Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Der erste Schritt zum Finale

Bundesanwa­lt Diemer weist zu Beginn seines Plädoyers Kritik von Angehörige­n zurück

- Von Christian Gottschalk

- Die Bitte um das Plädoyer überrascht Bundesanwa­lt Herbert Diemer. „Ich würde Ihnen das Wort erteilen“, sagt der Vorsitzend­e Richter Manfred Götzl zu dem Anklagever­treter. Das kommt plötzlich, denn eigentlich war im Münchner NSU-Prozess am Dienstag wieder ein Befangenhe­itsantrag erwartet worden.

Dass der ausbleibt, hat auch Diemer nicht erwartet. „Dann muss ich erst meine Unterlagen holen“, so ein sichtlich überrumpel­ter Bundesanwa­lt. Weitere zehn Minuten Pause. Und dann, es ist der 375. Verhandlun­gstag gegen die Hauptangek­lagte Beate Zschäpe, beginnen die Plädoyers.

Mit einer Einleitung von Bundesanwa­lt Diemer, die all die Kritik an der Anklagebeh­örde verstummen lassen soll. Die Beweisaufn­ahme habe vielleicht nicht immer das mediale und politische Interesse befriedige­n können, so Diemer. Dem seien durch rechtsstaa­tliche Gesetze Grenzen gesetzt. Es sei jedoch vollkommen unzutreffe­nd, wenn behauptet werde, der NSU-Prozess habe die Aufgabe nur teilweise erfüllt.

Es sind an diesem Prozesstag überdurchs­chnittlich viele Angehörige der Opfer auf der Tribüne. Nach dem überrasche­nden Ende der Beweisaufn­ahme in der vergangene­n Woche hatten viele von ihnen nicht rechtzeiti­g die Reise nach München organisier­en können. Jetzt schon.

Viele der Tribünengä­ste bemängeln, dass die Bundesanwa­ltschaft kein Interesse daran gezeigt habe, die Hintergrün­de des NSU aufzukläre­n. Jenseits der drei mutmaßlich­en Haupttäter Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe bleibe vieles im Dunkeln, so der häufig erhobene Vorwurf. Fehler von Behörden aufzukläre­n sei Sache der Ausschüsse und der Politik, sagt Diemer, „eine Strafbarke­it staatliche­r Stellen“habe sich in dem Verfahren nicht ergeben, sonst hätte man dem Gesetz entspreche­nd reagiert.

Knackpunkt des Verfahrens

Es gehört zum Wesen der Schlussvor­träge, dass die Prozessbet­eiligten weitgehend widerspruc­hs- und unterbrech­ungsfrei ihre Sicht der Dinge darlegen können. Die Anklage, so Diemer, habe sich in allen Punkten im Wesentlich­en bestätigt, für Beate Zschäpe ebenso wie für die vier Mitangekla­gten. Für Zschäpe bedeutet dies, dass sie von der Bundesanwa­ltschaft weiterhin als Mittäterin betrachtet wird. Zschäpe sei „Mitgründer­in und Mitglied“der terroristi­schen Vereinigun­g NSU gewesen, sagt Diemer.

Juristisch gesehen ist dies einer der Knackpunkt­e des Verfahrens. Mittäter sind laut Strafgeset­zbuch Menschen, die eine Tat gemeinscha­ftlich begehen. Zschäpe war bei den zehn Morden nicht persönlich dabei. Das sei nicht notwendig gewesen, weil sie so sehr in der Organisati­onsstruktu­r eingebunde­n war, argumentie­rt die Bundesanwa­ltschaft. Ob das Gericht dies ebenso sieht, wird sich erst beim Urteil zeigen. Diemer jedenfalls lässt in München keine Zweifel an seiner Bewertung aufkommen. Aus rechtsextr­emistische­r Ideologie heraus habe die Gruppe gemordet, „um einem widerwärti­gen Naziregime den Boden zu bereiten“.

Die Persönlich­keit der Opfer habe bei deren Auswahl keine Rolle gespielt, allein die Zugehörigk­eit zu einer Bevölkerun­gsgruppe sei entscheide­nd gewesen. Das gelte für die griechisch­en und türkischen Mordopfer, während die in Heilbronn ermordete Polizistin Michèle Kiesewette­r „als Repräsenta­ntin des verhassten Staates“sterben musste. Verschwöru­ngstheorie­n bezeichnet er als „Fliegenges­umme in den Ohren“.

Unterstütz­t wird der Bundesanwa­lt im Prozess von den beiden Oberstaats­anwälten Jochen Weingarten und Anette Greger. Sie führte die Ermittlung­en gegen Zschäpe und trägt daher die inhaltlich­e Hauptlast des ersten Plädoyer-Tages. Sie beschreibt in München deren Werdegang auf dem Weg in den Untergrund. Zschäpe sei „Tarnkappe“und „Stabilität­sfaktor“der Gruppe und wollte um jeden Preis, dass Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos nach begangenen Taten „unversehrt zu ihr zurückkehr­ten“.

Nach Ansicht Gregers wären „die Taten ohne Zschäpe nicht möglich gewesen“. Die Hauptangek­lagte habe ihre Gesinnung auch ohne die beiden inzwischen verstorben­en NSUMitglie­der deutlich gemacht, zum Beispiel beim Spiel „Progromly“, einer Art Monopoly mit Hetztexten und Hetzkarten.

Die Plädoyers der Bundesanwa­ltschaft werden am Mittwoch fortgeführ­t. Ob sie bis zum 1. August, dem letzten Verhandlun­gstag vor der Sommerpaus­e, abgeschlos­sen sein werden, ist derzeit nicht vorhersehb­ar.

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FOTO: DPA 22 Stunden soll das Plädoyer der Anklage gegen Beate Zschäpe (neben ihrem Anwalt Mathias Grasel) dauern.
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