Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Blutritt soll immaterielles Welterbe werden
Weingartener Gemeinderat beauftragt Stadt, einen Antrag zu stellen – langwieriges Prozedere
- Die Stadt Weingarten wird einen Antrag zur Anerkennung des Blutritts als immaterielles Welterbe der Unesco stellen. Das hat der Gemeinderat in seiner jüngsten Sitzung einstimmig beschlossen. Damit beginnt ein langes und kompliziertes Auswahlverfahren, das sich über viele Instanzen und mehrere Jahre ziehen könnte. Der erste Schritt, die Ausarbeitung der umfassenden Bewerbungsunterlagen, wurde bereits gemacht. Und obwohl der Gemeinderat dafür 20 000 Euro zur Verfügung gestellt hatte, kostete das Ganze die Stadt keinen Cent.
Und das ist dem ehrenamtlichen Engagement einer Vielzahl an Beteiligten zu verdanken. Unter anderem unterstützen die Blutfreitagsgemeinschaft und die Blutreitergruppe Weingarten den Antrag. Auch die katholische und die evangelische Gesamtkirchengemeinde haben Unterstützung zugesagt. Die gibt es auch durch Empfehlungsschreiben der Professoren Andreas Holzem von der Universität Tübingen und Hans Ulrich Rudolf (ehemals Pädagogische Hochschule Weingarten). Letzterer hatte auch maßgeblich an der Ausarbeitung der Bewerbungsunterlagen mitgewirkt.
Ursprünglich hatte die Weingartener SPD-Fraktion diesbezüglich im Jahr 2015 einen Antrag im Stadtparlament gestellt. Allerdings war es damals um die Basilika als Unesco-Weltkulturerbe gegangen. Doch nach Rücksprache mit Experten der zuständigen Stellen in Stuttgart wurde schnell klar: Die Basilika hätte kaum Chancen, zum Weltkulturerbe ernannt zu werden. Schließlich gibt es zahlreiche andere Kirchen in Deutschland, bei denen ähnliche Pläne verfolgt werden. Dass die badenwürttembergische Vorschlagsliste – jedes Bundesland darf pro Jahr nur einen Vorschlag einreichen – bis ins Jahr 2020 bereits voll ist, hätte das Ganze noch erheblich kompliziert.
Höhere Chancen
Da das immaterielle Welterbe, das ebenfalls von der Unesco ausgezeichnet wird, noch nicht so bekannt ist, sind die Chancen, dort erfolgreich abzuschneiden, deutlich höher. Außerdem sind das Alleinstellungsmerkmal und die reine Bedeutung der HeiligBlut-Verehrung, zu der letztlich ja auch die Basilika gehört, noch umfassender. Und genau darauf kommt es auch an. Denn schließlich geht es beim immateriellen Kulturerbe um kulturelle Ausdrucksformen, die von menschlichem Wissen und Können getragen sind.
Diese Traditionen sollen von der Gemeinschaft geprägt sein, mit der Zeit gehen, weiterentwickelt und weitergegeben werden. Es geht also um Menschen, um das soziale Miteinander, um Identität. Vereinfacht gesagt: Kunst, Bräuche, Rituale, Feste, Wissen über traditionelle Handwerkstechniken und Praktiken im Umgang mit der Natur.
Im bundesweiten Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes befinden sich derzeit 68 Einträge. Alleine im vergangenen Jahr kamen 34 Einträge hinzu. Es soll von Jahr zu Jahr wachsen und langfristig die Vielfalt kultureller Ausdrucksformen in und aus Deutschland sichtbar machen. Allerdings gehört das bundesweite Verzeichnis nicht zur Unesco, sondern zur deutschen Unesco-Kommission.
Das Verzeichnis wird in einem mehrstufigen Verfahren von der deutschen Unesco-Kommission und verschiedenen deutschen staatlichen Akteuren erstellt. Es gibt jedoch noch drei höhere Auszeichnungen von der Unesco: die Liste des dringend erhaltungsbedürftigen immateriellen Kulturerbes, auf der aktuell 43 kulturelle Ausdrucksformen aus 24 Ländern stehen.
Genossenschaftsmodell ist dabei
Weiter gibt es das Register guter Praxisbeispiele der Erhaltung immateriellen Kulturerbes mit aktuell 17 Einträgen sowie die repräsentative Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit, die die höchste Auszeichnung ist. Aktuell gibt es 336 immaterielle kulturelle Ausdrucksformen auf der Liste. Aus Deutschland wurde im vergangenen Jahr das Genossenschaftsmodell ausgezeichnet.
Doch bis dahin ist es für den Blutritt noch ein weiter Weg. In einer ersten Stufe müssen die Bewerbungsunterlagen beim Land Baden-Württemberg bis zum 30. Oktober dieses Jahres eingereicht werden. Bis April 2018 werden dann pro Bundesland jeweils vier Vorschläge ausgewählt und zu einer Gesamtliste von bis zu 64 Vorschlägen zusammengeführt. Das übernimmt die ständige Konferenz der Kultusminister der Länder (KMK). Die deutsche Unesco-Kommission prüft, in welche der drei möglichen Kategorien die Vorschläge eingeordnet werden. Im Anschluss muss die Entscheidung noch von der KMK und der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien staatlich bestätigt werden. Das geschieht voraussichtlich im Februar 2019.
Erst danach geht es ins internationale Anerkennungsverfahren. Alle Vorschläge für die verschiedenen Listen werden über das Auswärtige Amt an die Unesco nach Paris geschickt. Dort wird dann über die letztliche Zuweisung entschieden. Sollte der Blutritt zum immateriellen Welterbe ernannt werden, würde das im übrigen keinerlei direkte finanzielle Förderung bringen. Allerdings würde es dem Marketingwert der Stadt sicherlich guttun – ganz zu Schweigen von der Bedeutung für die vielen gläubigen Weingartener.