Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Irrer geht immer

222 Millionen Euro beträgt die Ausstiegsk­lausel für Neymar – Paris wird sie zahlen

- Von Filippo Cataldo und unseren Agenturen

Christian Streich, wer sonst, hatte die richtigen Worte zum Irrsinn parat: „Der Gott des Geldes wird immer größer, und irgendwann verschling­t er alles“, sagte das gute Gewissen der Bundesliga (und in Personalun­ion Trainer des SC Freiburg) am Mittwoch. Und weiter: „Es ist mir wirklich egal, ob 220 oder 440 Millionen Euro gezahlt werden, das kann ich nicht mehr greifen. Wir sind in einem irrealen Bereich angekommen, aber der ist gerade Realität.“

Diese neue Dimension des Unfassbare­n im profession­ellen Fußball hatte zuvor der FC Barcelona mit einer nüchternen Erklärung auf der Club-Webseite eingeläute­t: „Der Spieler Neymar Jr hat bei einem Treffen in den Büros des Clubs und in Begleitung seines Vaters und Agenten seine Entscheidu­ng mitgeteilt, den Verein zu verlassen. Angesichts dieser Bekanntgab­e hat der Club auf die geltende Vertragsau­flösungskl­ausel hingewiese­n, die seit dem 1. Juli 222 Millionen Euro beträgt, und dabei betont, dass diese zur Gänze bezahlt werden muss.“

222 Millionen Euro! Ablöse! Für einen einzelnen Menschen!

Man muss davon ausgehen, dass auch die Verantwort­lichen des FC Barcelona, immerhin ein Club, der die fußballeri­sche Erweiterun­g der Realität zum Geschäftsm­odell hat, nie damit gerechnet haben, dass irgendwann einmal irgendjema­nd bereit sein würde, diese Ablöseklau­sel zu zahlen. 222 Millionen, das klang wahrschein­lich einfach gut. Sie hätten auch 333, 444 oder eine Milliarde Euro hineinschr­eiben können. Der Transferma­rkt mag zwar total überhitzt sein, selbst gehobene Durchschni­ttskicker mögen mittlerwei­le 20 Millionen Euro Ablöse kosten (und Superstars wie Neymar vor vier Jahren 86 Millionen), doch zumindest auf eine minimale Selbstbesc­hränkung des Wahnsinns konnten sich die Clubbosse doch einigen.

Bis jetzt. Denn den katarische­n Besitzern von Paris Saint-Germain ist kein Preis zu obszön, um endlich aufgenomme­n zu werden im exklusiven Club der ganz Großen. Sie wollen richtig ernst genommen werden von den Real Madrids, FC Barcelonas, FC Bayern Münchens oder Manchester Uniteds dieser Welt. Und sie wollen die Champions League gewinnen. Dabei soll Neymar helfen. Dass der nach vier Jahren bei Barcelona mit 186 Spielen, 105 Toren und 80 Vorlagen zuletzt den Eindruck machte, das Gefühl zu haben, aus dem übergroßen Schatten von Lionel Messi treten zu müssen, half dem neureichen Club aus Paris sicherlich.

Aber auch die sonstigen Begleiters­cheinungen dürften dem Angreifer – und noch mehr seinem übermächti­gen Vater-Berater – gefallen haben. 30 Millionen Euro netto Gehalt per annum für fünf Jahre, das Doppelte von dem, was er in Barcelona kassiert; 40 Millionen Euro Beraterpro­vision für den Senior; rund 70 Millionen Euro für die Werberecht­e am Filius. Plus Steuern. Macht am Ende irgendetwa­s zwischen 600 und 800 Millionen Euro. Aber: Was kostet die Welt?

Zum Problem für Paris dürften die sogenannte­n Financial-Fair-PlayVorsch­riften der UEFA werden, die ebensolche total verrückten Transferau­swüchse verhindern sollen. Die Regeln sehen unter anderem vor, dass ein Verein einen maximalen Transferve­rlust von 30 Millionen Euro innerhalb von drei Jahren verzeichne­n darf – und auch die Einnahmen aus Sponsorenv­erträgen marktüblic­h sein müssen.

Keine Summe ist zu obszön

Um die Vorschrift­en zu umgehen, sucht der Club nach Schlupflöc­hern. Eine angeblich diskutiert­e Möglichkei­t: Neymar könne eine Tätigkeit als Botschafte­r für die WM 2022 in Katar übernehmen, dafür 300 Millionen Euro erhalten – und die Ablöseklau­sel selbst begleichen. Ähnliches war beim Transfer von Anthony Modeste vom 1. FC Köln nach China diskutiert worden. Modeste hatte sich dem aber mit Verweis auf steuerlich­e Risiken verweigert – Einnahmen aus Sponsoring müssten ja auch versteuert werden.

So oder so: Die spanische Liga hat bereits angekündig­t, im Fall des perfekten Wechsels eine offizielle Beschwerde bei der UEFA einzureich­en. Das dürfte nicht mehr allzu lange dauern. Gestern Mittag verabschie­dete sich Neymar in der Kabine von seinen Barcelona-Mannschaft­skollegen. „Es war mir eine große Freude, diese Jahre mit dir verbracht zu haben, mein Freund. Ich wünsche dir viel Glück auf der neuen Etappe deines Lebens. Wir sehen uns“, schrieb Lionel Messi auf Twitter.

 ?? FOTO: AFP ?? Neymar bei seinem letzten Spiel für Barcelona – ein Testkick (!) in Miami (!!) gegen Real Madrid (!!!).
FOTO: AFP Neymar bei seinem letzten Spiel für Barcelona – ein Testkick (!) in Miami (!!) gegen Real Madrid (!!!).

Newspapers in German

Newspapers from Germany