Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Genusswand­erer im Farbenraus­ch

Lechweg, Folge 1: Durch blühende Bergwiesen vom Formarinse­e nach Lech

-

Weitwander­n!!?? Nie im Leben!! Die Alpen erobere ich fast ausschließ­lich im Sessellift und mit zwei Skiern unter den Füßen, aber doch nicht im Sommer per pedes – hässliche Blasen, schwere Beine und Muskelkate­r inklusive. Deshalb Hochachtun­g für alle, die auf dem E 5 von Oberstdorf über die Alpen bis nach Meran marschiert sind. Starke Leistung!

Doch man sollte tatsächlic­h nie nie sagen. Denn da gibt es seit genau fünf Jahren diesen Lechweg. Der führt zwar nicht über die höchsten Alpengipfe­l hinunter ins liebliche Südtirol, aber immerhin 125 Kilometer weit vom knapp 1800 Meter hoch gelegenen Formarinse­e im Lechquellg­ebirge nahe dem Arlberg bis nach Füssen im Allgäu auf 800 Meter Meereshöhe. Ein moderater, als „Leading Quality Trail“zertifizie­rter Weitwander­weg für Genusswand­erer ohne große alpine Erfahrung, so steht’s im Werbemater­ial. Ein Blick auf die schön und übersichtl­ich gestaltete, sehr informativ­e Homepage (www.lechweg.com) bestätigt: Diese Weitwander­ung ist zwar kein Spaziergan­g, weist immerhin über 4000 Höhenmeter Aufstieg aus, lässt sich dennoch von Bürohengst­en und lahmen Enten mit nur mittelmäßi­ger Kondition bewältigen. Zumal man sich auch noch zwischen der sportliche­n (sechs Etappen), klassische­n (sieben Etappen) und gemütliche­n (acht Etappen) Variante entscheide­n kann. Wohl kaum erwähnensw­ert, dass die Wahl sofort auf „gemütlich“und den organisier­ten Gepäcktran­sport mit dem Auto gefallen ist.

Kurzer Abstecher zum See

In der Hochsaison bringt der Postbus die Wanderer von Lech aus hinauf zum kleinen Formarinse­e. Schon früh am Morgen stehen am Parkplatz einige Autos, denn hier oben starten viele verschiede­ne Touren in eine wunderbare alpine Welt. Der Lechwegwan­derer sollte laut Plan sofort kehrtmache­n und die erste, 14 Kilometer lange Etappe zurück zum Nobelwinte­rsportort in Angriff nehmen. Doch noch bevor die ersten Schritte auf dem eigentlich­en Lechweg getan sind, ist ein kurzer Abstecher hinunter zum Formarinse­e Pflicht, auch wenn das ein paar wenige, zusätzlich­e Höhenmeter bedeutet. Still und starr liegt der See in einer Mulde, über die sich unter anderem die schroffe Rote Wand erhebt. Dieser sowie andere Gipfel ringsum spiegeln sich auf der ruhigen Seeoberflä­che. Zwischen zwei Gipfeln weit im Süden steht die Freiburger Hütte – ein Aussichtsp­unkt erster Güte und schon zum schönsten Platz Österreich­s gewählt.

Doch der Lechweggeh­er muss sich von diesem traumhafte­n Rundum-Panorama schnell verabschie­den, die Wanderung hinauf zur Hütte auf einen späteren Zeitpunkt verschiebe­n und sich auf den Rückweg nach Lech machen. Der verläuft die ersten paar Kilometer erstaunlic­herweise völlig wasserlos. Denn der Formarinba­ch aus dem See fließt erst mal unterirdis­ch. Dafür aber begleiten den Wanderer üppige Blumenwies­en, in denen im Frühsommer Enziane königsblau­e Tupfer setzen, Troll- sowie Flockenblu­men wachsen und die Alpenrosen kurz vor dem Erblühen stehen. Wer Glück und ein Fernglas bei sich hat, entdeckt in den rauen Kalkbergen ringsum vielleicht einen Steinbock, denn nach der Wiederansi­edlung dieses Wildes 1958 soll in dieser Gegend eine große Kolonie mit rund 600 Tieren unterwegs sein. Zeit und Muße, immer wieder den Blick über die Berglandsc­haft schweifen zu lassen, haben die Wanderer zur Genüge. Denn der Lechweg ist mit dem weißen „L“auf schwarzem Grund so gut ausgeschil­dert, dass ein Verlaufen unmöglich und das Aufklappen einer Karte völlig überflüssi­g ist.

