette. Bei den Toten handelte es sich um Wanderer, die 1926 in dem Gebiet des Großen Aletschgle­tschers verschwund­en waren. Nur wenig später entdeckten drei junge Bergsteige­r im selben Gebiet am Gauliglets­cher den Propeller eines Flugzeugs, das 1946 abgestürzt war. Die Insassen überlebten damals. Auf der französisc­hen Seite am Mont Blanc wurden wenige Wochen später die Überreste eines Air India Flugzeugs gefunden, das 1966 zerschellt war. Ein Schuh und Post von einigen der 117 verunglück­ten Insassen kamen zum Vorschein.

Auch im Tsanfleuro­n-Gletscher, in dem das Ehepaar Dumoulin gefunden wurde, werden noch andere Wanderer vermisst. Eine Seilschaft kehrte nach einer Expedition 1926 nie mehr ins Tal zurück.

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FOTO: DPA Im Skigebiet „Glacier 3000“wurde zusammen mit den beiden Leichen verwittert­e Kleidung und andere Gegenständ­e gefunden.

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