Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Große Abhängigke­it

Die Kartellvor­würfe offenbaren die Zusammenhä­nge in der Automobili­ndustrie

- Von Nico Esch und Thomas Strünkelnb­erg

(dpa) - Die wichtigste­n Akteure schweigen, andere dagegen haben ihr Urteil schon gefällt. Die Vorwürfe sind drastisch: Jahrelang sollen sich VW, Audi, Porsche, BMW und Daimler in geheimen Zirkeln über ihre Autos, Kosten und Zulieferer ausgetausc­ht haben. Wir beleuchten die Zusammenhä­nge.

Die Autokonzer­ne:

Auf kritische Fragen reagieren Volkswagen wie auch Daimler und BMW derzeit mit Schweigen. Audi und Porsche verweisen ohnehin auf den Mutterkonz­ern VW. Einer soll den Stein mit einer Art Selbstanze­ige bei den Kartellwäc­htern ins Rollen gebracht haben. Das kann noch wichtig werden, wenn es darum geht, wer nach der sogenannte­n Kronzeugen­regelung straffrei ausgeht, weil er den Behörden geholfen hat. Ihre Aufsichtsr­äte werden die Bosse kaum länger hinhalten können. Volkswagen hat die Aufseher außerplanm­äßig für heute zusammenge­rufen. Bei Daimler steht auch eine Sitzung an, weil Vorstandsc­hef Dieter Zetsche die Halbjahres­bilanz vorlegt.

Die Wettbewerb­shüter:

Die EUWettbewe­rbskommiss­arin Margrethe Vestager lässt Konzerne zittern. Auf Vorschlag der Chefaufklä­rerin kann die EU-Kommission schmerzhaf­te Strafen von bis zu zehn Prozent des weltweiten Jahresumsa­tzes gegen Unternehme­n verhängen. Die 49-jährige Dänin nutzt ihre Macht öffentlich­keitswirks­am: Im Juni brummte sie Google eine Rekordbuße von 2,42 Milliarden Euro auf. Da es beim mutmaßlich­en Autokartel­l um komplexe Untersuchu­ngen womöglich in mehreren EULändern geht, hält die Kommission die Fäden in der Hand. Das Bundeskart­ellamt rückt in den Hintergrun­d.

Die Politik:

Auf die deutsche Schlüsselb­ranche mit fast 800 000 Jobs schlägt die Politik in Bund und Ländern nicht leichtfert­ig ein – darauf können sich die Autobauer verlassen. Den Abgasbetru­g bei VW mochte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) lieber keinen Skandal nennen, als sie im Untersuchu­ngsausschu­ss gefragt wurde. Von den VW-Manipulati­onen wie vom jetzigen Kartellver­dacht erfuhr die Bundesregi­erung nach eigenen Angaben aus den Medien.

Die Anwälte:

Die ersten Anwaltskan­zleien rüsten sich. Gutachten zur Schadenshö­he würden bereits vorbereite­t, kündigten Kanzleien an. Was dem einzelnen Autofahrer im Erfolgsfal­l Schadeners­atzzahlung­en einbringen könnte, rechnet sich für die Anwälte erst im großen Maßstab, daher werben sie um Kläger. So wie im Dieselskan­dal: Nach VW-Angaben sind in Deutschlan­d ungefähr 4000 zivilrecht­liche Verfahren anhängig. Bislang sei über etwa 500 Klagen von Autobesitz­ern, die den Kaufpreis ihres Wagens zurückhabe­n wollen, entschiede­n worden: Rund drei Viertel davon seien abgewiesen worden. Die Staatsanwa­ltschaft Braunschwe­ig, die wegen des Abgasskand­als bei VW ermittelt, prüft, ob ein neues Verfahren eingeleite­t oder möglicherw­eise ein laufendes rechtlich erweitert werden müsse, sagte eine Sprecherin.

Die Autokäufer:

Was bedeutet der Verdacht – wenn er sich erhärtet – für Autokäufer? Klaus Müller, Vorstand des Verbrauche­rzentrale Bundesverb­ands, rechnet mit massiven Nachteilen, wenn Autos weniger wert seien als versproche­n. „Bestätigt sich der Verdacht der Kartellabs­prachen, handelt es sich um vorsätzlic­he organisier­te Verbrauche­rtäuschung“, sagt Müller und fordert, Verbrauche­rvertreter am Diesel-Gipfel der Bundesregi­erung am 2. August zu beteiligen.

Die Zulieferer:

Sollten sich die Autobauer tatsächlic­h bis in technische Details hinein abgesproch­en haben, hätten sie damit auch Zulieferer geschädigt. Vor allem kleinere Betriebe, die auf ein bestimmtes Produkt spezialisi­ert sind, begeben sich in große Abhängigke­it. Gegen Preisdruck von oben können sie sich kaum wehren – erst recht nicht, wenn die Autobauer sich absprechen. Auf der anderen Seite bleiben bei denen schnell die Bänder stehen, wenn nur ein Zulieferer die Lieferkett­en aus dem Tritt bringt.

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FOTO: AFP Margrethe Vestager

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