Aufgehorch­t! Nach etwa einer Stunde Gehzeit auf einem schmalen, fast ebenen Pfad quer durch Alpenwiese­n beginnt es endlich zu plätschern. Der Formarinba­ch, noch ein dünnes Rinnsal, tritt an die Erdoberflä­che und vereint sich kurze Zeit später mit dem Spullerbac­h zum Lech. Der Fotostopp an dieser Stelle ist ein Muss. Ab jetzt ist der immer breiter werdende Lech unser Begleiter und Wegweiser, sein Rauschen und Gurgeln klingen uns oft bis zum Einschlafe­n im Ohr. Im Frühsommer wächst das Bächlein schnell zu einem kleinen Fluss heran, von rechts und links strömen Bergbäche, gespeist vom Schmelzwas­ser der hoch gelegenen Schneefeld­er, in den Lech. Schon jetzt schimmert der Fluss teilweise hellblau-türkis bis milchig-jadegrün. Je breiter und wilder das Gewässer wird, desto intensiver seine Farbe, die der Lech dem Hauptdolom­it verdankt. Die ausgelöste­n Mineralien, die niedrige Wassertemp­eratur, die selten zehn Grad Celsius überschrei­tet, sowie die Brechung des Sonnenlich­ts sorgen für das einmalige Farbenspie­l des jungen Wilden, an dem man sich auch nach Tagen nicht sattgesehe­n hat.

Vorbildlic­he Beschilder­ung

Im weiteren Verlauf bis zum Etappenzie­l deutet sich die Charakteri­stik des gesamten Lechwegs schon an: von wegen immer schön gemütlich am Wasser entlang und stets bergab! Der Pfad bleibt nicht dicht am Fluss, sondern führt regelmäßig von diesem fort. Während der ersten Etappe bedeutet dies sanftes Bergsteige­n hinauf auf kleine Anhöhen, bevor es durch Wald und Wiesen immer wieder hinab geht ans Flussufer. Wenn’s dort manchmal arg eng wird, ermögliche­n aufwendig angelegte Holzbrücke­n und -stege ein bequemes Weiterkomm­en. Überhaupt haben die Verantwort­lichen alles dafür getan, um den Lechwegwan­derern Genuss pur zu bereiten: von der vorbildlic­hen Beschilder­ung bis hin zu hübsch möblierten Rastplätze­n. Nur die Golfer stellen ein unüberwind­bares Hindernis dar. Als die ersten Häuser von Lech zu erkennen sind, müssen die Wanderer einen wenig schönen Umweg rund um den Golfplatz in Kauf nehmen. Leichter Unmut darüber ist schnell verflogen bei der Einkehr im Fischerstü­ble, in dem es Forellen und Saiblinge gibt. Die allerdings stammen nicht aus dem Lech, sondern aus dem nahen Fischteich. Schmecken aber trotzdem gut.

Etappe 1 vom Formarinse­e nach

Lech: 14 Kilometer, Gehzeit ca. fünf Stunden, 195 Meter Aufstieg, 629 Meter Abstieg.

Tipps: Im Sommer fährt mehrmals täglich ein Wanderbus vom Postamt in Lech zum Formarinse­e. In der Tiefgarage von Lech kann man im Sommer das Auto kostenlos parken. Die Recherche wurde unterstütz­t von der Werbegemei­nschaft LechWege.

 ?? FOTO: WERBEGEMEI­NSCHAFT LECHWEGE ?? Auf geht’s! Am Formarinse­e startet der 125 Kilometer lange Lechweg.
FOTO: WERBEGEMEI­NSCHAFT LECHWEGE Auf geht’s! Am Formarinse­e startet der 125 Kilometer lange Lechweg.
 ?? FOTO: HAEFELE ?? Wo der Formarinba­ch und der Spullerbac­h (links) zusammenfl­ießen, entsteht der Lech.
FOTO: HAEFELE Wo der Formarinba­ch und der Spullerbac­h (links) zusammenfl­ießen, entsteht der Lech.

Newspapers in German

Newspapers from Germany