Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
„Großteil der Patienten hat Depressionen“
Akutklinik Bad Saulgau gibt es seit zehn Jahren – Ärztlicher Direktor ist Dr. Gerhard Schell
- Depressionen, Burn Out, Schlafstörungen, seelische und körperliche Schmerzen: Patienten mit psychischen Erkrankungen lassen sich seit zehn Jahren in der Akutklinik in Bad Saulgau behandeln. Der Ärztliche Direktor, Dr. Gerhard Schell, hat die Klinik Anfang 2016 übernommen und will vor allem den Kontakt mit niedergelassenen Fachärzten besser pflegen. Denn die Fachärzte müssen schließlich die Patienten weiterbehandeln und sind Einweiser.
„Wir sind zu betrachten wie ein privates Krankenhaus“, sagt Gerhard Schell. Ein Krankenhaus, in dem aber nicht der Blinddarm entfernt wird, sondern ein Krankenhaus, in dem Menschen mit Depressionen, wegen Trennungskrisen oder chronischen Schmerzstörungen über einen Zeitraum von sechs bis acht Wochen behandelt werden. Die letztendliche Verweildauer hängt vom Gesundheitszustand des Patienten ab. „Wir entlassen ihn erst, wenn es ihm besser geht oder wenn er wieder arbeitsfähig ist“, sagt Gerhard Schell.
56 Therapieplätze gibt es in der Akutklinik. „Wir sind voll belegt“, ergänzt Schell. Die Patienten kommen aus ganz Deutschland, sind zwischen 17 und 70 Jahre alt, die meisten davon sind Frauen.
Gerhard Schell führt mit jedem Patienten als erstes ein Aufnahmegespräch, bevor der Patient etwa 25 Stunden pro Woche der Akutbehandlung unterzogen wird – in intensiver Einzeltherapie und in Gruppentherapie. „Die Akutbehandlung wird individuell auf den Patienten zugeschnitten“, ergänzt Schnell, dem die Fallbesprechung im Team und die Kontakte mit dem Patienten dazu dienen, ein Verständnis für die innere Welt des Menschen zu erhalten. „Durch das Analysieren der eigenen Reaktionen und Gefühle auf die Patienten erschließt sich oft, was sich zum Beispiel hinter den körperlichen Symptomen verbirgt, was zunächst nur durch die Körpersprache vermittelt wird“, so Schnell.
Er wolle den Patienten helfen, sich zu öffnen. Eine vertrauensvolle Atmosphäre mit allen Mitarbeitern und Therapeuten der Akutklinik sei eine unabdingbare Grundlage für die Behandlung.
Medizinische Diagnose
Die medizinische Diagnose ist dabei so unterschiedlich wie die Menschen selbst. Manche Patienten können ihre Stresshormone nicht mehr regulieren, leiden unter Schlafstörungen, manche Patienten lassen sich einweisen, um ein Trauma zu verarbeiten, andere wiederum haben körperliche Schmerzen, die eine seelische Ursache haben. „Der Großteil unserer Patienten hat aber Depressionen“, sagt Gerhard Schell, der mit seinen 66 Jahren viel Erfahrung in der Psychosomatik gesammelt hat – unter anderem als Chefarzt in einer Stuttgarter Klinik.
Schmerzen werden potenziert
Depressionen sind schon längst keine Seltenheit mehr. Und sie sind nicht zu unterschätzen, weil sie bis zum Suizid eines schwer depressiven kranken Menschen führen können – so wie im Fall von Linkin-Park-Sänger Chester Bennington in der vergangenen Woche oder wie beim früheren Fußballprofi Robert Enke, der sich 2009 das Leben genommen hatte. „Meistens treffen körperliche und seelische Schmerzen aufeinander. Dadurch werden die Schmerzen potenziert“, sagt Schell. Depressionen lassen sich aber ebenfalls behandeln. Wichtig sei, „dass Menschen mit Depressionen ihre Scham abbauen und den Weg zum Arzt nicht scheuen. Sie müssen den Mut haben, sich uns anzuvertrauen“, sagt Schell.
Mut sollten seiner Ansicht auch Angehörige und Freunde haben, wenn sie merken, dass mit ihrem Verwandten oder Bekannten etwas nicht in Ordnung sei. „Wenn das Bauchgefühl sagt, es stimmt etwas nicht, sollte man das Gespräch suchen“, so Schell, der aber weiß, dass oft die Hemmschwelle zu groß ist. Denn seelische Erkrankungen werden nach Gerhard Schells Einschätzung auch in Zukunft an der Tagesordnung sein – in einer schnelllebigen und sich ständig verändernden Gesellschaft, in der vor allem der Druck zunimmt und sich damit auch die Gefahr vergrößert, daran zu Grunde zu gehen. „Jeder Mensch sollte sich deshalb immer wieder Zeit für sich nehmen.“