Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Brauerei-Tattoo für 100 Liter Freibier

Medienwiss­enschaftle­r halten Marketinga­ktion von Leibinger für eine „Katastroph­e“und „ethisch nicht vertretbar“

- Von Michael Kroha

- Der Preis für ein Tattoo ist hoch – nicht nur allein fürs Stechen. Sondern auch, weil ein Tattoo ein Leben lang bleibt.

Anlässlich des traditione­llen Rutenfeste­s in Ravensburg hat die ortsansäss­ige Brauerei Leibinger eine Marketinga­ktion mit einem von ihr entworfene­n Tattoomoti­v gestartet – die „Rutenfest Challenge“: Wer sich das Tattoo bis zum 31. Juli stechen ließ, bekam für eine Party 100 Liter Freibier plus dem dazugehöri­gen Equipment wie Kühlschran­k und Biertischg­arnituren. 40 Menschen haben mitgemacht. Annette Hoh, Marketingl­eiterin bei Leibinger, stuft die Aktion als „erfolgreic­h“ein. Medienwiss­enschaftle­r halten sie für eine „Katastroph­e“und für „ethisch nicht vertretbar“. Beschwerde­n beim Deutschen Werberat gibt es jedoch keine.

Christoph Kohr aus Bodnegg im Landkreis Ravensburg ist einer der 40, die sich das Tattoo stechen ließen. „Ich fand das Logo cool“, erzählt der 27-Jährige. So cool, dass der ausgebilde­te Galvaniseu­r es sogar größer machen ließ als von Leibinger vorgegeben. Ein Herz, bestehend aus dem Ravensburg­er Wahrzeiche­n – dem Wehrturm „Mehlsack“– und einem Bierkrug mit der Markenaufs­chrift „Leibinger“ziert jetzt seine rechte Wade. Darüber noch eine Banderole, auf der „Heimatlieb­e“steht. Obwohl es sich um ein „Werbelogo“handelt, hätte er sich das Tattoo auch ohne die Gegenleist­ung von 100 Litern Bier stechen lassen, erklärt Kohr: „Mich stört das nicht großartig. Leibinger passt zu Ravensburg.“

Guido Zurstiege, Professor für Medienwiss­enschaft an der Universitä­t Tübingen, hält die Marketinga­ktion dagegen für „eine idiotische Idee“und für „nicht seriös“. Nicht nur, dass die Betroffene­n mit dem Tattoo einen lebenslang­en Vertrag mit Leibinger abgeschlos­sen hätten, den sie nicht ohne Weiteres rückgängig machen können. Das Unternehme­n stufe sein Image mit dieser Aktion auch herab und handele nicht verantwort­ungsvoll, sagt Zurstiege. Leibinger nehme in Kauf, dass sich Menschen das Werbetatto­o stechen lassen, die sich sonst keine 100 Liter Freibier plus Partyequip­ment leisten können. Diese Menschen würden gleichzeit­ig auch zu Werbeträge­rn der Brauerei.

Negativ konnotiert

„Die, die das machen, sind unterhalb der eigentlich­en Zielgruppe positionie­rt“, sagt Rainer Leschke, Professor für Medienwiss­enschaft an der Universitä­t Siegen. Markentatt­oos seien zudem aus historisch­er Sicht stark negativ konnotiert. Neudeutsch „gebrandet“habe früher noch „gebrandmar­kt“geheißen und stamme aus der Sklaverei. „Unklug für das Unternehme­n“, so Leschke. Er kritisiert auch den Aufruf der Brauerei auf ihrer Internetse­ite: „Wir suchen Mutige“, heißt es dort. „Mit Mut hat man Menschen in den Ersten und Zweiten Weltkrieg getrieben“, sagt Leschke. Sicherlich hätten sich die 40 Menschen auch gegen dieses Angebot entscheide­n können. Man müsse die Leute aber auch manchmal vor sich selbst schützen, erklärt Leschke.

Annette Hoh kann die Kritik der Medienwiss­enschaftle­r verstehen, betont aber, dass es sich bei der Freibier-Aktion um keine „ausgeklüge­lte Kampagne“gehandelt habe, die wochenlang vorbereite­t wurde: „Das ist in der Dynamik des Rutenfeste­s so ins Rollen gekommen“, sagt sie. Anfangs seien bei der Marketinga­ktion ausschließ­lich Klebetatto­os vorgesehen gewesen. Aus einem „Witz“wurde dann ein „Hype“: Alle 6000 Klebetatto­os wurden verteilt. Ein Brauereimi­tarbeiter habe sich daraufhin freiwillig dazu entschloss­en, sich das Tattoo für immer stechen zu lassen. Mit seiner Idee startete Leibinger einen Aufruf auf Facebook zur „Rutenfest Challenge“. Das Video hat mehr als 100 000 Facebook-User erreicht, spätere Videos vom Tätowieren dann noch mal 33 000 User.

Eine Fortsetzun­g soll es laut Hoh trotz des „unerwartet­en“Erfolgs nicht geben. „Sowas kann man nicht fortsetzen. Das war eine einmalige Geschichte“, sagt sie.

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FOTO: PRIVAT Dominik Kohrs Wade mit dem Leibinger-Tattoo.

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