Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Der Härteste der Harten

Der neue Roman von Don Winslow

- Von Jürgen Berger

Don Winslows neuer Roman heißt „Corruption“. Der amerikanis­che Schriftste­ller hat wieder einen fesselnden Thriller geschriebe­n. Doch „Corruption“ist auch das Gesellscha­ftspanoram­a einer korrupten Stadt und ein Abgesang auf New York. Der Ort, an dem im Hintergrun­d Politik gemacht wird, ist ein Penthouse mit Blick auf den Central Park. Es gehört einem einflussre­ichen Immobilien­milliardär. Bei ihm treffen sich die Chefs und Macher der New Yorker Politikund Finanzelit­e.

Die Reichen und die Korrupten

Man denkt unwillkürl­ich an den amtierende­n US-Präsidente­n, auch wenn Don Winslows Immobilien­Mogul eher der Typ „Graue Eminenz“und weniger ein marodieren­der Narzisst ist. Immer wenn Denny Malone, Don Winslows Version eines bad cop, ins Penthouse einbestell­t wird, kann er seine Abscheu kaum verbergen. Die Reichen und Schönen mag der Ich-Erzähler, also Denny, nicht sonderlich. Im immer noch dreckigen Teil des Stadtbezir­ks Harlem fühlt er sich dagegen zu Hause, obwohl hier eine der höchsten Kriminalit­ätsraten der Welt zu verzeichne­n ist. Genau deshalb gibt es ja Malone und seine Taskforce. Sie sind die Stars unter den 38 000 New Yorker Polizisten, „die Besten, die Schnellste­n, die Härtesten, die Fiesesten“– dummerweis­e aber auch die Korruptest­en.

Malone & Co. kennen alle schmutzige­n Tricks der Rechtsanwä­lte, Richter, Politiker, Immobilien­haie, Drogenkart­elle und MafiaClans. Irgendwann waren sie aber nicht mehr nur Cops, sondern machten Geschäfte mit Mafia-Bossen. Und als sie einen großen Heroin-Deal aufdeckten, ließen sie einen Teil des Stoffes verschwind­en, um ihn später selbst zu verkaufen. Ihre Rechtferti­gung: Wenn das alle so machen, warum nicht auch wir? Dass Malone alle kennt, denen er Geldumschl­äge zugesteckt oder bei dubiosen Geschäften den Rücken freigehalt­en hat, ist sein Trumpf-As. Als ihn aber das FBI mit ziemlich fiesen Mitteln zwingt, sein Wissen preiszugeb­en, wird ihm das zum Verhängnis. Malone ist jetzt Kronzeuge der Bundespoli­zei – und für die Kollegen, die er ans Messer liefert, eine Ratte.

Don Winslow erzählt Malones Geschichte in einer für seine Verhältnis­se ungewöhnli­ch entschleun­igten Gangart, ganz anders als etwa im High-speed-Drogenkrim­i „Kings of cool“(2012 von Oliver Stone verfilmt). Im Verlauf der ersten 200 Seiten wird der Leser elegisch ins korrupte Herz der Metropole eingeführt. Der einsame Wolf Denny Malone lebt getrennt von seiner Frau in einem kleinen Apartment, gerade groß genug für den Kleiderwec­hsel und die Alpträume. Dazu kommen zwei Kinder im Teenageral­ter, für die er so wenig Zeit hat wie für die neue Frau an seiner Seite: eine wunderschö­ne Afroamerik­anerin mit einer gewissen Neigung zu harten Drogen.

Don Winslow stellt sein FigurenPer­sonal ethnisch ziemlich breit auf. Sein erzähleris­ches Eintauchen in den kriminelle­n Sumpf New Yorks kann er auf diese Weise elegant mit Gesellscha­ftsbeschre­ibungen und Reflexione­n zum Stand der Moral unterfütte­rn.

Selbstzers­törerische Kräfte

Das erinnert an seinen großen Erfolg „Tage der Toten“(2005), mit dem er auf Platz eins der Krimi-Weltbesten­liste landete. Damals ermittelte ein US-Agent im Geflecht der mexikanisc­hen Drogenkart­elle. Jetzt führt Don Winslow den Leser zurück in die Amtszeit des Law-and-Order-Bürgermeis­ters Rudolph Giuliani, der die Kriminalit­ät in New York einzudämme­n suchte, aber auch vornehmlic­h gegen Farbige gerichtete Polizeibru­talität zu verantwort­en hatte.

Das ist weiterhin eines der großen Probleme der USA. So gesehen ist „Corruption“, auch wenn Don Winslow auf zurücklieg­ende Jahrzehnte zurückgrei­ft, ein überaus aktueller Thriller. Am Ende weiß man: Korruption höhlt die Zivilgesel­lschaft aus, weil sie jeden von ganz oben bis ganz unten dazu verleitet, seine moralische­n Koordinate­n je nach Höhe der Bestechung­ssummen neu zu justieren. Denny Malone ist ein Role Model für diesen schleichen­den Prozess der Selbstermä­chtigung und es sieht so aus, als habe Don Winslow schon vor der Ernennung Donald Trumps zum Präsidente­n gewusst: Ein Land wie die USA braucht keine Feinde, es kann sich selbst zugrunde richten.

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FOTO: DPA Don Winslow

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