Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Ketchup hat die Flasche geöffnet

Lagenschwi­mmer Philip Heintz gilt als große deutsche WM-Hoffnung in Budapest, auch Franziska Hentke startet heute als Weltrangli­stenerste

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(SID/dpa) - Philip Heintz macht sich gern einen Scherz daraus, dass er (fast) wie eine bekannte Ketchupsor­te heißt. Der Schwimmsta­r grinst als Ketchupfla­sche verkleidet von seinem Profilbild bei WhatsApp, womöglich ist das auch symbolisch gemeint. Bei Heintz läuft es, nachdem er lange auf seinen Durchbruch warten musste. Der berühmte Ketchup-Flaschen-Effekt.

„Dass ich jetzt so durchstart­e, kommt für mich nicht so überrasche­nd. Ich habe ja lange drauf gewartet“, sagt der Heidelberg­er. Bei der WM in Budapest startet der Lagenschwi­mmer heute über 200 Meter als deutscher Rekordhalt­er, Weltjahres­bester und Goldkandid­at. „Er ist unser heißestes Eisen im Feuer“, meint Bundestrai­ner Henning Lambertz.

Heintz ist nach den zuletzt schwachen Leistungen von Weltmeiste­r Marco Koch und dem Rücktritt von Paul Biedermann die neue Nummer 1 im deutschen Mini-Team. Um mit der Erwartungs­haltung klarzukomm­en, arbeitet der 26-Jährige mit einem Psychologe­n zusammen. „Wenn ich mal reden will, rufe ich als erstes meine Freundin an und dann meinen Psychologe­n“, sagt Heintz. „Es ist etwas Neues, wenn man als Medaillenk­andidat gilt. Er bereitet mich auf alles vor.“Die Arbeit trage Früchte: Bevor er ins Wasser springe, sei er „zu 100 Prozent der Meinung, dass ich das schaffe“.

Um nicht zu sicher zu sein, redet sich der Kurzbahn-Vizeweltme­ister zugleich ein, „dass ich nicht fit bin und dass es kein Selbstläuf­er wird“. Auf seine Rivalen wirkt er deswegen wenig angsteinfl­ößend. „Ich sehe vor den Rennen eher wie ein Schluck Wasser in der Kurve aus“, sagt Heintz: „Sollen sie mich ruhig unterschät­zen.“

Mit dieser seltsamen Mischung aus Selbstzwei­feln und Selbstvert­rauen hat der gebürtige Mannheimer im letzten Jahr eine Leistungse­xplosion erlebt. Seinen deutschen Rekord beim sechsten Platz im Olympia-Finale hat Heintz bei der DM vor fünf Wochen um rund 1,5 Sekunden auf 1:55,76 Minuten nach unten gedrückt – im Schwimmspo­rt eine Welt.

Anfangs hatte er Bedenken, ob er die Form halten kann. Die Trainingse­rgebnisse aber zeigen: „Ich bin gut drauf, in einer ähnlichen Verfassung wie in Berlin, eine 1:56-Mitte ist möglich, dafür muss ich nicht den besten Tag meines Lebens haben.“Auch mit dieser Zeit ist Gold möglich.

19-Jähriger schwimmt ins Finale

Es gibt mehrere Gründe, warum Heintz sich dem Negativtre­nd im deutschen Schwimmen widersetzt. Zum einen fand der BWL-Fernstuden­t einen Arbeitgebe­r im Finanzwese­n, der ihm alle Freiheiten fürs Training lässt und ihn nach der Karriere übernehmen will. Das macht den Kopf frei, genau wie sein Auftritt in Rio – auch wenn er nach der verpassten Medaille bittere Tränen geweint hatte. „Ich weiß jetzt, dass ich meine Bestzeit erreichen kann, auch wenn ich unter Druck bin und ein Michael Phelps neben mir schwimmt.“Der RekordOlym­piasieger ist in Budapest nicht mehr dabei, auch nicht der für fast ein Jahr gesperrte Skandalsch­wimmer Ryan Lochte. Heintz weiß, dass über 200 Meter Lagen alle auf ihn schauen. Aber er hat sich darauf vorbereite­t.

Auch Franziska Hentke führt über 200 Meter Delfin in 2:06,18 Minuten die Weltrangli­ste an. Ihren Frust von Rio, als die Magdeburge­rin als Mitfavorit­in das Finale verpasste, hat sie nach eigener Aussage „abgehakt“, für Ungarn ist sie „optimistis­ch“. Die 28Jährige weiß aber, dass die Rangliste wenig Aussagekra­ft hat. „Die anderen werden alle noch eine Schippe drauflegen.“Bundestrai­ner Lambertz sieht es ähnlich: „Ein Weltrangli­stenplatz, der auch daraus resultiert, dass andere schon im März oder April ihre Qualifikat­ion hatten und wir erst im Juni, ist im Prinzip Schall und Rauch.“

Derweil haben die Deutschen seit Dienstag einen Hoffnungst­räger mehr – und ihren ersehnten ersten Finalteiln­ehmer bei der WM. Der 19-jährige Florian Wellbrock zog überrasche­nd in den Endlauf über 800 Meter Freistil ein. Mit persönlich­er Bestzeit von 7:50,89 Minuten war der Magdeburge­r Siebtschne­llster in den Vorläufen. „Dass ich das Finale schwimmen darf, ist riesig“, sagte Wellbrock.

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FOTO: DPA Gold im Visier: Philip Heintz.

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