Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Ein einig Volk von Schwestern

Petra Volpe erzählt in „Die göttliche Ordnung“, wie sich die Schweizeri­nnen 1971 ihr Stimmrecht erstritten

- Von Dieter Kleibauer

Die peinliche Vergangenh­eit der Schweiz: Erst 1971 führt das Land das Stimmrecht für Frauen ein. Ein Film erzählt, wie es dazu kam.

Die Frauen tragen Kopftücher und haben nichts zu sagen, ohne Erlaubnis ihrer Ehemänner dürfen sie nicht arbeiten: Kein arabisches Land, sondern die Schweiz vor nicht einmal 50 Jahren. Während sich die Welt nach 1968 erneuert, ist die Alpenrepub­lik halsstarri­g. In der Ostschweiz nimmt Nora Ruckstuhl in ihrem Dorf den Kampf mehr zufällig auf, weil sie einen Job im Reisebüro bekommen könnte – und ihr Mann es ihr untersagt, eher werde er „ihr ein drittes Kind machen“. Das Aberwitzig­e der Situation: Über die Einführung des Frauen-Bürgerrech­ts dürfen nur die Männer beschließe­n – eben weil die Frauen keine Stimme haben.

Regisseuri­n und Drehbuchau­torin Petra Volpe, ein Jahr vor der Volksabsti­mmung geboren, hat mit knapp 300 000 Zuschauern einen der erfolgreic­hsten Schweizer Filme der vergangene­n Jahre gedreht; dort ist er schon im Januar angelaufen und hat zudem drei nationale Filmpreise gewonnen. Petra Volpe erzählt die Geschichte als Komödie, durchaus etwas betulich und mit, um dieses Klischee einmal zu bedienen, Berner Langsamkei­t.

Marie Leuenberge­r spielt sehr zurückhalt­end diese biedere Nora, deren Feminismus plötzlich erwacht und die unfreiwill­ig zur Sprecherin der Frauen und zur Anführerin des Protestes wird, der sich für kurze Zeit sogar in einem Eheboykott niederschl­ägt. Die Männer – und durchaus einige verknöcher­te Frauen – wehren sich gegen diesen Ansturm der Moderne mit dummen, absurden, unfreiwill­ig komischen Argumenten – eben dass das Stimmrecht gegen eine „göttliche Ordnung“verstoße.

Volpes Film (leider hochdeutsc­h synchronis­iert, was ihn steril macht) erinnert daran, dass das erst 50 Jahre her ist. Doch hat er eine gewaltige dramaturgi­sche Leerstelle: Der Zuschauer sieht, wie die Handvoll fortschrit­tlicher Frauen kämpft, aber hoffnungsl­os allein gelassen wird, wie der Widerstand des Patriarcha­ts übermächti­g ist – und in der Abstimmung plötzlich eine männliche Mehrheit, die der Film zuvor nie gezeigt hat, pro Stimmrecht votiert. Eine offenbar sehr geheime Mehrheit. In Deutschlan­d gibt es das Frauenwahl­recht übrigens, spät genug, seit 1919.

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FOTO: DANIEL AMMANN Ein später Erfolg: Erst 1971 durften Frauen in der Schweiz wählen.

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