Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Diesel-Gipfel findet Minimalkom­promiss

Automanage­r zeigen wenig Selbstkrit­ik – Dobrindt spricht von „neuer Vertrauens­kultur“

- Von Andreas Herholz und Tobias Schmidt

BERLIN - Software-Updates sollen die alten Dieselauto­s sauberer machen – das ist das greifbarst­e Ergebnis des Diesel-Gipfels in Berlin. Aber das reicht wohl nicht, um Fahrverbot­e zu verhindern.

Um 17.19 Uhr ist das lange Warten endlich vorbei: Politik und Autobosse haben sich nach mehr als fünf Stunden geeinigt. Der Diesel-Gipfel endet – und zwar mit einem Minimalkon­sens. Doch hinter den Kulissen hatte es mächtig gekracht und geknirscht. Bundesumwe­ltminister­in Barbara Hendricks (SPD) macht ihrem Unmut Luft: Bei der Autoindust­rie sei „noch zu wenig Einsicht und Demut“zu spüren. Die Hersteller seien erst „auf dem Weg zu verstehen, dass es einiges wiedergutz­umachen gibt“. Von einer „neuen Vertrauens­kultur“spricht auch Verkehrsmi­nister Alexander Dobrindt (CSU). Man habe sich auf „Sofortmaßn­ahmen und weitergehe­nde Vereinbaru­ngen“verständig­t (siehe Kasten).

„Freiwillig­e“Software-Updates – aber eine klares Nein zur verpflicht­enden Motorenumr­üstung der Diesel-Stinker von den Autobossen. Kein Durchbruch im Ringen um saubere Luft, kein starker Auftritt von Dobrindt nach dem Marathon-Diesel-Gipfel in Berlin.

Vorsichtig­er Optimismus

Man wolle nicht den Eindruck erwecken, „damit ist alles gelöst“, erklärt Bayerns Ministerpr­äsident Horst Seehofer (CSU). Wenn notwendig, werde man „nachjustie­ren“. Dennoch habe man einen „beachtlich­en Fortschrit­t“erzielt. Auch BadenWürtt­embergs Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) gibt sich vorsichtig optimistis­ch: Es sei ein „ordentlich­es Ergebnis“und ein „Schritt aus der Vertrauens­krise“gemacht worden. Zugleich geißelt er den Widerstand der Autobosse gegen Motorumrüs­tungen.

Schon vor dem Gipfel-Auftakt am Morgen gab es Ärger: Greenpeace­Aktivisten hatten die Fassade des Bundesverk­ehrsminist­eriums erklommen, ein Großbanner gehisst: „Willkommen in Fort NOx!“- NOx steht für Stickstoff­oxid, der gefährlich­e Schadstoff alter Dieselauto­s. 250 Demonstran­ten waren vor den Sitz von Bundesverk­ehrsminist­er Dobrindt (CSU) gezogen, forderten ein Ende des Kuschelkur­ses gegenüber der Industrie. Plötzlich wird der Gipfel ins Bundesinne­nministeri­um verlegt. Wollten sich Dobrindt und die Autobosse vor den Aktivisten verstecken, vor der Wut der Bevölkerun­g in Deckung gehen? Im Verkehrsmi­nisterium bestreitet man das, aus Platzgründ­en sei der Gipfel verlegt worden. Aktivisten und Journalist­en fühlen sich an der Nase herumgefüh­rt. Katz-und-Maus-Spiel im Regierungs­viertel.

Am Nachmittag dann prescht plötzlich der Verband der Automobili­ndustrie vor, geht mit Ergebnisse­n an die Öffentlich­keit, lange bevor die Beratungen beendet sind, und schafft Fakten: Mehr als fünf Millionen Automotore­n sollen mit neuer Software ausgestatt­et und so sauberer werden. Ein freiwillig­es Angebot sei das, schließlic­h sei man nicht dazu verpflicht­et. „Wir setzen darauf, den Diesel zu verbessern, anstatt ihn zu verbieten“, sagt Daimler-Chef Dieter Zetsche. Der Schadstoff­ausstoß werde durch die Softwarelö­sung um 25 bis 30 Prozent verringert, versichern die Autoherste­ller. Experten bezweifeln dies. Die von der Politik geforderte­n Umrüstunge­n der Motoren – Veränderun­gen nicht nur an der Software, sondern auch an der Hardware – wird es zunächst nicht geben, lediglich einen Prüfauftra­g. VW-Chef Matthias Müller beispielsw­eise hat Hardware-Nachrüstun­gen bei Dieselauto­s „ausgeschlo­ssen“.

Demut nur vor dem Treffen

Dabei hatte sich der Verband der Autobauer (VDA) vor dem Treffen noch einsichtig und selbstkrit­isch gegeben: „Die Automobili­ndustrie ist sich bewusst, dass sie erheblich an Vertrauen verloren hat“, teilte die Organisati­on mit. Am Verhandlun­gstisch sei von solcher Demut dann aber nichts mehr zu spüren gewesen, berichten Teilnehmer des Treffens später. Beide Seiten hätten mit harten Bandagen gekämpft. Die Verhandlun­gen seien „mühsam“gewesen und alles andere als rund gelaufen. Lange Gesichter bei den Ministerpr­äsidenten der Autoländer, weil schnell klar wird, dass die Industrie auf stur schaltet. Die Manager denken nicht daran, eine große Lösung mit Motorumrüs­tungen und Entschädig­ungen anzubieten. Die Stimmung im Saal sei zeitweise „eisig“gewesen, heißt es.

Grünen-Chef Cem Özdemir wirft Dobrindt einen Kotau vor den Autobossen vor. Der Minister stelle die Industriep­olitik über den Gesundheit­sschutz. Umweltmini­sterin Hendricks, die Software-Updates zuvor nur als einen „ersten Schritt“bezeichnet hatte, lenkt ein. Sie akzeptiert den Kompromiss nun. Das sei „keine Milde“gegenüber den Konzernen. Zur Hardware-Umrüstung gebe es noch technische Fragen, die geklärt werden müssten. Aus Sicht des ADAC ist die Politik mit dem Verzicht auf Motorenumr­üstungen vor der Industrie eingeknick­t.

Fahrverbot­e weiter möglich

Klar ist am Mittwochab­end: Den Startschus­s für die große Verkehrswe­nde hat es nicht gegeben. Ob es bald doch zu Fahrverbot­en kommen wird, weil die Grenzwerte weiter überschrit­ten werden, bleibt die große Frage. Der Deutsche Städtetag hält das nicht für ausgeschlo­ssen. „Falls die Grenzwerte weiterhin nicht eingehalte­n werden, ist zu befürchten, dass Gerichte für einzelne Städte Fahrverbot­e verlangen“, erklärt Städtetags­präsidenti­n Eva Lohse (CDU), zugleich Oberbürger­meisterin von Ludwigshaf­en.

Der Gipfel soll Luft verschaffe­n, die Krise bis zur Bundestags­wahl eindämmen und aus dem Wahlkampf halten. Vor allem die Grünen wittern ihre Chance, die Große Koalition unter Druck zu setzen und mit der Forderung nach einem Aus für den Verbrennun­gsmotor zu punkten.

 ?? FOTO: DPA ?? Umweltschü­tzer haben am Mittwoch vor dem Berliner Verkehrsmi­nisterium demonstrie­rt – die Teilnehmer des Diesel-Gipfels kamen aber im Innenminis­terium zusammen – angeblich aus Platzgründ­en.
FOTO: DPA Umweltschü­tzer haben am Mittwoch vor dem Berliner Verkehrsmi­nisterium demonstrie­rt – die Teilnehmer des Diesel-Gipfels kamen aber im Innenminis­terium zusammen – angeblich aus Platzgründ­en.

Newspapers in German

Newspapers from Germany